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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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"In den Armen meiner Kön'gin
Ruht mein Königshaupt so weich,
Und in ihren lieben Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!"

Wir nahmen freundschaftlich Abschied, und fröh¬
lich stieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich
eine Waldung himmelhoher Tannen, für die ich,
in jeder Hinsicht, Respekt habe. Diesen Bäumen
ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht ge¬
macht worden, und sie haben es sich in der Ju¬
gend sauer werden lassen. Der Berg ist hier
mit vielen großen Granitblöcken übersäet, und
die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln
diese Steine umranken oder sprengen, und mühsam
den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen
können. Hier und da liegen die Steine, gleich¬
sam ein Thor bildend, über einander, und oben
darauf stehen die Bäume, die nackten Wurzeln
über jene Steinpforte hinziehend, und erst am Fuße
derselben den Boden erfassend, so daß sie in der

“In den Armen meiner Koͤn'gin
Ruht mein Koͤnigshaupt ſo weich,
Und in ihren lieben Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!”

Wir nahmen freundſchaftlich Abſchied, und froͤh¬
lich ſtieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich
eine Waldung himmelhoher Tannen, fuͤr die ich,
in jeder Hinſicht, Reſpekt habe. Dieſen Baͤumen
iſt naͤmlich das Wachſen nicht ſo ganz leicht ge¬
macht worden, und ſie haben es ſich in der Ju¬
gend ſauer werden laſſen. Der Berg iſt hier
mit vielen großen Granitbloͤcken uͤberſaͤet, und
die meiſten Baͤume mußten mit ihren Wurzeln
dieſe Steine umranken oder ſprengen, und muͤhſam
den Boden ſuchen, woraus ſie Nahrung ſchoͤpfen
koͤnnen. Hier und da liegen die Steine, gleich¬
ſam ein Thor bildend, uͤber einander, und oben
darauf ſtehen die Baͤume, die nackten Wurzeln
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[196/0208] “In den Armen meiner Koͤn'gin Ruht mein Koͤnigshaupt ſo weich, Und in ihren lieben Augen Liegt mein unermeßlich Reich!” Wir nahmen freundſchaftlich Abſchied, und froͤh¬ lich ſtieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen, fuͤr die ich, in jeder Hinſicht, Reſpekt habe. Dieſen Baͤumen iſt naͤmlich das Wachſen nicht ſo ganz leicht ge¬ macht worden, und ſie haben es ſich in der Ju¬ gend ſauer werden laſſen. Der Berg iſt hier mit vielen großen Granitbloͤcken uͤberſaͤet, und die meiſten Baͤume mußten mit ihren Wurzeln dieſe Steine umranken oder ſprengen, und muͤhſam den Boden ſuchen, woraus ſie Nahrung ſchoͤpfen koͤnnen. Hier und da liegen die Steine, gleich¬ ſam ein Thor bildend, uͤber einander, und oben darauf ſtehen die Baͤume, die nackten Wurzeln uͤber jene Steinpforte hinziehend, und erſt am Fuße derſelben den Boden erfaſſend, ſo daß ſie in der

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/208>, abgerufen am 12.12.2024.