fel warf ich über Bord, und ich hob auf meine Füße und ging nach Goslar. Ich kam dahin, ohne zu wissen wie. Nur so viel kann ich mich erin¬ nern: ich schlenderte wieder bergauf, bergab, schaute hinunter in manches hübsche Wiesenthal; silberne Wasser brausten, süße Waldvögel zwitscherten, die Heerdenglöckchen läuteten, die mannigfaltig grünen Bäume wurden von der lieben Sonne goldig an¬ gestrahlt, und oben war die blauseidene Decke des Himmels so durchsichtig, daß man tief hinein schauen konnte, bis in's Allerheiligste, wo die En¬ gel zu den Füßen Gottes sitzen, und in den Zügen seines Antlitzes den Generalbaß studieren. Ich aber lebte noch in dem Traum der vorigen Nacht, den ich nicht aus meiner Seele verscheuchen konnte. Es war das alte Mährchen, wie ein Ritter hinab steigt in einen tiefen Brunnen, wo unten die schönste Prinzessin zu einem starren Zauberschlafe verwünscht ist. Ich selbst war der Ritter, und der Brunnen die dunkle Clausthaler Grube, und plötzlich erschienen viele Lichter, aus allen Seiten¬
fel warf ich uͤber Bord, und ich hob auf meine Fuͤße und ging nach Goſlar. Ich kam dahin, ohne zu wiſſen wie. Nur ſo viel kann ich mich erin¬ nern: ich ſchlenderte wieder bergauf, bergab, ſchaute hinunter in manches huͤbſche Wieſenthal; ſilberne Waſſer brauſten, ſuͤße Waldvoͤgel zwitſcherten, die Heerdengloͤckchen laͤuteten, die mannigfaltig gruͤnen Baͤume wurden von der lieben Sonne goldig an¬ geſtrahlt, und oben war die blauſeidene Decke des Himmels ſo durchſichtig, daß man tief hinein ſchauen konnte, bis in's Allerheiligſte, wo die En¬ gel zu den Fuͤßen Gottes ſitzen, und in den Zuͤgen ſeines Antlitzes den Generalbaß ſtudieren. Ich aber lebte noch in dem Traum der vorigen Nacht, den ich nicht aus meiner Seele verſcheuchen konnte. Es war das alte Maͤhrchen, wie ein Ritter hinab ſteigt in einen tiefen Brunnen, wo unten die ſchoͤnſte Prinzeſſin zu einem ſtarren Zauberſchlafe verwuͤnſcht iſt. Ich ſelbſt war der Ritter, und der Brunnen die dunkle Clausthaler Grube, und ploͤtzlich erſchienen viele Lichter, aus allen Seiten¬
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fel warf ich uͤber Bord, und ich hob auf meine Fuͤße
und ging nach Goſlar. Ich kam dahin, ohne
zu wiſſen wie. Nur ſo viel kann ich mich erin¬
nern: ich ſchlenderte wieder bergauf, bergab, ſchaute
hinunter in manches huͤbſche Wieſenthal; ſilberne
Waſſer brauſten, ſuͤße Waldvoͤgel zwitſcherten, die
Heerdengloͤckchen laͤuteten, die mannigfaltig gruͤnen
Baͤume wurden von der lieben Sonne goldig an¬
geſtrahlt, und oben war die blauſeidene Decke des
Himmels ſo durchſichtig, daß man tief hinein
ſchauen konnte, bis in's Allerheiligſte, wo die En¬
gel zu den Fuͤßen Gottes ſitzen, und in den Zuͤgen
ſeines Antlitzes den Generalbaß ſtudieren. Ich
aber lebte noch in dem Traum der vorigen Nacht,
den ich nicht aus meiner Seele verſcheuchen konnte.
Es war das alte Maͤhrchen, wie ein Ritter hinab
ſteigt in einen tiefen Brunnen, wo unten die
ſchoͤnſte Prinzeſſin zu einem ſtarren Zauberſchlafe
verwuͤnſcht iſt. Ich ſelbſt war der Ritter, und
der Brunnen die dunkle Clausthaler Grube, und
ploͤtzlich erſchienen viele Lichter, aus allen Seiten¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/168>, abgerufen am 30.11.2024.
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