Hans, morgen dem Isaak gehören; selbst unsere Kleider bleiben uns fremd, wir wissen kaum, wie viel Knöpfe an dem Rocke sitzen, den wir eben jetzt auf dem Leibe tragen; wir wechseln ja so oft als möglich mit Kleidungsstücken, keines derselben bleibt im Zusammenhange mit unserer inneren und äuße¬ ren Geschichte; -- kaum vermögen wir uns zu er¬ innern, wie jene braune Weste aussah, die uns einst so viel Gelächter zugezogen hat, und auf deren breiten Streifen dennoch die liebe Hand der Ge¬ liebten so lieblich ruhte!
Die alte Frau, dem großen Schrank gegenüber, hinter'm Ofen, trug einen geblümten Rock von verschollenem Zeuge, das Brautkleid ihrer seligen Mutter. Ihr Urenkel, ein als Bergmann geklei¬ deter, blonder, blitzäugiger Knabe, saß zu ihren Füßen und zählte die Blumen ihres Rockes, und sie mag ihm von diesem Rocke wohl schon viele Geschichten erzählt haben, viele ernsthafte, hübsche Geschichten, die der Junge gewiß nicht so bald vergißt, die ihm noch oft vorschweben werden,
Hans, morgen dem Iſaak gehoͤren; ſelbſt unſere Kleider bleiben uns fremd, wir wiſſen kaum, wie viel Knoͤpfe an dem Rocke ſitzen, den wir eben jetzt auf dem Leibe tragen; wir wechſeln ja ſo oft als moͤglich mit Kleidungsſtuͤcken, keines derſelben bleibt im Zuſammenhange mit unſerer inneren und aͤuße¬ ren Geſchichte; — kaum vermoͤgen wir uns zu er¬ innern, wie jene braune Weſte ausſah, die uns einſt ſo viel Gelaͤchter zugezogen hat, und auf deren breiten Streifen dennoch die liebe Hand der Ge¬ liebten ſo lieblich ruhte!
Die alte Frau, dem großen Schrank gegenuͤber, hinter'm Ofen, trug einen gebluͤmten Rock von verſchollenem Zeuge, das Brautkleid ihrer ſeligen Mutter. Ihr Urenkel, ein als Bergmann geklei¬ deter, blonder, blitzaͤugiger Knabe, ſaß zu ihren Fuͤßen und zaͤhlte die Blumen ihres Rockes, und ſie mag ihm von dieſem Rocke wohl ſchon viele Geſchichten erzaͤhlt haben, viele ernſthafte, huͤbſche Geſchichten, die der Junge gewiß nicht ſo bald vergißt, die ihm noch oft vorſchweben werden,
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Hans, morgen dem Iſaak gehoͤren; ſelbſt unſere
Kleider bleiben uns fremd, wir wiſſen kaum, wie
viel Knoͤpfe an dem Rocke ſitzen, den wir eben jetzt
auf dem Leibe tragen; wir wechſeln ja ſo oft als
moͤglich mit Kleidungsſtuͤcken, keines derſelben bleibt
im Zuſammenhange mit unſerer inneren und aͤuße¬
ren Geſchichte; — kaum vermoͤgen wir uns zu er¬
innern, wie jene braune Weſte ausſah, die uns
einſt ſo viel Gelaͤchter zugezogen hat, und auf deren
breiten Streifen dennoch die liebe Hand der Ge¬
liebten ſo lieblich ruhte!
Die alte Frau, dem großen Schrank gegenuͤber,
hinter'm Ofen, trug einen gebluͤmten Rock von
verſchollenem Zeuge, das Brautkleid ihrer ſeligen
Mutter. Ihr Urenkel, ein als Bergmann geklei¬
deter, blonder, blitzaͤugiger Knabe, ſaß zu ihren
Fuͤßen und zaͤhlte die Blumen ihres Rockes, und
ſie mag ihm von dieſem Rocke wohl ſchon viele
Geſchichten erzaͤhlt haben, viele ernſthafte, huͤbſche
Geſchichten, die der Junge gewiß nicht ſo bald
vergißt, die ihm noch oft vorſchweben werden,
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/166>, abgerufen am 29.11.2024.
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