Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Mohren." -- mit letzterem Namen werden die Albi¬
nos vom Volke benannt. Der kleine Junge stand mit
den Bäumen in gar eigenem Einverständniß; er
grüßte sie wie gute Bekannte, und sie schienen
rauschend seinen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie
ein Zeisig, ringsum antworteten zwitschernd die an¬
dern Vögel, und ehe ich mich dessen versah, war
er mit seinen nackten Füßchen und seinem Bündel
Reisig in's Walddickigt fortgesprungen. Die Kin¬
der, dacht' ich, sind jünger als wir, können sich
noch erinnern, wie sie ebenfalls Bäume oder Vö¬
gel waren, und sind also noch im Stande, diesel¬
ben zu verstehen; unsereins aber ist schon alt und
hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und schlechte
Verse im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war,
trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder
recht lebhaft in's Gedächtniß. In dieses nette
Bergstädtchen, welches man nicht früher erblickt,
als bis man davor steht, gelangte ich, als eben
die Glocke zwölf schlug und die Kinder jubelnd aus
der Schule kamen. Die lieben Knaben, fast alle

Mohren.“ — mit letzterem Namen werden die Albi¬
nos vom Volke benannt. Der kleine Junge ſtand mit
den Baͤumen in gar eigenem Einverſtaͤndniß; er
gruͤßte ſie wie gute Bekannte, und ſie ſchienen
rauſchend ſeinen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie
ein Zeiſig, ringsum antworteten zwitſchernd die an¬
dern Voͤgel, und ehe ich mich deſſen verſah, war
er mit ſeinen nackten Fuͤßchen und ſeinem Buͤndel
Reiſig in's Walddickigt fortgeſprungen. Die Kin¬
der, dacht' ich, ſind juͤnger als wir, koͤnnen ſich
noch erinnern, wie ſie ebenfalls Baͤume oder Voͤ¬
gel waren, und ſind alſo noch im Stande, dieſel¬
ben zu verſtehen; unſereins aber iſt ſchon alt und
hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und ſchlechte
Verſe im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war,
trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder
recht lebhaft in's Gedaͤchtniß. In dieſes nette
Bergſtaͤdtchen, welches man nicht fruͤher erblickt,
als bis man davor ſteht, gelangte ich, als eben
die Glocke zwoͤlf ſchlug und die Kinder jubelnd aus
der Schule kamen. Die lieben Knaben, faſt alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="139"/>
Mohren.&#x201C; &#x2014; mit letzterem Namen werden die Albi¬<lb/>
nos vom Volke benannt. Der kleine Junge &#x017F;tand mit<lb/>
den Ba&#x0364;umen in gar eigenem Einver&#x017F;ta&#x0364;ndniß; er<lb/>
gru&#x0364;ßte &#x017F;ie wie gute Bekannte, und &#x017F;ie &#x017F;chienen<lb/>
rau&#x017F;chend &#x017F;einen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie<lb/>
ein Zei&#x017F;ig, ringsum antworteten zwit&#x017F;chernd die an¬<lb/>
dern Vo&#x0364;gel, und ehe ich mich de&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;ah, war<lb/>
er mit &#x017F;einen nackten Fu&#x0364;ßchen und &#x017F;einem Bu&#x0364;ndel<lb/>
Rei&#x017F;ig in's Walddickigt fortge&#x017F;prungen. Die Kin¬<lb/>
der, dacht' ich, &#x017F;ind ju&#x0364;nger als wir, ko&#x0364;nnen &#x017F;ich<lb/>
noch erinnern, wie &#x017F;ie ebenfalls Ba&#x0364;ume oder Vo&#x0364;¬<lb/>
gel waren, und &#x017F;ind al&#x017F;o noch im Stande, die&#x017F;el¬<lb/>
ben zu ver&#x017F;tehen; un&#x017F;ereins aber i&#x017F;t &#x017F;chon alt und<lb/>
hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und &#x017F;chlechte<lb/>
Ver&#x017F;e im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war,<lb/>
trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder<lb/>
recht lebhaft in's Geda&#x0364;chtniß. In die&#x017F;es nette<lb/>
Berg&#x017F;ta&#x0364;dtchen, welches man nicht fru&#x0364;her erblickt,<lb/>
als bis man davor &#x017F;teht, gelangte ich, als eben<lb/>
die Glocke zwo&#x0364;lf &#x017F;chlug und die Kinder jubelnd aus<lb/>
der Schule kamen. Die lieben Knaben, fa&#x017F;t alle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0151] Mohren.“ — mit letzterem Namen werden die Albi¬ nos vom Volke benannt. Der kleine Junge ſtand mit den Baͤumen in gar eigenem Einverſtaͤndniß; er gruͤßte ſie wie gute Bekannte, und ſie ſchienen rauſchend ſeinen Gruß zu erwiedern. Er pfiff wie ein Zeiſig, ringsum antworteten zwitſchernd die an¬ dern Voͤgel, und ehe ich mich deſſen verſah, war er mit ſeinen nackten Fuͤßchen und ſeinem Buͤndel Reiſig in's Walddickigt fortgeſprungen. Die Kin¬ der, dacht' ich, ſind juͤnger als wir, koͤnnen ſich noch erinnern, wie ſie ebenfalls Baͤume oder Voͤ¬ gel waren, und ſind alſo noch im Stande, dieſel¬ ben zu verſtehen; unſereins aber iſt ſchon alt und hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und ſchlechte Verſe im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war, trat mir bey meinem Eintritt in Clausthal wieder recht lebhaft in's Gedaͤchtniß. In dieſes nette Bergſtaͤdtchen, welches man nicht fruͤher erblickt, als bis man davor ſteht, gelangte ich, als eben die Glocke zwoͤlf ſchlug und die Kinder jubelnd aus der Schule kamen. Die lieben Knaben, faſt alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/151
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/151>, abgerufen am 28.11.2024.