Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

den contrairen Wind, war der Ritter von der
Nadel sehr müde geworden. Er machte freilich noch
einige große Anstalten zum Gehen und bramarba¬
sirte: "Jetzt will ich den Weg zwischen die Beine
nehmen!" Doch bald klagte er, daß er sich Bla¬
sen unter die Füße gegangen, und die Welt viel
zu weitläuftig sey; und endlich, bey einem Baum¬
stamme, ließ er sich sachte niedersinken, bewegte
sein zartes Häuptlein wie ein betrübtes Lämmer¬
schwänzchen, und wehmüthig lächelnd rief er: "Da
bin ich armes Schindluderchen schon wieder ma¬
rode!"

Die Berge wurden hier noch steiler, die Tan¬
nenwälder wogten unten wie ein grünes Meer,
und am blauen Himmel oben schifften die weißen
Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch
ihre Einheit und Einfachheit gleichsam gezähmt.
Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine schrof¬
fen Uebergänge. Die Wolken, so bizarr gestaltet
sie auch zuweilen erscheinen, tragen ein weißes,
oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und

den contrairen Wind, war der Ritter von der
Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch
einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬
ſirte: „Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine
nehmen!“ Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬
ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel
zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬
ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte
ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬
ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: „Da
bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬
rode!“

Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬
nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer,
und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen
Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch
ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt.
Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬
fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet
ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes,
oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0149" n="137"/>
den contrairen Wind, war der Ritter von der<lb/>
Nadel &#x017F;ehr mu&#x0364;de geworden. Er machte freilich noch<lb/>
einige große An&#x017F;talten zum Gehen und bramarba¬<lb/>
&#x017F;irte: &#x201E;Jetzt will ich den Weg zwi&#x017F;chen die Beine<lb/>
nehmen!&#x201C; Doch bald klagte er, daß er &#x017F;ich Bla¬<lb/>
&#x017F;en unter die Fu&#x0364;ße gegangen, und die Welt viel<lb/>
zu weitla&#x0364;uftig &#x017F;ey; und endlich, bey einem Baum¬<lb/>
&#x017F;tamme, ließ er &#x017F;ich &#x017F;achte nieder&#x017F;inken, bewegte<lb/>
&#x017F;ein zartes Ha&#x0364;uptlein wie ein betru&#x0364;btes La&#x0364;mmer¬<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;nzchen, und wehmu&#x0364;thig la&#x0364;chelnd rief er: &#x201E;Da<lb/>
bin ich armes Schindluderchen &#x017F;chon wieder ma¬<lb/>
rode!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Berge wurden hier noch &#x017F;teiler, die Tan¬<lb/>
nenwa&#x0364;lder wogten unten wie ein gru&#x0364;nes Meer,<lb/>
und am blauen Himmel oben &#x017F;chifften die weißen<lb/>
Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch<lb/>
ihre Einheit und Einfachheit gleich&#x017F;am geza&#x0364;hmt.<lb/>
Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine &#x017F;chrof¬<lb/>
fen Ueberga&#x0364;nge. Die Wolken, &#x017F;o bizarr ge&#x017F;taltet<lb/>
&#x017F;ie auch zuweilen er&#x017F;cheinen, tragen ein weißes,<lb/>
oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0149] den contrairen Wind, war der Ritter von der Nadel ſehr muͤde geworden. Er machte freilich noch einige große Anſtalten zum Gehen und bramarba¬ ſirte: „Jetzt will ich den Weg zwiſchen die Beine nehmen!“ Doch bald klagte er, daß er ſich Bla¬ ſen unter die Fuͤße gegangen, und die Welt viel zu weitlaͤuftig ſey; und endlich, bey einem Baum¬ ſtamme, ließ er ſich ſachte niederſinken, bewegte ſein zartes Haͤuptlein wie ein betruͤbtes Laͤmmer¬ ſchwaͤnzchen, und wehmuͤthig laͤchelnd rief er: „Da bin ich armes Schindluderchen ſchon wieder ma¬ rode!“ Die Berge wurden hier noch ſteiler, die Tan¬ nenwaͤlder wogten unten wie ein gruͤnes Meer, und am blauen Himmel oben ſchifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichſam gezaͤhmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine ſchrof¬ fen Uebergaͤnge. Die Wolken, ſo bizarr geſtaltet ſie auch zuweilen erſcheinen, tragen ein weißes, oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/149
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/149>, abgerufen am 28.11.2024.