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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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auf ihre Weise, in das allgemeine Schwatzen und
Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung,
immer verwirrter und lauter, die hohe Göttin um¬
rauschte, bis diese die Geduld verlor, und in
einem Tone des entsetzlichsten Riesenschmerzes plötz¬
lich aufschrie: "Schweigt! schweigt! ich höre die
Stimme des theuren Prometheus, die höhnende
Kraft und die stumme Gewalt schmieden den Schuld¬
losen an den Marterfelsen, und all Euer Geschwätz
und Gezänke kann nicht seine Wunden kühlen und
seine Fesseln zerbrechen!" So rief die Göttin,
und Thränenbäche stürzten aus ihren Augen, die
ganze Versammlung heulte wie von Todesangst er¬
griffen, die Decke des Saales krachte, die Bücher
taumelten herab von ihren Brettern, vergebens
trat der alte Münchhausen aus seinem Rahmen
hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und
kreischte immer wilder, -- und fort, aus diesem drän¬
genden Tollhauslärm rettete ich mich in den histo¬
rischen Saal, nach jener Gnadenstelle, wo die hei¬
ligen Bilder des belvederischen Apoll's und der

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auf ihre Weiſe, in das allgemeine Schwatzen und
Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung,
immer verwirrter und lauter, die hohe Goͤttin um¬
rauſchte, bis dieſe die Geduld verlor, und in
einem Tone des entſetzlichſten Rieſenſchmerzes ploͤtz¬
lich aufſchrie: „Schweigt! ſchweigt! ich hoͤre die
Stimme des theuren Prometheus, die hoͤhnende
Kraft und die ſtumme Gewalt ſchmieden den Schuld¬
loſen an den Marterfelſen, und all Euer Geſchwaͤtz
und Gezaͤnke kann nicht ſeine Wunden kuͤhlen und
ſeine Feſſeln zerbrechen!“ So rief die Goͤttin,
und Thraͤnenbaͤche ſtuͤrzten aus ihren Augen, die
ganze Verſammlung heulte wie von Todesangſt er¬
griffen, die Decke des Saales krachte, die Buͤcher
taumelten herab von ihren Brettern, vergebens
trat der alte Muͤnchhauſen aus ſeinem Rahmen
hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und
kreiſchte immer wilder, — und fort, aus dieſem draͤn¬
genden Tollhauslaͤrm rettete ich mich in den hiſto¬
riſchen Saal, nach jener Gnadenſtelle, wo die hei¬
ligen Bilder des belvederiſchen Apoll's und der

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[129/0141] auf ihre Weiſe, in das allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung, immer verwirrter und lauter, die hohe Goͤttin um¬ rauſchte, bis dieſe die Geduld verlor, und in einem Tone des entſetzlichſten Rieſenſchmerzes ploͤtz¬ lich aufſchrie: „Schweigt! ſchweigt! ich hoͤre die Stimme des theuren Prometheus, die hoͤhnende Kraft und die ſtumme Gewalt ſchmieden den Schuld¬ loſen an den Marterfelſen, und all Euer Geſchwaͤtz und Gezaͤnke kann nicht ſeine Wunden kuͤhlen und ſeine Feſſeln zerbrechen!“ So rief die Goͤttin, und Thraͤnenbaͤche ſtuͤrzten aus ihren Augen, die ganze Verſammlung heulte wie von Todesangſt er¬ griffen, die Decke des Saales krachte, die Buͤcher taumelten herab von ihren Brettern, vergebens trat der alte Muͤnchhauſen aus ſeinem Rahmen hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und kreiſchte immer wilder, — und fort, aus dieſem draͤn¬ genden Tollhauslaͤrm rettete ich mich in den hiſto¬ riſchen Saal, nach jener Gnadenſtelle, wo die hei¬ ligen Bilder des belvederiſchen Apoll's und der 9

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/141>, abgerufen am 27.11.2024.