dern Knaben, der mir immer erzählte: wie seine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der ersten Sylbe und der Ort selbst liegt im Geldern¬ schen) einstmals mitgenommen, wie sie dort einen wächsernen Fuß für ihn geopfert, und wie sein eig¬ ner schlimmer Fuß dadurch geheilt sey. Mit die¬ sem Knaben traf ich wieder zusammen in der ober¬ sten Classe des Gymnasiums, und als wir im Phi¬ losophen-Collegium bey Rektor Schallmeyer, neben einander zu sitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakel-Erzählung, setzte aber doch etwas ernsthaft hinzu: jetzt würde er der Muttergottes ein wächsernes Herz opfern. Ich hörte später, er habe damals an einer unglücklichen Liebschaft labo¬ rirt, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedächtniß. -- Im Jahr 1819, als ich in Bonn studierte, und einmal, in der Gegend von Godesberg, am Rhein spatzieren ging, hörte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaar-Lieder, wovon das vorzüglichste den gedehnten Refrain hat "Gelobt seyst du, Maria!" und als die Prozession
dern Knaben, der mir immer erzaͤhlte: wie ſeine Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der erſten Sylbe und der Ort ſelbſt liegt im Geldern¬ ſchen) einſtmals mitgenommen, wie ſie dort einen waͤchſernen Fuß fuͤr ihn geopfert, und wie ſein eig¬ ner ſchlimmer Fuß dadurch geheilt ſey. Mit die¬ ſem Knaben traf ich wieder zuſammen in der ober¬ ſten Claſſe des Gymnaſiums, und als wir im Phi¬ loſophen-Collegium bey Rektor Schallmeyer, neben einander zu ſitzen kamen, erinnerte er mich lachend an jene Mirakel-Erzaͤhlung, ſetzte aber doch etwas ernſthaft hinzu: jetzt wuͤrde er der Muttergottes ein waͤchſernes Herz opfern. Ich hoͤrte ſpaͤter, er habe damals an einer ungluͤcklichen Liebſchaft labo¬ rirt, und endlich kam er mir ganz aus den Augen und aus dem Gedaͤchtniß. — Im Jahr 1819, als ich in Bonn ſtudierte, und einmal, in der Gegend von Godesberg, am Rhein ſpatzieren ging, hoͤrte ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaar-Lieder, wovon das vorzuͤglichſte den gedehnten Refrain hat „Gelobt ſeyſt du, Maria!“ und als die Prozeſſion
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dern Knaben, der mir immer erzaͤhlte: wie ſeine
Mutter ihn nach Kevlaar (der Akzent liegt auf der
erſten Sylbe und der Ort ſelbſt liegt im Geldern¬
ſchen) einſtmals mitgenommen, wie ſie dort einen
waͤchſernen Fuß fuͤr ihn geopfert, und wie ſein eig¬
ner ſchlimmer Fuß dadurch geheilt ſey. Mit die¬
ſem Knaben traf ich wieder zuſammen in der ober¬
ſten Claſſe des Gymnaſiums, und als wir im Phi¬
loſophen-Collegium bey Rektor Schallmeyer, neben
einander zu ſitzen kamen, erinnerte er mich lachend
an jene Mirakel-Erzaͤhlung, ſetzte aber doch etwas
ernſthaft hinzu: jetzt wuͤrde er der Muttergottes
ein waͤchſernes Herz opfern. Ich hoͤrte ſpaͤter, er
habe damals an einer ungluͤcklichen Liebſchaft labo¬
rirt, und endlich kam er mir ganz aus den Augen
und aus dem Gedaͤchtniß. — Im Jahr 1819, als
ich in Bonn ſtudierte, und einmal, in der Gegend
von Godesberg, am Rhein ſpatzieren ging, hoͤrte
ich in der Ferne die wohlbekannten Kevlaar-Lieder,
wovon das vorzuͤglichſte den gedehnten Refrain hat
„Gelobt ſeyſt du, Maria!“ und als die Prozeſſion
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/121>, abgerufen am 27.11.2024.
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