Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.Sie aber hob sich in die Höh', nahm rasch Die glühend rothe Sonnenscheibe schwebte Schon niedrig, und ihr Purpur überstrahlte Die Bäume und die Blumen und den Strom, Der in der Ferne majestätisch floß. "Sehn Sie das große, goldne Auge schwimmen Im blauen Wasser?" rief Maria hastig. "Still, armes Wesen!" sprach ich, und ich schaute Im Dämmerlicht' ein mährchenhaftes Weben. Es stiegen Nebelbilder aus den Feldern, Umschlangen sich mit weißen, weichen Armen; Die Veilchen sahn sich zärtlich an, sehnsüchtig Zusammenbeugten sich die Lilienkelche; Aus allen Rosen glühten Wollustgluthen! Die Nelken wollten sich im Hauch' entzünden; In sel'gen Düften schwelgten alle Blumen, Sie aber hob ſich in die Hoͤh', nahm raſch Die gluͤhend rothe Sonnenſcheibe ſchwebte Schon niedrig, und ihr Purpur uͤberſtrahlte Die Baͤume und die Blumen und den Strom, Der in der Ferne majeſtaͤtiſch floß. “Sehn Sie das große, goldne Auge ſchwimmen Im blauen Waſſer?” rief Maria haſtig. “Still, armes Weſen!” ſprach ich, und ich ſchaute Im Daͤmmerlicht' ein maͤhrchenhaftes Weben. Es ſtiegen Nebelbilder aus den Feldern, Umſchlangen ſich mit weißen, weichen Armen; Die Veilchen ſahn ſich zaͤrtlich an, ſehnſuͤchtig Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche; Aus allen Roſen gluͤhten Wolluſtgluthen! Die Nelken wollten ſich im Hauch' entzuͤnden; In ſel'gen Duͤften ſchwelgten alle Blumen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0101" n="89"/> <l>Sie aber hob ſich in die Hoͤh', nahm raſch</l><lb/> <l>Vom Stuhl den Tuͤrken-Shawl, warf ihn</l><lb/> <l>Um ihren Hals, hing ſich an meinen Arm,</l><lb/> <l>Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthuͤr,</l><lb/> <l>Und zog mich fort durch Feld und Buſch und Au'.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Die gluͤhend rothe Sonnenſcheibe ſchwebte</l><lb/> <l>Schon niedrig, und ihr Purpur uͤberſtrahlte</l><lb/> <l>Die Baͤume und die Blumen und den Strom,</l><lb/> <l>Der in der Ferne majeſtaͤtiſch floß.</l><lb/> <l>“Sehn Sie das große, goldne Auge ſchwimmen</l><lb/> <l>Im blauen Waſſer?” rief Maria haſtig.</l><lb/> <l>“Still, armes Weſen!” ſprach ich, und ich ſchaute</l><lb/> <l>Im Daͤmmerlicht' ein maͤhrchenhaftes Weben.</l><lb/> <l>Es ſtiegen Nebelbilder aus den Feldern,</l><lb/> <l>Umſchlangen ſich mit weißen, weichen Armen;</l><lb/> <l>Die Veilchen ſahn ſich zaͤrtlich an, ſehnſuͤchtig</l><lb/> <l>Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche;</l><lb/> <l>Aus allen Roſen gluͤhten Wolluſtgluthen!</l><lb/> <l>Die Nelken wollten ſich im Hauch' entzuͤnden;</l><lb/> <l>In ſel'gen Duͤften ſchwelgten alle Blumen,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0101]
Sie aber hob ſich in die Hoͤh', nahm raſch
Vom Stuhl den Tuͤrken-Shawl, warf ihn
Um ihren Hals, hing ſich an meinen Arm,
Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthuͤr,
Und zog mich fort durch Feld und Buſch und Au'.
Die gluͤhend rothe Sonnenſcheibe ſchwebte
Schon niedrig, und ihr Purpur uͤberſtrahlte
Die Baͤume und die Blumen und den Strom,
Der in der Ferne majeſtaͤtiſch floß.
“Sehn Sie das große, goldne Auge ſchwimmen
Im blauen Waſſer?” rief Maria haſtig.
“Still, armes Weſen!” ſprach ich, und ich ſchaute
Im Daͤmmerlicht' ein maͤhrchenhaftes Weben.
Es ſtiegen Nebelbilder aus den Feldern,
Umſchlangen ſich mit weißen, weichen Armen;
Die Veilchen ſahn ſich zaͤrtlich an, ſehnſuͤchtig
Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche;
Aus allen Roſen gluͤhten Wolluſtgluthen!
Die Nelken wollten ſich im Hauch' entzuͤnden;
In ſel'gen Duͤften ſchwelgten alle Blumen,
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