Nachläßig angezogen, Busen schlotternd, Die Augen gläsern starr, die Wangenmuskeln Des weißen Angesichtes lederschlaff -- Ach, jenes Weib war doch die einst so schöne, Die blühend holde, liebliche Maria! "Sie waren lang auf Reisen!" sprach sie laut, Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit, "Sie schaun nicht mehr so schmachtend, liebster Freund Sie sind gesund, und pralle Lend' und Wade Bezeugt Solidität". Ein süßlich Lächeln Umzitterte den gelblich blassen Mund. In der Verwirrung sprach's aus mir hervor: "Man sagte mir, Sie haben sich vermählt?" "Ach ja!" sprach sie, gleichgültig laut und lachend, "Hab' einen Stock von Holz, der überzogen Mit Leder ist, bey mir im Bette liegt, Und sich Gemahl nennt. Aber Holz ist Holz!" Und klanglos widrig lachte sie dabey, Daß kalte Angst durch meine Seele rann, Und Zweifel mich ergriff:-- sind das die keuschen, Die blumenzarten Lippen von Maria?
Nachlaͤßig angezogen, Buſen ſchlotternd, Die Augen glaͤſern ſtarr, die Wangenmuskeln Des weißen Angeſichtes lederſchlaff — Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchoͤne, Die bluͤhend holde, liebliche Maria! „Sie waren lang auf Reiſen!“ ſprach ſie laut, Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit, „Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund Sie ſind geſund, und pralle Lend' und Wade Bezeugt Soliditaͤt“. Ein ſuͤßlich Laͤcheln Umzitterte den gelblich blaſſen Mund. In der Verwirrung ſprach's aus mir hervor: „Man ſagte mir, Sie haben ſich vermaͤhlt?“ „Ach ja!“ ſprach ſie, gleichguͤltig laut und lachend, „Hab' einen Stock von Holz, der uͤberzogen Mit Leder iſt, bey mir im Bette liegt, Und ſich Gemahl nennt. Aber Holz iſt Holz!“ Und klanglos widrig lachte ſie dabey, Daß kalte Angſt durch meine Seele rann, Und Zweifel mich ergriff:— ſind das die keuſchen, Die blumenzarten Lippen von Maria?
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Nachlaͤßig angezogen, Buſen ſchlotternd,
Die Augen glaͤſern ſtarr, die Wangenmuskeln
Des weißen Angeſichtes lederſchlaff —
Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchoͤne,
Die bluͤhend holde, liebliche Maria!
„Sie waren lang auf Reiſen!“ ſprach ſie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
„Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund
Sie ſind geſund, und pralle Lend' und Wade
Bezeugt Soliditaͤt“. Ein ſuͤßlich Laͤcheln
Umzitterte den gelblich blaſſen Mund.
In der Verwirrung ſprach's aus mir hervor:
„Man ſagte mir, Sie haben ſich vermaͤhlt?“
„Ach ja!“ ſprach ſie, gleichguͤltig laut und lachend,
„Hab' einen Stock von Holz, der uͤberzogen
Mit Leder iſt, bey mir im Bette liegt,
Und ſich Gemahl nennt. Aber Holz iſt Holz!“
Und klanglos widrig lachte ſie dabey,
Daß kalte Angſt durch meine Seele rann,
Und Zweifel mich ergriff:— ſind das die keuſchen,
Die blumenzarten Lippen von Maria?
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/100>, abgerufen am 23.11.2024.
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