Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Die Wogen murmeln, die Möven schrillen, Alte Erinn'rungen wehen mich an, Vergessene Träume, erloschene Bilder, Qualvoll süße, tauchen hervor! Es lebt ein Weib im Norden, Ein schönes Weib, königlich schön. Die schlanke Zypressengestalt Umschließt ein lüstern weißes Gewand; Die dunkle Lockenfülle, Wie eine selige Nacht, ergießt sich Von dem hohen, flechtengekrönten Haupte, Sie ringelt sich träumerisch süß Um das süße, blasse Antlitz; Und aus dem süßen, blassen Antlitz, Groß und gewaltig, strahlt ein Auge, Wie eine schwarze Sonne. O, du schwarze Sonne, wie oft,
Entzückend oft, trank ich aus dir Die wilden Begeist'rungsflammen, Und stand und taumelte, feuerberauscht -- Dann schwebte ein taubenmildes Lächeln Um die hochgeschürzten, stolzen Lippen, Und die hochgeschürzten, stolzen Lippen Die Wogen murmeln, die Möven ſchrillen, Alte Erinn'rungen wehen mich an, Vergeſſene Träume, erloſchene Bilder, Qualvoll ſüße, tauchen hervor! Es lebt ein Weib im Norden, Ein ſchönes Weib, königlich ſchön. Die ſchlanke Zypreſſengeſtalt Umſchließt ein lüſtern weißes Gewand; Die dunkle Lockenfülle, Wie eine ſelige Nacht, ergießt ſich Von dem hohen, flechtengekrönten Haupte, Sie ringelt ſich träumeriſch ſüß Um das ſüße, blaſſe Antlitz; Und aus dem ſüßen, blaſſen Antlitz, Groß und gewaltig, ſtrahlt ein Auge, Wie eine ſchwarze Sonne. O, du ſchwarze Sonne, wie oft,
Entzückend oft, trank ich aus dir Die wilden Begeiſt'rungsflammen, Und ſtand und taumelte, feuerberauſcht — Dann ſchwebte ein taubenmildes Lächeln Um die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen, Und die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0357" n="349"/> <lg n="2"> <l>Die Wogen murmeln, die Möven ſchrillen,</l><lb/> <l>Alte Erinn'rungen wehen mich an,</l><lb/> <l>Vergeſſene Träume, erloſchene Bilder,</l><lb/> <l>Qualvoll ſüße, tauchen hervor!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Es lebt ein Weib im Norden,</l><lb/> <l>Ein ſchönes Weib, königlich ſchön.</l><lb/> <l>Die ſchlanke Zypreſſengeſtalt</l><lb/> <l>Umſchließt ein lüſtern weißes Gewand;</l><lb/> <l>Die dunkle Lockenfülle,</l><lb/> <l>Wie eine ſelige Nacht, ergießt ſich</l><lb/> <l>Von dem hohen, flechtengekrönten Haupte,</l><lb/> <l>Sie ringelt ſich träumeriſch ſüß</l><lb/> <l>Um das ſüße, blaſſe Antlitz;</l><lb/> <l>Und aus dem ſüßen, blaſſen Antlitz,</l><lb/> <l>Groß und gewaltig, ſtrahlt ein Auge,</l><lb/> <l>Wie eine ſchwarze Sonne.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>O, du ſchwarze Sonne, wie oft,</l><lb/> <l>Entzückend oft, trank ich aus dir</l><lb/> <l>Die wilden Begeiſt'rungsflammen,</l><lb/> <l>Und ſtand und taumelte, feuerberauſcht —</l><lb/> <l>Dann ſchwebte ein taubenmildes Lächeln</l><lb/> <l>Um die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen,</l><lb/> <l>Und die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [349/0357]
Die Wogen murmeln, die Möven ſchrillen,
Alte Erinn'rungen wehen mich an,
Vergeſſene Träume, erloſchene Bilder,
Qualvoll ſüße, tauchen hervor!
Es lebt ein Weib im Norden,
Ein ſchönes Weib, königlich ſchön.
Die ſchlanke Zypreſſengeſtalt
Umſchließt ein lüſtern weißes Gewand;
Die dunkle Lockenfülle,
Wie eine ſelige Nacht, ergießt ſich
Von dem hohen, flechtengekrönten Haupte,
Sie ringelt ſich träumeriſch ſüß
Um das ſüße, blaſſe Antlitz;
Und aus dem ſüßen, blaſſen Antlitz,
Groß und gewaltig, ſtrahlt ein Auge,
Wie eine ſchwarze Sonne.
O, du ſchwarze Sonne, wie oft,
Entzückend oft, trank ich aus dir
Die wilden Begeiſt'rungsflammen,
Und ſtand und taumelte, feuerberauſcht —
Dann ſchwebte ein taubenmildes Lächeln
Um die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen,
Und die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen
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