Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Vom Zelte Gottes, heulend stürzen nieder, Auf's Angesicht, die frommen Engelschaaren. Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott, Reißt sich vom Haupt die Kron', zerrauft sein Haar -- Und näher drängt heran die wilde Rotte; Die Riesen werfen ihre rothen Fackeln In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge schlagen Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken; Die winden sich und krümmen sich vor Qualen, Und werden bei den Haaren fortgeschleudert. Und meinen eignen Engel seh' ich dort, Mit seinen blonden Locken, süßen Zügen, Und mit der ew'gen Liebe um den Mund, Und mit der Seligkeit im blauen Auge -- Und ein entsetzlich häßlich schwarzer Kobold Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel, Beäugelt grinsend seine edlen Glieder, Umschlingt ihn fest mit zärtlicher Umschlingung -- Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall, Die Säulen brechen, Erd' und Himmel stürzen Zusammen, und es herrscht die alte Nacht. Vom Zelte Gottes, heulend ſtürzen nieder, Auf's Angeſicht, die frommen Engelſchaaren. Auf ſeinem Throne ſitzt der bleiche Gott, Reißt ſich vom Haupt die Kron', zerrauft ſein Haar — Und näher drängt heran die wilde Rotte; Die Rieſen werfen ihre rothen Fackeln In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge ſchlagen Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken; Die winden ſich und krümmen ſich vor Qualen, Und werden bei den Haaren fortgeſchleudert. Und meinen eignen Engel ſeh' ich dort, Mit ſeinen blonden Locken, ſüßen Zügen, Und mit der ew'gen Liebe um den Mund, Und mit der Seligkeit im blauen Auge — Und ein entſetzlich häßlich ſchwarzer Kobold Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel, Beäugelt grinſend ſeine edlen Glieder, Umſchlingt ihn feſt mit zärtlicher Umſchlingung — Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall, Die Säulen brechen, Erd' und Himmel ſtürzen Zuſammen, und es herrſcht die alte Nacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0269" n="261"/> <lg n="6"> <l>Vom Zelte Gottes, heulend ſtürzen nieder,</l><lb/> <l>Auf's Angeſicht, die frommen Engelſchaaren.</l><lb/> <l>Auf ſeinem Throne ſitzt der bleiche Gott,</l><lb/> <l>Reißt ſich vom Haupt die Kron', zerrauft ſein Haar —</l><lb/> <l>Und näher drängt heran die wilde Rotte;</l><lb/> <l>Die Rieſen werfen ihre rothen Fackeln</l><lb/> <l>In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge ſchlagen</l><lb/> <l>Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken;</l><lb/> <l>Die winden ſich und krümmen ſich vor Qualen,</l><lb/> <l>Und werden bei den Haaren fortgeſchleudert.</l><lb/> <l>Und meinen eignen Engel ſeh' ich dort,</l><lb/> <l>Mit ſeinen blonden Locken, ſüßen Zügen,</l><lb/> <l>Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,</l><lb/> <l>Und mit der Seligkeit im blauen Auge —</l><lb/> <l>Und ein entſetzlich häßlich ſchwarzer Kobold</l><lb/> <l>Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,</l><lb/> <l>Beäugelt grinſend ſeine edlen Glieder,</l><lb/> <l>Umſchlingt ihn feſt mit zärtlicher Umſchlingung —</l><lb/> <l>Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall,</l><lb/> <l>Die Säulen brechen, Erd' und Himmel ſtürzen</l><lb/> <l>Zuſammen, und es herrſcht die alte Nacht.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [261/0269]
Vom Zelte Gottes, heulend ſtürzen nieder,
Auf's Angeſicht, die frommen Engelſchaaren.
Auf ſeinem Throne ſitzt der bleiche Gott,
Reißt ſich vom Haupt die Kron', zerrauft ſein Haar —
Und näher drängt heran die wilde Rotte;
Die Rieſen werfen ihre rothen Fackeln
In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge ſchlagen
Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken;
Die winden ſich und krümmen ſich vor Qualen,
Und werden bei den Haaren fortgeſchleudert.
Und meinen eignen Engel ſeh' ich dort,
Mit ſeinen blonden Locken, ſüßen Zügen,
Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,
Und mit der Seligkeit im blauen Auge —
Und ein entſetzlich häßlich ſchwarzer Kobold
Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,
Beäugelt grinſend ſeine edlen Glieder,
Umſchlingt ihn feſt mit zärtlicher Umſchlingung —
Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall,
Die Säulen brechen, Erd' und Himmel ſtürzen
Zuſammen, und es herrſcht die alte Nacht.
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Zitationshilfe: | Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/269>, abgerufen am 22.07.2024. |