seine Wahrheit eine vorgegebene ist. Es müsste sie noch immer für seine Wahrheit ausgeben, denn es müsste sich als gegenständliche Vorstellung ausspre- chen und darstellen, aber wüsste, dass diss nur eine Verstellung ist; er wäre hiemit in der That die Heu- cheley, und jenes Verschmähen jener Verstellung schon die erste Aeusserung der Heucheley.
c. Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeyhung.
Die Antinomie der moralischen Weltanschauung, dass es ein moralisches Bewusstseyn gibt, und dass es keines gibt, -- oder das das Gelten der Pflicht ein Jenseits des Bewusstseyns ist, und umgekehrt nur in ihm statt findet, war in die Vorstellung zusam- mengefasst worden, worin das nichtmoralische Be- wusstseyn für moralisch gelte, sein zufälliges Wis- sen und Wollen für vollwichtig angenommen, und die Glückseligkeit ihm aus Gnade zu Theil werde. Diese sich selbst widersprechende Vorstellung nahm das moralische Selbstbewusstseyn nicht über sich, sondern verlegte sie in ein ihm andres Wesen. Aber diss Hinaussetzen dessen, was es als nothwendig den- ken muss, ausser sich selbst, ist ebenso der Wider- spruch der Form nach, wie jener es dem Inhalte
seine Wahrheit eine vorgegebene ist. Es müſste sie noch immer für seine Wahrheit ausgeben, denn es müſste sich als gegenständliche Vorstellung ausſpre- chen und darstellen, aber wüſste, daſs diſs nur eine Verstellung ist; er wäre hiemit in der That die Heu- cheley, und jenes Verschmähen jener Verstellung schon die erste Aeuſſerung der Heucheley.
c. Das Gewiſſen, die ſchöne Seele, das Böſe und ſeine Verzeyhung.
Die Antinomie der moralischen Weltanschauung, daſs es ein moralisches Bewuſstseyn gibt, und daſs es keines gibt, — oder das das Gelten der Pflicht ein Jenseits des Bewuſstseyns ist, und umgekehrt nur in ihm statt findet, war in die Vorstellung zusam- mengefaſst worden, worin das nichtmoralische Be- wuſstseyn für moralisch gelte, sein zufälliges Wis- sen und Wollen für vollwichtig angenommen, und die Glückseligkeit ihm aus Gnade zu Theil werde. Diese sich selbst widersprechende Vorstellung nahm das moralische Selbſtbewuſstseyn nicht über sich, sondern verlegte sie in ein ihm andres Wesen. Aber diſs Hinausſetzen deſſen, was es als nothwendig den- ken muſs, auſſer sich selbst, ist ebenso der Wider- spruch der Form nach, wie jener es dem Inhalte
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seine Wahrheit eine vorgegebene ist. Es müſste sie
noch immer für seine Wahrheit ausgeben, denn es
müſste sich als gegenständliche Vorstellung ausſpre-
chen und darstellen, aber wüſste, daſs diſs nur eine
Verstellung ist; er wäre hiemit in der That die Heu-
cheley, und jenes Verschmähen jener Verstellung
schon die erste Aeuſſerung der Heucheley.
c.
Das Gewiſſen,
die ſchöne Seele,
das Böſe und ſeine Verzeyhung.
Die Antinomie der moralischen Weltanschauung,
daſs es ein moralisches Bewuſstseyn gibt, und daſs
es keines gibt, — oder das das Gelten der Pflicht
ein Jenseits des Bewuſstseyns ist, und umgekehrt nur
in ihm statt findet, war in die Vorstellung zusam-
mengefaſst worden, worin das nichtmoralische Be-
wuſstseyn für moralisch gelte, sein zufälliges Wis-
sen und Wollen für vollwichtig angenommen, und
die Glückseligkeit ihm aus Gnade zu Theil werde.
Diese sich selbst widersprechende Vorstellung nahm
das moralische Selbſtbewuſstseyn nicht über sich,
sondern verlegte sie in ein ihm andres Wesen. Aber
diſs Hinausſetzen deſſen, was es als nothwendig den-
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/690>, abgerufen am 22.12.2024.
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