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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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das heilige Wesen nicht geheiliget werden. Es ist
dem moralischen Bewusstseyn auch überhaupt damit
nicht Ernst, etwas durch ein anderes Bewusstseyn,
als es selbst ist, heiligen zu lassen; denn es ist ihm
schlechthin nur das heilig, was ihm durch sich selbst
und in ihm
heilig ist. -- Es ist also ebensowenig da-
mit Ernst, dass diss andere Wesen ein heiliges sey,
denn in ihm sollte etwas zur Wesenheit gelangen,
was für das moralische Bewusstseyn d. h. an sich kei-
ne Wesenheit hat.

Wenn das heilige Wesen postulirt wurde, dass
in ihm die Pflicht nicht als reine Pflicht, sondern
als eine Vielheit bestimmter Pflichten ihre Gültigkeit
hätte, so muss also dieses wieder verstellt, und das
andere Wesen allein insofern heilig seyn, als in ihm
nur die reine Pflicht Gültigkeit hat. Die reine Pflicht
hat auch in der That Gültigkeit nur in einem an-
dern Wesen, nicht in dem moralischen Bewusst-
seyn. Obschon in ihm die reine Moralität allein
zu gelten scheint, so muss doch dieses anders gestellt
werden, denn es ist zugleich natürliches Bewusst-
seyn. Die Moralität ist in ihm von der Sinnlichkeit
afficirt und bedingt, also nicht an und für sich, son-
dern eine Zufälligkeit des freyen Willens; in ihm
aber als reinem Willen eine Zufälligkeit des Wissens;
an und für sich ist die Moralität daher in einem andern
Wesen.

Dieses Wesen ist also hier die rein vollen-
dete Moralität darum, weil sie in ihm nicht in Be-

das heilige Wesen nicht geheiliget werden. Es ist
dem moralischen Bewuſstſeyn auch überhaupt damit
nicht Ernst, etwas durch ein anderes Bewuſstseyn,
als es selbst ist, heiligen zu laſſen; denn es ist ihm
schlechthin nur das heilig, was ihm durch sich selbst
und in ihm
heilig ist. — Es ist also ebensowenig da-
mit Ernst, daſs diſs andere Wesen ein heiliges sey,
denn in ihm sollte etwas zur Wesenheit gelangen,
was für das moralische Bewuſstseyn d. h. an sich kei-
ne Wesenheit hat.

Wenn das heilige Wesen postulirt wurde, daſs
in ihm die Pflicht nicht als reine Pflicht, sondern
als eine Vielheit bestimmter Pflichten ihre Gültigkeit
hätte, so muſs also dieses wieder verstellt, und das
andere Wesen allein insofern heilig seyn, als in ihm
nur die reine Pflicht Gültigkeit hat. Die reine Pflicht
hat auch in der That Gültigkeit nur in einem an-
dern Wesen, nicht in dem moralischen Bewuſst-
seyn. Obschon in ihm die reine Moralität allein
zu gelten scheint, so muſs doch dieses anders gestellt
werden, denn es ist zugleich natürliches Bewuſst-
seyn. Die Moralität ist in ihm von der Sinnlichkeit
afficirt und bedingt, also nicht an und für sich, son-
dern eine Zufälligkeit des freyen Willens; in ihm
aber als reinem Willen eine Zufälligkeit des Wiſſens;
an und für sich ist die Moralität daher in einem andern
Wesen.

Dieses Wesen ist also hier die rein vollen-
dete Moralität darum, weil sie in ihm nicht in Be-

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[576/0685] das heilige Wesen nicht geheiliget werden. Es ist dem moralischen Bewuſstſeyn auch überhaupt damit nicht Ernst, etwas durch ein anderes Bewuſstseyn, als es selbst ist, heiligen zu laſſen; denn es ist ihm schlechthin nur das heilig, was ihm durch sich selbst und in ihm heilig ist. — Es ist also ebensowenig da- mit Ernst, daſs diſs andere Wesen ein heiliges sey, denn in ihm sollte etwas zur Wesenheit gelangen, was für das moralische Bewuſstseyn d. h. an sich kei- ne Wesenheit hat. Wenn das heilige Wesen postulirt wurde, daſs in ihm die Pflicht nicht als reine Pflicht, sondern als eine Vielheit bestimmter Pflichten ihre Gültigkeit hätte, so muſs also dieses wieder verstellt, und das andere Wesen allein insofern heilig seyn, als in ihm nur die reine Pflicht Gültigkeit hat. Die reine Pflicht hat auch in der That Gültigkeit nur in einem an- dern Wesen, nicht in dem moralischen Bewuſst- seyn. Obschon in ihm die reine Moralität allein zu gelten scheint, so muſs doch dieses anders gestellt werden, denn es ist zugleich natürliches Bewuſst- seyn. Die Moralität ist in ihm von der Sinnlichkeit afficirt und bedingt, also nicht an und für sich, son- dern eine Zufälligkeit des freyen Willens; in ihm aber als reinem Willen eine Zufälligkeit des Wiſſens; an und für sich ist die Moralität daher in einem andern Wesen. Dieses Wesen ist also hier die rein vollen- dete Moralität darum, weil sie in ihm nicht in Be-

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/685>, abgerufen am 22.11.2024.