Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

über die natürliche Existenz und über die Habsucht
um ihre Mittel; nur findet sie es thörigt und unrecht,
dass diese Erhebung durch die That bewiesen werden
soll, oder diese reine Absicht ist in Wahrheit Betrug,
welche eine innerliche Erhebung vorgibt und fodert,
aber Ernst daraus zu machen, sie wirklich ins Werk zu
richten, und ihre Wahrheit zu erweisen für überflüssig,
thörigt, und selbst für unrecht ausgibt. -- Sie ver-
leugnet sich also sowohl als reine Einsicht, denn sie
verläugnet das unmittelbar zweckmässiige Thun, wie
als reine Absicht, denn sie verleugnet die Absicht, sich
von den Zwecken der Einzelnheit befreyt zu er-
weisen.

So gibt die Aufklärung sich dem Glauben zu erfah-
ren. Sie tritt in diesem schlechten Aussehen auf, weil
sie eben durch das Verhältniss zu einem andern sich
eine negative Realität gibt, oder sich als das Gegentheil
ihrer selbst darstellt; die reine Einsicht und Absicht
muss sich aber diss Verhältniss geben, denn es ist ihre
Verwirklichung. -- Diese erschien zunächst als nega-
tive Realität. Vielleicht ist ihre positive Realität besser
beschaffen; sehen wir, wie diese sich verhält. -- Wenn
alles Vorurtheil und Aberglauben verbannt worden,
so tritt die Frage ein, was nun weiter? Welches ist die
Wahrheit, welche die Aufklärung statt jener verbreitet
hat?
-- Sie hat diesen positiven Inhalt in ihrem Aus-
rotten des Irrthums schon ausgesprochen, denn jene Ent-
fremdung ihrer selbst ist ebensosehr ihre positive Rea-
lität. -- An demjenigen, was dem Glauben absoluter

über die natürliche Exiſtenz und über die Habſucht
um ihre Mittel; nur findet ſie es thörigt und unrecht,
daſs dieſe Erhebung durch die That bewieſen werden
ſoll, oder dieſe reine Abſicht iſt in Wahrheit Betrug,
welche eine innerliche Erhebung vorgibt und fodert,
aber Ernſt daraus zu machen, ſie wirklich ins Werk zu
richten, und ihre Wahrheit zu erweiſen für überflüſſig,
thörigt, und ſelbſt für unrecht ausgibt. — Sie ver-
leugnet ſich alſo ſowohl als reine Einſicht, denn ſie
verläugnet das unmittelbar zweckmäſſiige Thun, wie
als reine Abſicht, denn ſie verleugnet die Abſicht, ſich
von den Zwecken der Einzelnheit befreyt zu er-
weiſen.

So gibt die Aufklärung ſich dem Glauben zu erfah-
ren. Sie tritt in dieſem ſchlechten Ausſehen auf, weil
ſie eben durch das Verhältniſs zu einem andern ſich
eine negative Realität gibt, oder ſich als das Gegentheil
ihrer ſelbſt darſtellt; die reine Einſicht und Abſicht
muſs ſich aber diſs Verhältniſs geben, denn es iſt ihre
Verwirklichung. — Dieſe erſchien zunächſt als nega-
tive Realität. Vielleicht iſt ihre poſitive Realität beſſer
beſchaffen; ſehen wir, wie dieſe ſich verhält. — Wenn
alles Vorurtheil und Aberglauben verbannt worden,
ſo tritt die Frage ein, was nun weiter? Welches iſt die
Wahrheit, welche die Aufklärung ſtatt jener verbreitet
hat?
— Sie hat dieſen poſitiven Inhalt in ihrem Aus-
rotten des Irrthums ſchon ausgeſprochen, denn jene Ent-
fremdung ihrer ſelbſt iſt ebenſoſehr ihre poſitive Rea-
lität. — An demjenigen, was dem Glauben abſoluter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0615" n="506"/>
über die natürliche Exi&#x017F;tenz und über die Hab&#x017F;ucht<lb/>
um ihre Mittel; nur findet &#x017F;ie es thörigt und unrecht,<lb/>
da&#x017F;s die&#x017F;e Erhebung <hi rendition="#i">durch die That</hi> bewie&#x017F;en werden<lb/>
&#x017F;oll, oder die&#x017F;e reine Ab&#x017F;icht i&#x017F;t in Wahrheit Betrug,<lb/>
welche eine <hi rendition="#i">innerliche</hi> Erhebung vorgibt und fodert,<lb/>
aber Ern&#x017F;t daraus zu machen, &#x017F;ie <hi rendition="#i">wirklich ins Werk</hi> zu<lb/>
richten, und <hi rendition="#i">ihre Wahrheit zu erwei&#x017F;en</hi> für überflü&#x017F;&#x017F;ig,<lb/>
thörigt, und &#x017F;elb&#x017F;t für unrecht ausgibt. &#x2014; Sie ver-<lb/>
leugnet &#x017F;ich al&#x017F;o &#x017F;owohl als reine Ein&#x017F;icht, denn &#x017F;ie<lb/>
verläugnet das unmittelbar zweckmä&#x017F;&#x017F;iige Thun, wie<lb/>
als reine Ab&#x017F;icht, denn &#x017F;ie verleugnet die Ab&#x017F;icht, &#x017F;ich<lb/>
von den Zwecken der Einzelnheit befreyt zu er-<lb/>
wei&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>So gibt die Aufklärung &#x017F;ich dem Glauben zu erfah-<lb/>
ren. Sie tritt in die&#x017F;em &#x017F;chlechten Aus&#x017F;ehen auf, weil<lb/>
&#x017F;ie eben durch das Verhältni&#x017F;s zu einem andern &#x017F;ich<lb/>
eine <hi rendition="#i">negative Realität</hi> gibt, oder &#x017F;ich als das Gegentheil<lb/>
ihrer &#x017F;elb&#x017F;t dar&#x017F;tellt; die reine Ein&#x017F;icht und Ab&#x017F;icht<lb/>
mu&#x017F;s &#x017F;ich aber di&#x017F;s Verhältni&#x017F;s geben, denn es i&#x017F;t ihre<lb/>
Verwirklichung. &#x2014; Die&#x017F;e er&#x017F;chien zunäch&#x017F;t als nega-<lb/>
tive Realität. Vielleicht i&#x017F;t ihre <hi rendition="#i">po&#x017F;itive Realität</hi> be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
be&#x017F;chaffen; &#x017F;ehen wir, wie die&#x017F;e &#x017F;ich verhält. &#x2014; Wenn<lb/>
alles Vorurtheil und Aberglauben verbannt worden,<lb/>
&#x017F;o tritt die Frage ein, <hi rendition="#i">was nun weiter? Welches i&#x017F;t die<lb/>
Wahrheit, welche die Aufklärung &#x017F;tatt jener verbreitet<lb/>
hat?</hi> &#x2014; Sie hat die&#x017F;en po&#x017F;itiven Inhalt in ihrem Aus-<lb/>
rotten des Irrthums &#x017F;chon ausge&#x017F;prochen, denn jene Ent-<lb/>
fremdung ihrer &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t eben&#x017F;o&#x017F;ehr ihre po&#x017F;itive Rea-<lb/>
lität. &#x2014; An demjenigen, was dem Glauben ab&#x017F;oluter<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[506/0615] über die natürliche Exiſtenz und über die Habſucht um ihre Mittel; nur findet ſie es thörigt und unrecht, daſs dieſe Erhebung durch die That bewieſen werden ſoll, oder dieſe reine Abſicht iſt in Wahrheit Betrug, welche eine innerliche Erhebung vorgibt und fodert, aber Ernſt daraus zu machen, ſie wirklich ins Werk zu richten, und ihre Wahrheit zu erweiſen für überflüſſig, thörigt, und ſelbſt für unrecht ausgibt. — Sie ver- leugnet ſich alſo ſowohl als reine Einſicht, denn ſie verläugnet das unmittelbar zweckmäſſiige Thun, wie als reine Abſicht, denn ſie verleugnet die Abſicht, ſich von den Zwecken der Einzelnheit befreyt zu er- weiſen. So gibt die Aufklärung ſich dem Glauben zu erfah- ren. Sie tritt in dieſem ſchlechten Ausſehen auf, weil ſie eben durch das Verhältniſs zu einem andern ſich eine negative Realität gibt, oder ſich als das Gegentheil ihrer ſelbſt darſtellt; die reine Einſicht und Abſicht muſs ſich aber diſs Verhältniſs geben, denn es iſt ihre Verwirklichung. — Dieſe erſchien zunächſt als nega- tive Realität. Vielleicht iſt ihre poſitive Realität beſſer beſchaffen; ſehen wir, wie dieſe ſich verhält. — Wenn alles Vorurtheil und Aberglauben verbannt worden, ſo tritt die Frage ein, was nun weiter? Welches iſt die Wahrheit, welche die Aufklärung ſtatt jener verbreitet hat? — Sie hat dieſen poſitiven Inhalt in ihrem Aus- rotten des Irrthums ſchon ausgeſprochen, denn jene Ent- fremdung ihrer ſelbſt iſt ebenſoſehr ihre poſitive Rea- lität. — An demjenigen, was dem Glauben abſoluter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/615
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/615>, abgerufen am 26.11.2024.