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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

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Sie spricht hievon, als ob durch ein Hokuspokus
der taschenspielerischen Priester dem Bewusstseyn et-
was absolut Fremdes und Anderes für das Wesen
untergeschoben würde, und sagt zugleich, dass diss
ein Wesen des Bewusstseyns sey, dass es daran
glaube, ihm vertraue und sich es geneigt zu machen
suche; -- das heisst, dass es darin sein reines Wesen
ebensosehr als seine einzelne und allgemeine Indivi-
dualität
anschaue, und durch sein Thun diese Ein-
heit seiner selbst mit seinem Wesen, hervorbringe.
Sie sagt unmittelbar das, was sie als ein dem Be-
wusstseyn Fremdes aussagt, als das eigenste desselben
aus. -- Wie mag also sie von Betrug und Täuschung
sprechen? Indem sie unmittelbar das Gegentheil des-
sen, was sie vom Glauben behauptet, selbst von ihm
ausspricht, zeigt sie diesem vielmehr sich als die be-
wusste Lüge. Wie soll Täuschung und Betrug da
statt finden, wo das Bewusstseyn in seiner Wahr-
heit unmittelbar die Gewissheit seiner selbst hat; wo
es in seinem Gegenstande sich selbst besitzt, indem
es sich ebensowohl darin findet als hervorbringt.
Der Unterschied ist sogar in den Worten nicht
mehr vorhanden. -- Wenn die allgemeine Frage
aufgestellt worden ist: ob es erlaubt sey, ein Volk zu
täuschen
, so müsste in der That die Antwort seyn,
dass die Frage nichts tauge; weil es unmöglich ist,
hierin ein Volk zu täuschen. -- Messing statt Golds,
nachgemachte Wechsel statt ächter mögen wohl ein-
zeln verkauft, eine verlorne Schlacht als eine ge-

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Sie ſpricht hievon, als ob durch ein Hokuspokus
der taſchenſpielerischen Prieſter dem Bewuſstseyn et-
was abſolut Fremdes und Anderes für das Wesen
untergeſchoben würde, und ſagt zugleich, daſs diſs
ein Wesen des Bewuſstseyns ſey, daſs es daran
glaube, ihm vertraue und sich es geneigt zu machen
suche; — das heiſst, daſs es darin sein reines Wesen
ebensosehr als seine einzelne und allgemeine Indivi-
dualität
anſchaue, und durch sein Thun dieſe Ein-
heit seiner selbſt mit seinem Wesen, hervorbringe.
Sie sagt unmittelbar das, was sie als ein dem Be-
wuſstseyn Fremdes ausſagt, als das eigenſte deſſelben
aus. — Wie mag alſo sie von Betrug und Täuſchung
ſprechen? Indem sie unmittelbar das Gegentheil des-
sen, was sie vom Glauben behauptet, selbſt von ihm
ausſpricht, zeigt sie diesem vielmehr sich als die be-
wuſste Lüge. Wie soll Täuſchung und Betrug da
ſtatt finden, wo das Bewuſstseyn in seiner Wahr-
heit unmittelbar die Gewiſsheit seiner selbſt hat; wo
es in seinem Gegenſtande sich selbſt besitzt, indem
es sich ebensowohl darin findet als hervorbringt.
Der Unterſchied ist sogar in den Worten nicht
mehr vorhanden. — Wenn die allgemeine Frage
aufgeſtellt worden ist: ob es erlaubt sey, ein Volk zu
täuſchen
, so müſste in der That die Antwort ſeyn,
daſs die Frage nichts tauge; weil es unmöglich ist,
hierin ein Volk zu täuſchen. — Meſsing ſtatt Golds,
nachgemachte Wechsel ſtatt ächter mögen wohl ein-
zeln verkauft, eine verlorne Schlacht als eine ge-

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[499/0608] Sie ſpricht hievon, als ob durch ein Hokuspokus der taſchenſpielerischen Prieſter dem Bewuſstseyn et- was abſolut Fremdes und Anderes für das Wesen untergeſchoben würde, und ſagt zugleich, daſs diſs ein Wesen des Bewuſstseyns ſey, daſs es daran glaube, ihm vertraue und sich es geneigt zu machen suche; — das heiſst, daſs es darin sein reines Wesen ebensosehr als seine einzelne und allgemeine Indivi- dualität anſchaue, und durch sein Thun dieſe Ein- heit seiner selbſt mit seinem Wesen, hervorbringe. Sie sagt unmittelbar das, was sie als ein dem Be- wuſstseyn Fremdes ausſagt, als das eigenſte deſſelben aus. — Wie mag alſo sie von Betrug und Täuſchung ſprechen? Indem sie unmittelbar das Gegentheil des- sen, was sie vom Glauben behauptet, selbſt von ihm ausſpricht, zeigt sie diesem vielmehr sich als die be- wuſste Lüge. Wie soll Täuſchung und Betrug da ſtatt finden, wo das Bewuſstseyn in seiner Wahr- heit unmittelbar die Gewiſsheit seiner selbſt hat; wo es in seinem Gegenſtande sich selbſt besitzt, indem es sich ebensowohl darin findet als hervorbringt. Der Unterſchied ist sogar in den Worten nicht mehr vorhanden. — Wenn die allgemeine Frage aufgeſtellt worden ist: ob es erlaubt sey, ein Volk zu täuſchen, so müſste in der That die Antwort ſeyn, daſs die Frage nichts tauge; weil es unmöglich ist, hierin ein Volk zu täuſchen. — Meſsing ſtatt Golds, nachgemachte Wechsel ſtatt ächter mögen wohl ein- zeln verkauft, eine verlorne Schlacht als eine ge- I i 2

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/608>, abgerufen am 22.11.2024.