Von jeder einzelnen Seite kann das Selbstbe- wusstseyn abstrahiren, und behält darum in einer Verbindlichkeit, die eine solche betrifft, sein An- erkanntseyn und Ansichgelten als für sich seyenden Wesens. Hier aber sieht es sich von der Seite sei- ner reinen eigensten Wirklichkeit, oder seines Ichs ausser sich und einem Andern angehörig, sieht seine Persönlichkeit als solche abhängig von der zufälligen Persönlichkeit eines andern, von dem Zufall eines Augenbliks, einer Willkühr oder sonst des gleich- gültigsten Umstandes. -- Im Rechtszustande erscheint, was in der Gewalt des gegenständlichen Wesens ist, als ein zufalliger Inhalt, von dem abstrahirt wer- den kann, und die Gewalt betrifft nicht das Selbst als solches, sondern dieses ist vielmehr anerkannt. Allein hier sieht es die Gewissheit seiner als solche das wesenloseste, die reine Persönlichkeit absolute Unpersönlichkeit zu seyn. Der Geist seines Dankes ist daher das Gefühl wie dieser tiefsten Verworfen- heit so auch der tiefsten Empörung. Indem das reine Ich selbst sich ausser sich und zerrissen an- schaut, ist in dieser Zerrissenheit zugleich alles, was Continuität und Allgemeinheit hat, was Gesetz, gut und recht heisst, auseinander und zu Grunde gegan- gen; alles gleiche ist aufgelöst, denn die reinste Un- gleichheit, die absolute Unwesentlichkeit des absolut wesentlichen, das ausser sich seyn des Fürsichseyns ist vorhanden; das reine Ich selbst ist absolut zer- setzt.
Von jeder einzelnen Seite kann das Selbstbe- wuſstseyn abſtrahiren, und behält darum in einer Verbindlichkeit, die eine ſolche betrifft, sein An- erkanntseyn und Ansichgelten als für sich seyenden Weſens. Hier aber sieht es sich von der Seite sei- ner reinen eigenſten Wirklichkeit, oder seines Ichs auſſer sich und einem Andern angehörig, sieht seine Persönlichkeit als solche abhängig von der zufälligen Perſönlichkeit eines andern, von dem Zufall eines Augenbliks, einer Willkühr oder ſonſt des gleich- gültigſten Umſtandes. — Im Rechtszuſtande erscheint, was in der Gewalt des gegenſtändlichen Wesens ist, als ein zufalliger Inhalt, von dem abſtrahirt wer- den kann, und die Gewalt betrifft nicht das Selbst als solches, sondern dieſes ist vielmehr anerkannt. Allein hier sieht es die Gewiſsheit seiner als solche das weſenloseſte, die reine Persönlichkeit abſolute Unpersönlichkeit zu seyn. Der Geiſt seines Dankes ist daher das Gefühl wie dieſer tiefſten Verworfen- heit so auch der tiefſten Empörung. Indem das reine Ich selbſt sich auſſer sich und zerriſſen an- schaut, ist in dieser Zerriſſenheit zugleich alles, was Continuität und Allgemeinheit hat, was Gesetz, gut und recht heiſst, auseinander und zu Grunde gegan- gen; alles gleiche ist aufgelöſt, denn die reinste Un- gleichheit, die absolute Unwesentlichkeit des absolut weſentlichen, das auſſer sich seyn des Fürsichseyns ist vorhanden; das reine Ich selbſt ist absolut zer- setzt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0571"n="462"/><p>Von jeder einzelnen Seite kann das Selbstbe-<lb/>
wuſstseyn abſtrahiren, und behält darum in einer<lb/>
Verbindlichkeit, die eine ſolche betrifft, sein An-<lb/>
erkanntseyn und <hirendition="#i">Ansichgelten</hi> als für sich seyenden<lb/>
Weſens. Hier aber sieht es sich von der Seite sei-<lb/>
ner reinen eigenſten <hirendition="#i">Wirklichkeit</hi>, oder seines Ichs<lb/>
auſſer sich und einem Andern angehörig, sieht seine<lb/><hirendition="#i">Persönlichkeit</hi> als solche abhängig von der zufälligen<lb/>
Perſönlichkeit eines andern, von dem Zufall eines<lb/>
Augenbliks, einer Willkühr oder ſonſt des gleich-<lb/>
gültigſten Umſtandes. — Im Rechtszuſtande erscheint,<lb/>
was in der Gewalt des gegenſtändlichen Wesens<lb/>
ist, als ein <hirendition="#i">zufalliger Inhalt</hi>, von dem abſtrahirt wer-<lb/>
den kann, und die Gewalt betrifft nicht das <hirendition="#i">Selbst</hi><lb/>
als <hirendition="#i">solches</hi>, sondern dieſes ist vielmehr anerkannt.<lb/>
Allein hier sieht es die Gewiſsheit seiner als solche<lb/>
das weſenloseſte, die reine Persönlichkeit abſolute<lb/>
Unpersönlichkeit zu seyn. Der Geiſt seines Dankes<lb/>
ist daher das Gefühl wie dieſer tiefſten Verworfen-<lb/>
heit so auch der tiefſten Empörung. Indem das<lb/>
reine Ich selbſt sich auſſer sich und zerriſſen an-<lb/>
schaut, ist in dieser Zerriſſenheit zugleich alles, was<lb/>
Continuität und Allgemeinheit hat, was Gesetz, gut<lb/>
und recht heiſst, auseinander und zu Grunde gegan-<lb/>
gen; alles gleiche ist aufgelöſt, denn die <hirendition="#i">reinste Un-<lb/>
gleichheit</hi>, die absolute Unwesentlichkeit des absolut<lb/>
weſentlichen, das auſſer sich seyn des Fürsichseyns<lb/>
ist vorhanden; das reine Ich selbſt ist absolut zer-<lb/>
setzt.</p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[462/0571]
Von jeder einzelnen Seite kann das Selbstbe-
wuſstseyn abſtrahiren, und behält darum in einer
Verbindlichkeit, die eine ſolche betrifft, sein An-
erkanntseyn und Ansichgelten als für sich seyenden
Weſens. Hier aber sieht es sich von der Seite sei-
ner reinen eigenſten Wirklichkeit, oder seines Ichs
auſſer sich und einem Andern angehörig, sieht seine
Persönlichkeit als solche abhängig von der zufälligen
Perſönlichkeit eines andern, von dem Zufall eines
Augenbliks, einer Willkühr oder ſonſt des gleich-
gültigſten Umſtandes. — Im Rechtszuſtande erscheint,
was in der Gewalt des gegenſtändlichen Wesens
ist, als ein zufalliger Inhalt, von dem abſtrahirt wer-
den kann, und die Gewalt betrifft nicht das Selbst
als solches, sondern dieſes ist vielmehr anerkannt.
Allein hier sieht es die Gewiſsheit seiner als solche
das weſenloseſte, die reine Persönlichkeit abſolute
Unpersönlichkeit zu seyn. Der Geiſt seines Dankes
ist daher das Gefühl wie dieſer tiefſten Verworfen-
heit so auch der tiefſten Empörung. Indem das
reine Ich selbſt sich auſſer sich und zerriſſen an-
schaut, ist in dieser Zerriſſenheit zugleich alles, was
Continuität und Allgemeinheit hat, was Gesetz, gut
und recht heiſst, auseinander und zu Grunde gegan-
gen; alles gleiche ist aufgelöſt, denn die reinste Un-
gleichheit, die absolute Unwesentlichkeit des absolut
weſentlichen, das auſſer sich seyn des Fürsichseyns
ist vorhanden; das reine Ich selbſt ist absolut zer-
setzt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/571>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.