oder als Verhältniss der Empfindung. Die thätige Liebe, -- denn eine unthätige hat kein Seyn, und ist darum wohl nicht gemeynt, -- geht darauf, Ue- bel von einem Menschen abzusondern, und ihm Gu- tes zuzufügen. Zu diesem Behuff muss unterschie- den werden, was an ihm das Uebel, was gegen diss Uebel das zweckmässige Gute, und was überhaupt sein Wohl ist; das heisst, ich muss ihn mit Verstand lieben; unverständige Liebe wird ihm schaden, viel- leicht mehr als Hass. Das verständige wesentliche Wohlthun ist aber in seiner reichsten und wichtig- sten Gestalt, das verständige allgemeine Thun des Staats, -- ein Thun, mit welchem verglichen das Thun des Einzelnen als eines Einzelnen etwas überhaupt so geringfügiges wird, dass es fast nicht der Mühe werth ist, davon zu sprechen. Jenes Thun ist dabey von so grosser Macht, dass, wenn das einzelne Thun sich ihm entgegensetzen, und entweder geradezu für sich Verbrechen seyn oder einem andern zu Lie- be das Allgemeine um das Recht und den An- theil, welchen es an ihm hat, betrügen wollte, es überhaupt unnütz seyn, und unwiderstehlich zer- stört werden würde. Es bleibt dem Wohlthun, wel- ches Empfindung ist, nur die Bedeutung eines ganz einzelnen Thuns, einer Nothhülffe, die ebenso zu- fällig als augenblicklich ist. Der Zufall bestimmt nicht nur seine Gelegenheit, sondern auch diss, ob es überhaupt ein Werk ist, ob es nicht sogleich wie- der aufgelöst, und selbst vielmehr in Uebel verkehrt
oder als Verhältniſs der Empfindung. Die thätige Liebe, — denn eine unthätige hat kein Seyn, und ist darum wohl nicht gemeynt, — geht darauf, Ue- bel von einem Menschen abzusondern, und ihm Gu- tes zuzufügen. Zu diesem Behuff muſs unterschie- den werden, was an ihm das Uebel, was gegen diſs Uebel das zweckmäſsige Gute, und was überhaupt sein Wohl ist; das heiſst, ich muſs ihn mit Verstand lieben; unverständige Liebe wird ihm schaden, viel- leicht mehr als Haſs. Das verständige wesentliche Wohlthun ist aber in seiner reichsten und wichtig- sten Gestalt, das verständige allgemeine Thun des Staats, — ein Thun, mit welchem verglichen das Thun des Einzelnen als eines Einzelnen etwas überhaupt so geringfügiges wird, daſs es fast nicht der Mühe werth ist, davon zu sprechen. Jenes Thun ist dabey von so groſser Macht, daſs, wenn das einzelne Thun sich ihm entgegensetzen, und entweder geradezu für sich Verbrechen seyn oder einem andern zu Lie- be das Allgemeine um das Recht und den An- theil, welchen es an ihm hat, betrügen wollte, es überhaupt unnütz seyn, und unwiderstehlich zer- stört werden würde. Es bleibt dem Wohlthun, wel- ches Empfindung ist, nur die Bedeutung eines ganz einzelnen Thuns, einer Nothhülffe, die ebenso zu- fällig als augenblicklich ist. Der Zufall bestimmt nicht nur seine Gelegenheit, sondern auch diſs, ob es überhaupt ein Werk ist, ob es nicht sogleich wie- der aufgelöst, und selbst vielmehr in Uebel verkehrt
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oder als Verhältniſs der Empfindung. Die thätige
Liebe, — denn eine unthätige hat kein Seyn, und
ist darum wohl nicht gemeynt, — geht darauf, Ue-
bel von einem Menschen abzusondern, und ihm Gu-
tes zuzufügen. Zu diesem Behuff muſs unterschie-
den werden, was an ihm das Uebel, was gegen diſs
Uebel das zweckmäſsige Gute, und was überhaupt
sein Wohl ist; das heiſst, ich muſs ihn mit Verstand
lieben; unverständige Liebe wird ihm schaden, viel-
leicht mehr als Haſs. Das verständige wesentliche
Wohlthun ist aber in seiner reichsten und wichtig-
sten Gestalt, das verständige allgemeine Thun des
Staats, — ein Thun, mit welchem verglichen das Thun
des Einzelnen als eines Einzelnen etwas überhaupt so
geringfügiges wird, daſs es fast nicht der Mühe werth
ist, davon zu sprechen. Jenes Thun ist dabey von
so groſser Macht, daſs, wenn das einzelne Thun sich
ihm entgegensetzen, und entweder geradezu für
sich Verbrechen seyn oder einem andern zu Lie-
be das Allgemeine um das Recht und den An-
theil, welchen es an ihm hat, betrügen wollte, es
überhaupt unnütz seyn, und unwiderstehlich zer-
stört werden würde. Es bleibt dem Wohlthun, wel-
ches Empfindung ist, nur die Bedeutung eines ganz
einzelnen Thuns, einer Nothhülffe, die ebenso zu-
fällig als augenblicklich ist. Der Zufall bestimmt
nicht nur seine Gelegenheit, sondern auch diſs, ob
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/472>, abgerufen am 25.11.2024.
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