Schwanken zwischen Bewahren und Aufopfern seyn; oder vielmehr kann weder Aufopferung des Eignen, noch Verletzung des Fremden stattfinden. Die Tu- gend gleicht nicht nur jenem Streiter, dem es im Kampfe allein darum zu thun ist, sein Schwerdt blank zu erhalten, sondern sie hat auch den Streit darum begonnen, die Waffen zu bewahren; und nicht nur kann sie die ihrigen nicht gebrauchen, son- dern muss auch die des Feindes unverletzt erhalten, und sie gegen sich selbst schützen, denn alle sind edle Theile des Guten, für welches sie in den Kampf ging.
Diesem Feinde dagegen ist nicht das Ansich, son- dern die Individualität das Wesen; seine Krafft also das negative Princip, welchem nichts bestehend und absolut heilig ist, sondern welches den Verlust von Allem und Jedem wagen und ertragen kann. Hie- durch ist ihm der Sieg ebensosehr an ihm selbst ge- wiss, als durch den Widerspruch, in welchen sich sein Gegner verwickelt. Was der Tugend ansich ist, ist dem Weltlauffe nur für ihn; er ist frey von jedem Momente, das für sie fest und woran sie ge- bunden ist. Er hat ein solches Moment dadurch, dass es für ihm nur als ein solches gilt, das er eben- sowohl aufheben als bestehen lassen kann, in seiner Gewalt; und damit auch den daran befestigten tu- gendhafften Ritter. Dieser kann sich davon nicht als von einem äusserlich umgeworffenen Mantel los- wickeln, und durch Hinterlassung desselben sich
Schwanken zwischen Bewahren und Aufopfern seyn; oder vielmehr kann weder Aufopferung des Eignen, noch Verletzung des Fremden stattfinden. Die Tu- gend gleicht nicht nur jenem Streiter, dem es im Kampfe allein darum zu thun ist, sein Schwerdt blank zu erhalten, sondern sie hat auch den Streit darum begonnen, die Waffen zu bewahren; und nicht nur kann sie die ihrigen nicht gebrauchen, son- dern muſs auch die des Feindes unverletzt erhalten, und sie gegen sich selbst schützen, denn alle sind edle Theile des Guten, für welches sie in den Kampf ging.
Diesem Feinde dagegen ist nicht das Ansich, son- dern die Individualität das Wesen; seine Krafft also das negative Princip, welchem nichts bestehend und absolut heilig ist, sondern welches den Verlust von Allem und Jedem wagen und ertragen kann. Hie- durch ist ihm der Sieg ebensosehr an ihm selbst ge- wiſs, als durch den Widerspruch, in welchen sich sein Gegner verwickelt. Was der Tugend ansich ist, ist dem Weltlauffe nur für ihn; er ist frey von jedem Momente, das für sie fest und woran sie ge- bunden ist. Er hat ein solches Moment dadurch, daſs es für ihm nur als ein solches gilt, das er eben- sowohl aufheben als bestehen lassen kann, in seiner Gewalt; und damit auch den daran befestigten tu- gendhafften Ritter. Dieser kann sich davon nicht als von einem äuſserlich umgeworffenen Mantel los- wickeln, und durch Hinterlassung desselben sich
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Schwanken zwischen Bewahren und Aufopfern seyn;
oder vielmehr kann weder Aufopferung des Eignen,
noch Verletzung des Fremden stattfinden. Die Tu-
gend gleicht nicht nur jenem Streiter, dem es im
Kampfe allein darum zu thun ist, sein Schwerdt
blank zu erhalten, sondern sie hat auch den Streit
darum begonnen, die Waffen zu bewahren; und
nicht nur kann sie die ihrigen nicht gebrauchen, son-
dern muſs auch die des Feindes unverletzt erhalten,
und sie gegen sich selbst schützen, denn alle sind edle
Theile des Guten, für welches sie in den Kampf
ging.
Diesem Feinde dagegen ist nicht das Ansich, son-
dern die Individualität das Wesen; seine Krafft also
das negative Princip, welchem nichts bestehend und
absolut heilig ist, sondern welches den Verlust von
Allem und Jedem wagen und ertragen kann. Hie-
durch ist ihm der Sieg ebensosehr an ihm selbst ge-
wiſs, als durch den Widerspruch, in welchen sich
sein Gegner verwickelt. Was der Tugend ansich
ist, ist dem Weltlauffe nur für ihn; er ist frey von
jedem Momente, das für sie fest und woran sie ge-
bunden ist. Er hat ein solches Moment dadurch,
daſs es für ihm nur als ein solches gilt, das er eben-
sowohl aufheben als bestehen lassen kann, in seiner
Gewalt; und damit auch den daran befestigten tu-
gendhafften Ritter. Dieser kann sich davon nicht als
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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