dieser Seite für völlige Verläugnung der Vernunft anzusehen, für das wirkliche Daseyn des Bewusstseyns einen Knochen auszugeben; und dafür wird er aus- gegeben, indem er als das Aeussere des Geistes betrachtet wird, denn das Aeussere ist eben die seyende Wirklichkeit. Es hilft nichts zu sagen, dass von diesem Aeussern nur auf das Innere, das etwas anders sey, geschlossen werde, das Aeussere nicht das Innere selbst, sondern nur dessen Aus- druck sey. Denn in dem Verhältnisse beyder zu- einander, fällt eben auf die Seite des Innern, die Bestimmung der sich denkenden und gedachten, auf die Seite des Aeussern aber die der seyenden Wirk- lichkeit. -- Wenn also einem Menschen gesagt wird, du (dein Inneres) bist diss, weil dein Kno- chen so beschaffen ist; so heisst es nichts anderes, als ich sehe einen Knochen für deine Wirklichkeit an. Die bey der Physiognomik erwähnte Erwiede- rung eines solchen Urtheils durch die Ohrfeige bringt zunächst die weichen Theile aus ihrem Au- sehen und Lage, und erweist nur, dass diese kein wahres Ansich, nicht die Wirklichkeit des Geistes sind; -- hier müsste die Erwiederung eigentlich so weit gehen, einem, der so urtheilt, den Schädel einzuschlagen, um gerade so greiflich, als seine Weisheit ist, zu erweisen, dass ein Knochen für den Menschen nichts Ansich, viel weniger seine wahre Wirklichkeit ist. --
dieser Seite für völlige Verläugnung der Vernunft anzusehen, für das wirkliche Daseyn des Bewuſstseyns einen Knochen auszugeben; und dafür wird er aus- gegeben, indem er als das Aeuſsere des Geistes betrachtet wird, denn das Aeuſsere ist eben die seyende Wirklichkeit. Es hilft nichts zu sagen, daſs von diesem Aeuſsern nur auf das Innere, das etwas anders sey, geschlossen werde, das Aeuſsere nicht das Innere selbst, sondern nur dessen Aus- druck sey. Denn in dem Verhältnisse beyder zu- einander, fällt eben auf die Seite des Innern, die Bestimmung der sich denkenden und gedachten, auf die Seite des Aeuſsern aber die der seyenden Wirk- lichkeit. — Wenn also einem Menschen gesagt wird, du (dein Inneres) bist diſs, weil dein Kno- chen so beschaffen ist; so heiſst es nichts anderes, als ich sehe einen Knochen für deine Wirklichkeit an. Die bey der Physiognomik erwähnte Erwiede- rung eines solchen Urtheils durch die Ohrfeige bringt zunächst die weichen Theile aus ihrem Au- sehen und Lage, und erweist nur, daſs diese kein wahres Ansich, nicht die Wirklichkeit des Geistes sind; — hier müſste die Erwiederung eigentlich so weit gehen, einem, der so urtheilt, den Schädel einzuschlagen, um gerade so greiflich, als seine Weisheit ist, zu erweisen, daſs ein Knochen für den Menschen nichts Ansich, viel weniger seine wahre Wirklichkeit ist. —
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dieser Seite für völlige Verläugnung der Vernunft
anzusehen, für das wirkliche Daseyn des Bewuſstseyns
einen Knochen auszugeben; und dafür wird er aus-
gegeben, indem er als das Aeuſsere des Geistes
betrachtet wird, denn das Aeuſsere ist eben die
seyende Wirklichkeit. Es hilft nichts zu sagen,
daſs von diesem Aeuſsern nur auf das Innere, das
etwas anders sey, geschlossen werde, das Aeuſsere
nicht das Innere selbst, sondern nur dessen Aus-
druck sey. Denn in dem Verhältnisse beyder zu-
einander, fällt eben auf die Seite des Innern, die
Bestimmung der sich denkenden und gedachten, auf
die Seite des Aeuſsern aber die der seyenden Wirk-
lichkeit. — Wenn also einem Menschen gesagt
wird, du (dein Inneres) bist diſs, weil dein Kno-
chen so beschaffen ist; so heiſst es nichts anderes,
als ich sehe einen Knochen für deine Wirklichkeit
an. Die bey der Physiognomik erwähnte Erwiede-
rung eines solchen Urtheils durch die Ohrfeige
bringt zunächst die weichen Theile aus ihrem Au-
sehen und Lage, und erweist nur, daſs diese kein
wahres Ansich, nicht die Wirklichkeit des Geistes
sind; — hier müſste die Erwiederung eigentlich so
weit gehen, einem, der so urtheilt, den Schädel
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Weisheit ist, zu erweisen, daſs ein Knochen für
den Menschen nichts Ansich, viel weniger seine
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/386>, abgerufen am 22.11.2024.
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