Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Leben Gottes und das göttliche Er-
kennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe
mit sich selbst ausgesprochen werden; diese
Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fad-
heit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die
Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt.
An sich ist jenes Leben wohl die ungetrübte
Gleichheit und Einheit mit sich selbst, der es
kein Ernst mit dem Andersseyn und der Ent-
fremdung, so wie mit dem Ueberwinden dieser
Entfremdung ist. Aber diss An sich ist die abstrac-
te Allgemeinheit, in welcher von seiner Natur,
für sich zu seyn, und damit überhaupt von der
Selbstbewegung der Form abgesehen wird.
Wenn die Form als dem Wesen gleich ausge-
sagt wird, so ist es ebendarum ein Missverstand,
zu meynen, dass das Erkennen sich mit dem
Ansich oder dem Wesen begnügen, die Form
aber ersparen könne; -- dass der absolute
Grundsatz oder die absolute Anschauung, die
Ausführung des erstern oder die Entwicklung
der andern entbehrlich mache. Gerade weil
die Form dem Wesen so wesentlich ist, als es
sich selbst, ist es nicht bloss als Wesen, d. h.
als unmittelbare Substanz, oder als reine Selbst-
anschauung des Göttlichen zu fassen und aus-
zudrücken, sondern ebensosehr als Form und

Das Leben Gottes und das göttliche Er-
kennen mag alſo wohl als ein Spielen der Liebe
mit ſich ſelbſt ausgeſprochen werden; dieſe
Idee ſinkt zur Erbaulichkeit und ſelbſt zur Fad-
heit herab, wenn der Ernſt, der Schmerz, die
Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt.
An ſich iſt jenes Leben wohl die ungetrübte
Gleichheit und Einheit mit ſich ſelbſt, der es
kein Ernſt mit dem Andersſeyn und der Ent-
fremdung, ſo wie mit dem Ueberwinden dieſer
Entfremdung iſt. Aber diſs An ſich iſt die abſtrac-
te Allgemeinheit, in welcher von ſeiner Natur,
für ſich zu ſeyn, und damit überhaupt von der
Selbſtbewegung der Form abgeſehen wird.
Wenn die Form als dem Weſen gleich ausge-
ſagt wird, ſo iſt es ebendarum ein Miſsverſtand,
zu meynen, daſs das Erkennen ſich mit dem
Anſich oder dem Weſen begnügen, die Form
aber erſparen könne; — daſs der abſolute
Grundſatz oder die abſolute Anſchauung, die
Ausführung des erſtern oder die Entwicklung
der andern entbehrlich mache. Gerade weil
die Form dem Weſen ſo weſentlich iſt, als es
ſich ſelbſt, iſt es nicht bloſs als Weſen, d. h.
als unmittelbare Subſtanz, oder als reine Selbſt-
anſchauung des Göttlichen zu faſſen und aus-
zudrücken, ſondern ebenſoſehr als Form und

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0037" n="XXII"/>
        <p>Das Leben Gottes und das göttliche Er-<lb/>
kennen mag al&#x017F;o wohl als ein Spielen der Liebe<lb/>
mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ausge&#x017F;prochen werden; die&#x017F;e<lb/>
Idee &#x017F;inkt zur Erbaulichkeit und &#x017F;elb&#x017F;t zur Fad-<lb/>
heit herab, wenn der Ern&#x017F;t, der Schmerz, die<lb/>
Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt.<lb/><hi rendition="#i">An &#x017F;ich</hi> i&#x017F;t jenes Leben wohl die ungetrübte<lb/>
Gleichheit und Einheit mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, der es<lb/>
kein Ern&#x017F;t mit dem Anders&#x017F;eyn und der Ent-<lb/>
fremdung, &#x017F;o wie mit dem Ueberwinden die&#x017F;er<lb/>
Entfremdung i&#x017F;t. Aber di&#x017F;s <hi rendition="#i">An &#x017F;ich</hi> i&#x017F;t die ab&#x017F;trac-<lb/>
te Allgemeinheit, in welcher von &#x017F;einer Natur,<lb/><hi rendition="#i">für &#x017F;ich zu &#x017F;eyn</hi>, und damit überhaupt von der<lb/>
Selb&#x017F;tbewegung der Form abge&#x017F;ehen wird.<lb/>
Wenn die Form als dem We&#x017F;en gleich ausge-<lb/>
&#x017F;agt wird, &#x017F;o i&#x017F;t es ebendarum ein Mi&#x017F;sver&#x017F;tand,<lb/>
zu meynen, da&#x017F;s das Erkennen &#x017F;ich mit dem<lb/>
An&#x017F;ich oder dem We&#x017F;en begnügen, die Form<lb/>
aber er&#x017F;paren könne; &#x2014; da&#x017F;s der ab&#x017F;olute<lb/>
Grund&#x017F;atz oder die ab&#x017F;olute An&#x017F;chauung, die<lb/>
Ausführung des er&#x017F;tern oder die Entwicklung<lb/>
der andern entbehrlich mache. Gerade weil<lb/>
die Form dem We&#x017F;en &#x017F;o we&#x017F;entlich i&#x017F;t, als es<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, i&#x017F;t es nicht blo&#x017F;s als We&#x017F;en, d. h.<lb/>
als unmittelbare Sub&#x017F;tanz, oder als reine Selb&#x017F;t-<lb/>
an&#x017F;chauung des Göttlichen zu fa&#x017F;&#x017F;en und aus-<lb/>
zudrücken, &#x017F;ondern eben&#x017F;o&#x017F;ehr als <hi rendition="#i">Form</hi> und<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXII/0037] Das Leben Gottes und das göttliche Er- kennen mag alſo wohl als ein Spielen der Liebe mit ſich ſelbſt ausgeſprochen werden; dieſe Idee ſinkt zur Erbaulichkeit und ſelbſt zur Fad- heit herab, wenn der Ernſt, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt. An ſich iſt jenes Leben wohl die ungetrübte Gleichheit und Einheit mit ſich ſelbſt, der es kein Ernſt mit dem Andersſeyn und der Ent- fremdung, ſo wie mit dem Ueberwinden dieſer Entfremdung iſt. Aber diſs An ſich iſt die abſtrac- te Allgemeinheit, in welcher von ſeiner Natur, für ſich zu ſeyn, und damit überhaupt von der Selbſtbewegung der Form abgeſehen wird. Wenn die Form als dem Weſen gleich ausge- ſagt wird, ſo iſt es ebendarum ein Miſsverſtand, zu meynen, daſs das Erkennen ſich mit dem Anſich oder dem Weſen begnügen, die Form aber erſparen könne; — daſs der abſolute Grundſatz oder die abſolute Anſchauung, die Ausführung des erſtern oder die Entwicklung der andern entbehrlich mache. Gerade weil die Form dem Weſen ſo weſentlich iſt, als es ſich ſelbſt, iſt es nicht bloſs als Weſen, d. h. als unmittelbare Subſtanz, oder als reine Selbſt- anſchauung des Göttlichen zu faſſen und aus- zudrücken, ſondern ebenſoſehr als Form und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/37
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. XXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/37>, abgerufen am 22.12.2024.