Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

durch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen ent-
standen.

Das unwesentliche Bewusstseyn ist hierin für
den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahr-
heit
der Gewissheit seiner selbst ausmacht. Aber es
erhellt, dass dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht
entspricht, sondern dass darin, worin der Herr sich
vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes ge-
worden, als ein selbstständiges Bewusstseyn. Nicht
ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbst-
ständiges; er also nicht des Fürsichseyns, als den
Wahrheit gewiss, sondern seine Wahrheit ist viel-
mehr das unwesentliche Bewusstseyn, und das un-
wesentliche Thun desselben.

Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseyns
ist demnach das knechtische Bewusstseyn. Dieses er-
scheint zwar zunächst ausser sich und nicht als die
Wahrheit des Selbstbewusstseyn. Aber wie die Herr-
schafft zeigte, dass ihr Wesen das verkehrte dessen
ist, was sie seyn will, so wird auch wohl die Knecht-
schafft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegen-
theile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird
als in sich zurückgedrängtes Bewusstseyn in sich ge-
hen, und zur wahren Selbstständigkeit sich um-
kehren.

Wir sahen nur, was die Knechtschafft im Ver-
hältnisse der Herrschafft ist. Aber sie ist Selbstbe-
wusstseyn, und was sie hienach an und für sich selbst
ist, ist nun zu betrachten. Zunächst ist für die

durch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen ent-
standen.

Das unwesentliche Bewuſstseyn ist hierin für
den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahr-
heit
der Gewiſsheit seiner selbst ausmacht. Aber es
erhellt, daſs dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht
entspricht, sondern daſs darin, worin der Herr sich
vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes ge-
worden, als ein selbstständiges Bewuſstseyn. Nicht
ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbst-
ständiges; er also nicht des Fürsichseyns, als den
Wahrheit gewiſs, sondern seine Wahrheit ist viel-
mehr das unwesentliche Bewuſstseyn, und das un-
wesentliche Thun desselben.

Die Wahrheit des selbstständigen Bewuſstseyns
ist demnach das knechtische Bewuſstseyn. Dieses er-
scheint zwar zunächst auſser sich und nicht als die
Wahrheit des Selbstbewuſstseyn. Aber wie die Herr-
schafft zeigte, daſs ihr Wesen das verkehrte dessen
ist, was sie seyn will, so wird auch wohl die Knecht-
schafft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegen-
theile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird
als in sich zurückgedrängtes Bewuſstseyn in sich ge-
hen, und zur wahren Selbstständigkeit sich um-
kehren.

Wir sahen nur, was die Knechtschafft im Ver-
hältnisse der Herrschafft ist. Aber sie ist Selbstbe-
wuſstseyn, und was sie hienach an und für sich selbst
ist, ist nun zu betrachten. Zunächst ist für die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0233" n="124"/>
durch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen ent-<lb/>
standen.</p><lb/>
            <p>Das unwesentliche Bewu&#x017F;stseyn ist hierin für<lb/>
den Herrn der Gegenstand, welcher die <hi rendition="#i">Wahr-<lb/>
heit</hi> der Gewi&#x017F;sheit seiner selbst ausmacht. Aber es<lb/>
erhellt, da&#x017F;s dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht<lb/>
entspricht, sondern da&#x017F;s darin, worin der Herr sich<lb/>
vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes ge-<lb/>
worden, als ein selbstständiges Bewu&#x017F;stseyn. Nicht<lb/>
ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbst-<lb/>
ständiges; er also nicht <hi rendition="#i">des Fürsichseyns</hi>, als den<lb/>
Wahrheit gewi&#x017F;s, sondern seine Wahrheit ist viel-<lb/>
mehr das unwesentliche Bewu&#x017F;stseyn, und das un-<lb/>
wesentliche Thun desselben.</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#i">Wahrheit</hi> des selbstständigen Bewu&#x017F;stseyns<lb/>
ist demnach das <hi rendition="#i">knechtische Bewu&#x017F;stseyn</hi>. Dieses er-<lb/>
scheint zwar zunächst <hi rendition="#i">au&#x017F;ser</hi> sich und nicht als die<lb/>
Wahrheit des Selbstbewu&#x017F;stseyn. Aber wie die Herr-<lb/>
schafft zeigte, da&#x017F;s ihr Wesen das verkehrte dessen<lb/>
ist, was sie seyn will, so wird auch wohl die Knecht-<lb/>
schafft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegen-<lb/>
theile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird<lb/>
als in sich <hi rendition="#i">zurückgedrängtes</hi> Bewu&#x017F;stseyn in sich ge-<lb/>
hen, und zur wahren Selbstständigkeit sich um-<lb/>
kehren.</p><lb/>
            <p>Wir sahen nur, was die Knechtschafft im Ver-<lb/>
hältnisse der Herrschafft ist. Aber sie ist Selbstbe-<lb/>
wu&#x017F;stseyn, und was sie hienach an und für sich selbst<lb/>
ist, ist nun zu betrachten. Zunächst ist für die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0233] durch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen ent- standen. Das unwesentliche Bewuſstseyn ist hierin für den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahr- heit der Gewiſsheit seiner selbst ausmacht. Aber es erhellt, daſs dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht entspricht, sondern daſs darin, worin der Herr sich vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes ge- worden, als ein selbstständiges Bewuſstseyn. Nicht ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbst- ständiges; er also nicht des Fürsichseyns, als den Wahrheit gewiſs, sondern seine Wahrheit ist viel- mehr das unwesentliche Bewuſstseyn, und das un- wesentliche Thun desselben. Die Wahrheit des selbstständigen Bewuſstseyns ist demnach das knechtische Bewuſstseyn. Dieses er- scheint zwar zunächst auſser sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewuſstseyn. Aber wie die Herr- schafft zeigte, daſs ihr Wesen das verkehrte dessen ist, was sie seyn will, so wird auch wohl die Knecht- schafft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegen- theile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewuſstseyn in sich ge- hen, und zur wahren Selbstständigkeit sich um- kehren. Wir sahen nur, was die Knechtschafft im Ver- hältnisse der Herrschafft ist. Aber sie ist Selbstbe- wuſstseyn, und was sie hienach an und für sich selbst ist, ist nun zu betrachten. Zunächst ist für die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/233
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/233>, abgerufen am 23.11.2024.