Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Begriff
Wahrheit absprechen würde, weil sie des räumlichen-
und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?

Es hängt hiemit unmittelbar der Gesichtspunkt zu-
sammen, in Rücksicht auf welchen der Begriff und die
Bestimmung der Logik überhaupt zu betrachten ist, und
der in der Kantischen Philosophie auf die gleiche Weise,
wie insgemein genommen wird; das Verhältniß
nemlich des Begriffs und seiner Wissenschaft
zur Wahrheit selbst. Es ist vorhin aus der Kanti-
schen Deduction der Kategorien angeführt worden, daß
nach derselben das Object, als in welchem das Man-
nichfaltige der Anschauung vereinigt ist, nur diese
Einheit ist durch die Einheit des Selbstbe-
wußtseyns
. Die Objectivität des Denkens
ist also hier bestimmt ausgesprochen, eine Identität des
Begriffs und des Dinges, welche die Wahrheit ist.
Auf gleiche Weise wird auch insgemein zugegeben, daß
indem das Denken einen gegebenen Gegenstand sich an-
eignet, dieser dadurch eine Veränderung erleidet, und
aus einem sinnlichen zu einem gedachten gemacht wer-
de; daß aber diese Veränderung nicht nur nichts an sei-
ner Wesentlichkeit ändere, sondern daß er vielmehr erst in
seinem Begriffe in seiner Wahrheit; in der Unmit-
telbarkeit, in welcher er gegeben ist, aber nur Erschei-
nung und Zufälligkeit
, daß die Erkenntniß des
Gegenstands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß des-
selben, wie er an und für sich ist, und der Begriff
seine Objectivität selbst sey. Auf der andern Seite
wird aber eben so wieder behauptet, wir können die
Dinge doch nicht erkennen
, wie sie an und
für sich seyen
, und die Wahrheit sey für die
erkennende Vernunft unzugänglich
; jene
Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des
Begriffs besteht, sey doch nur Erscheinung; und zwar

nun

Vom Begriff
Wahrheit abſprechen wuͤrde, weil ſie des raͤumlichen-
und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?

Es haͤngt hiemit unmittelbar der Geſichtspunkt zu-
ſammen, in Ruͤckſicht auf welchen der Begriff und die
Beſtimmung der Logik uͤberhaupt zu betrachten iſt, und
der in der Kantiſchen Philoſophie auf die gleiche Weiſe,
wie insgemein genommen wird; das Verhaͤltniß
nemlich des Begriffs und ſeiner Wiſſenſchaft
zur Wahrheit ſelbſt. Es iſt vorhin aus der Kanti-
ſchen Deduction der Kategorien angefuͤhrt worden, daß
nach derſelben das Object, als in welchem das Man-
nichfaltige der Anſchauung vereinigt iſt, nur dieſe
Einheit iſt durch die Einheit des Selbſtbe-
wußtſeyns
. Die Objectivitaͤt des Denkens
iſt alſo hier beſtimmt ausgeſprochen, eine Identitaͤt des
Begriffs und des Dinges, welche die Wahrheit iſt.
Auf gleiche Weiſe wird auch insgemein zugegeben, daß
indem das Denken einen gegebenen Gegenſtand ſich an-
eignet, dieſer dadurch eine Veraͤnderung erleidet, und
aus einem ſinnlichen zu einem gedachten gemacht wer-
de; daß aber dieſe Veraͤnderung nicht nur nichts an ſei-
ner Weſentlichkeit aͤndere, ſondern daß er vielmehr erſt in
ſeinem Begriffe in ſeiner Wahrheit; in der Unmit-
telbarkeit, in welcher er gegeben iſt, aber nur Erſchei-
nung und Zufaͤlligkeit
, daß die Erkenntniß des
Gegenſtands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß deſ-
ſelben, wie er an und fuͤr ſich iſt, und der Begriff
ſeine Objectivitaͤt ſelbſt ſey. Auf der andern Seite
wird aber eben ſo wieder behauptet, wir koͤnnen die
Dinge doch nicht erkennen
, wie ſie an und
fuͤr ſich ſeyen
, und die Wahrheit ſey fuͤr die
erkennende Vernunft unzugaͤnglich
; jene
Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des
Begriffs beſteht, ſey doch nur Erſcheinung; und zwar

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0040" n="22"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vom Begriff</hi></fw><lb/>
Wahrheit ab&#x017F;prechen wu&#x0364;rde, weil &#x017F;ie des ra&#x0364;umlichen-<lb/>
und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren?</p><lb/>
        <p>Es ha&#x0364;ngt hiemit unmittelbar der Ge&#x017F;ichtspunkt zu-<lb/>
&#x017F;ammen, in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf welchen der Begriff und die<lb/>
Be&#x017F;timmung der Logik u&#x0364;berhaupt zu betrachten i&#x017F;t, und<lb/>
der in der Kanti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie auf die gleiche Wei&#x017F;e,<lb/>
wie insgemein genommen wird; das <hi rendition="#g">Verha&#x0364;ltniß</hi><lb/>
nemlich des <hi rendition="#g">Begriffs</hi> und <hi rendition="#g">&#x017F;einer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi><lb/>
zur <hi rendition="#g">Wahrheit</hi> &#x017F;elb&#x017F;t. Es i&#x017F;t vorhin aus der Kanti-<lb/>
&#x017F;chen Deduction der Kategorien angefu&#x0364;hrt worden, daß<lb/>
nach der&#x017F;elben das <hi rendition="#g">Object</hi>, als in welchem das Man-<lb/>
nichfaltige der An&#x017F;chauung <hi rendition="#g">vereinigt</hi> i&#x017F;t, nur die&#x017F;e<lb/>
Einheit i&#x017F;t <hi rendition="#g">durch die Einheit des Selb&#x017F;tbe-<lb/>
wußt&#x017F;eyns</hi>. Die <hi rendition="#g">Objectivita&#x0364;t des Denkens</hi><lb/>
i&#x017F;t al&#x017F;o hier be&#x017F;timmt ausge&#x017F;prochen, eine Identita&#x0364;t des<lb/>
Begriffs und des Dinges, welche <hi rendition="#g">die Wahrheit</hi> i&#x017F;t.<lb/>
Auf gleiche Wei&#x017F;e wird auch insgemein zugegeben, daß<lb/>
indem das Denken einen gegebenen Gegen&#x017F;tand &#x017F;ich an-<lb/>
eignet, die&#x017F;er dadurch eine Vera&#x0364;nderung erleidet, und<lb/>
aus einem &#x017F;innlichen zu einem gedachten gemacht wer-<lb/>
de; daß aber die&#x017F;e Vera&#x0364;nderung nicht nur nichts an &#x017F;ei-<lb/>
ner We&#x017F;entlichkeit a&#x0364;ndere, &#x017F;ondern daß er vielmehr er&#x017F;t in<lb/>
&#x017F;einem Begriffe in &#x017F;einer <hi rendition="#g">Wahrheit</hi>; in der Unmit-<lb/>
telbarkeit, in welcher er gegeben i&#x017F;t, aber nur <hi rendition="#g">Er&#x017F;chei-<lb/>
nung und Zufa&#x0364;lligkeit</hi>, daß die Erkenntniß des<lb/>
Gegen&#x017F;tands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben, wie er <hi rendition="#g">an und fu&#x0364;r &#x017F;ich</hi> i&#x017F;t, und der Begriff<lb/>
&#x017F;eine Objectivita&#x0364;t &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ey. Auf der andern Seite<lb/>
wird aber eben &#x017F;o wieder behauptet, <hi rendition="#g">wir ko&#x0364;nnen die<lb/>
Dinge doch nicht erkennen</hi>, wie <hi rendition="#g">&#x017F;ie an und<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;eyen</hi>, und die <hi rendition="#g">Wahrheit</hi> &#x017F;ey fu&#x0364;r <hi rendition="#g">die<lb/>
erkennende Vernunft unzuga&#x0364;nglich</hi>; jene<lb/>
Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des<lb/>
Begriffs be&#x017F;teht, &#x017F;ey doch nur Er&#x017F;cheinung; und zwar<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nun</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0040] Vom Begriff Wahrheit abſprechen wuͤrde, weil ſie des raͤumlichen- und zeitlichen Stoffes der Sinnlichkeit entbehren? Es haͤngt hiemit unmittelbar der Geſichtspunkt zu- ſammen, in Ruͤckſicht auf welchen der Begriff und die Beſtimmung der Logik uͤberhaupt zu betrachten iſt, und der in der Kantiſchen Philoſophie auf die gleiche Weiſe, wie insgemein genommen wird; das Verhaͤltniß nemlich des Begriffs und ſeiner Wiſſenſchaft zur Wahrheit ſelbſt. Es iſt vorhin aus der Kanti- ſchen Deduction der Kategorien angefuͤhrt worden, daß nach derſelben das Object, als in welchem das Man- nichfaltige der Anſchauung vereinigt iſt, nur dieſe Einheit iſt durch die Einheit des Selbſtbe- wußtſeyns. Die Objectivitaͤt des Denkens iſt alſo hier beſtimmt ausgeſprochen, eine Identitaͤt des Begriffs und des Dinges, welche die Wahrheit iſt. Auf gleiche Weiſe wird auch insgemein zugegeben, daß indem das Denken einen gegebenen Gegenſtand ſich an- eignet, dieſer dadurch eine Veraͤnderung erleidet, und aus einem ſinnlichen zu einem gedachten gemacht wer- de; daß aber dieſe Veraͤnderung nicht nur nichts an ſei- ner Weſentlichkeit aͤndere, ſondern daß er vielmehr erſt in ſeinem Begriffe in ſeiner Wahrheit; in der Unmit- telbarkeit, in welcher er gegeben iſt, aber nur Erſchei- nung und Zufaͤlligkeit, daß die Erkenntniß des Gegenſtands, welche ihn begreifft, die Erkenntniß deſ- ſelben, wie er an und fuͤr ſich iſt, und der Begriff ſeine Objectivitaͤt ſelbſt ſey. Auf der andern Seite wird aber eben ſo wieder behauptet, wir koͤnnen die Dinge doch nicht erkennen, wie ſie an und fuͤr ſich ſeyen, und die Wahrheit ſey fuͤr die erkennende Vernunft unzugaͤnglich; jene Wahrheit, welche in der Einheit des Objects und des Begriffs beſteht, ſey doch nur Erſcheinung; und zwar nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/40
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/40>, abgerufen am 21.11.2024.