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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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II. Kapitel. Das Erkennen.
Zeit, -- eine synthetische Auflösung, weil die zu Hülfe
genommenen Bestimmungen, die Sinus oder die Betrach-
tung der Residuen, nicht eine Bestimmung der Auf-
gabe selbst ist.

Ueber die Natur der Analysis, welche sogenannte
unendliche Differenzen veränderlicher Grössen betrachtet,
der Differential- und Integralrechnung, ist im ersten
Theile
dieser Logik, ausführlicher gehandelt worden.
Daselbst wurde gezeigt, daß hier eine qualitative Grös-
senbestimmung zu Grunde liegt, welche allein durch den
Begriff gefaßt werden kann. Der Uebergang zu dersel-
ben von der Grösse als solcher ist nicht mehr analytisch;
die Mathematik hat daher bis diesen Tag nicht dahin
kommen können, die Operationen, welche auf jenem
Uebergange beruhen, durch sich selbst, d. h. auf mathe-
matische Weise, zu rechtfertigen, weil er nicht mathema-
tischer Natur ist. Leibnitz, dem der Ruhm zugeschrie-
ben wird, die Rechnung mit den unendlichen Differen-
zen zu einem Calcul geschaffen zu haben, hat, wie
ebendaselbst angeführt worden, den Uebergang auf eine
Art gemacht, welche die unzulänglichste, eben so völlig
begrifflos als unmathematisch, ist; den Uebergang aber
einmal vorausgesetzt, -- und er ist im gegenwärtigen
Stande der Wissenschaft mehr nicht als eine Voraus-
setzung, -- so ist der weitere Verfolg allerdings nur
eine Reihe gewöhnlicher analytischer Operationen.

Es ist erinnert worden, daß die Analysis syn-
thetisch wird, insofern sie auf Bestimmungen kommt,
welche nicht mehr durch die Aufgaben selbst gesetzt
sind. Der allgemeine Uebergang aber vom analytischen
zum synthetischen Erkennen, liegt in dem nothwendigen
Uebergange von der Form der Unmittelbarkeit zur Ver-
mittlung, der abstracten Identität zum Unterschiede.

Das

II. Kapitel. Das Erkennen.
Zeit, — eine ſynthetiſche Aufloͤſung, weil die zu Huͤlfe
genommenen Beſtimmungen, die Sinus oder die Betrach-
tung der Reſiduen, nicht eine Beſtimmung der Auf-
gabe ſelbſt iſt.

Ueber die Natur der Analyſis, welche ſogenannte
unendliche Differenzen veraͤnderlicher Groͤſſen betrachtet,
der Differential- und Integralrechnung, iſt im erſten
Theile
dieſer Logik, ausfuͤhrlicher gehandelt worden.
Daſelbſt wurde gezeigt, daß hier eine qualitative Groͤſ-
ſenbeſtimmung zu Grunde liegt, welche allein durch den
Begriff gefaßt werden kann. Der Uebergang zu derſel-
ben von der Groͤſſe als ſolcher iſt nicht mehr analytiſch;
die Mathematik hat daher bis dieſen Tag nicht dahin
kommen koͤnnen, die Operationen, welche auf jenem
Uebergange beruhen, durch ſich ſelbſt, d. h. auf mathe-
matiſche Weiſe, zu rechtfertigen, weil er nicht mathema-
tiſcher Natur iſt. Leibnitz, dem der Ruhm zugeſchrie-
ben wird, die Rechnung mit den unendlichen Differen-
zen zu einem Calcul geſchaffen zu haben, hat, wie
ebendaſelbſt angefuͤhrt worden, den Uebergang auf eine
Art gemacht, welche die unzulaͤnglichſte, eben ſo voͤllig
begrifflos als unmathematiſch, iſt; den Uebergang aber
einmal vorausgeſetzt, — und er iſt im gegenwaͤrtigen
Stande der Wiſſenſchaft mehr nicht als eine Voraus-
ſetzung, — ſo iſt der weitere Verfolg allerdings nur
eine Reihe gewoͤhnlicher analytiſcher Operationen.

Es iſt erinnert worden, daß die Analyſis ſyn-
thetiſch wird, inſofern ſie auf Beſtimmungen kommt,
welche nicht mehr durch die Aufgaben ſelbſt geſetzt
ſind. Der allgemeine Uebergang aber vom analytiſchen
zum ſynthetiſchen Erkennen, liegt in dem nothwendigen
Uebergange von der Form der Unmittelbarkeit zur Ver-
mittlung, der abſtracten Identitaͤt zum Unterſchiede.

Das
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[325/0343] II. Kapitel. Das Erkennen. Zeit, — eine ſynthetiſche Aufloͤſung, weil die zu Huͤlfe genommenen Beſtimmungen, die Sinus oder die Betrach- tung der Reſiduen, nicht eine Beſtimmung der Auf- gabe ſelbſt iſt. Ueber die Natur der Analyſis, welche ſogenannte unendliche Differenzen veraͤnderlicher Groͤſſen betrachtet, der Differential- und Integralrechnung, iſt im erſten Theile dieſer Logik, ausfuͤhrlicher gehandelt worden. Daſelbſt wurde gezeigt, daß hier eine qualitative Groͤſ- ſenbeſtimmung zu Grunde liegt, welche allein durch den Begriff gefaßt werden kann. Der Uebergang zu derſel- ben von der Groͤſſe als ſolcher iſt nicht mehr analytiſch; die Mathematik hat daher bis dieſen Tag nicht dahin kommen koͤnnen, die Operationen, welche auf jenem Uebergange beruhen, durch ſich ſelbſt, d. h. auf mathe- matiſche Weiſe, zu rechtfertigen, weil er nicht mathema- tiſcher Natur iſt. Leibnitz, dem der Ruhm zugeſchrie- ben wird, die Rechnung mit den unendlichen Differen- zen zu einem Calcul geſchaffen zu haben, hat, wie ebendaſelbſt angefuͤhrt worden, den Uebergang auf eine Art gemacht, welche die unzulaͤnglichſte, eben ſo voͤllig begrifflos als unmathematiſch, iſt; den Uebergang aber einmal vorausgeſetzt, — und er iſt im gegenwaͤrtigen Stande der Wiſſenſchaft mehr nicht als eine Voraus- ſetzung, — ſo iſt der weitere Verfolg allerdings nur eine Reihe gewoͤhnlicher analytiſcher Operationen. Es iſt erinnert worden, daß die Analyſis ſyn- thetiſch wird, inſofern ſie auf Beſtimmungen kommt, welche nicht mehr durch die Aufgaben ſelbſt geſetzt ſind. Der allgemeine Uebergang aber vom analytiſchen zum ſynthetiſchen Erkennen, liegt in dem nothwendigen Uebergange von der Form der Unmittelbarkeit zur Ver- mittlung, der abſtracten Identitaͤt zum Unterſchiede. Das

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/343>, abgerufen am 23.11.2024.