Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweytes Buch. III. Abschnitt.
der Homerischen Werke, oder Cäsars Ehrgeitz als die
Ursache des Untergangs der republikanischen Verfas-
sung Roms anzugeben. In der Geschichte überhaupt
sind geistige Massen und Individuen im Spiele und in
der Wechselbestimmung mit einander; die Natur des Gei-
stes ist es aber noch in viel höherem Sinne, als der
Charakter des Lebendigen überhaupt, vielmehr nicht ein
anderes ursprüngliches in sich aufzuneh-
men
, oder nicht eine Ursache sich in ihn continuiren zu
lassen, sondern sie abzubrechen und zu verwandeln. --
Welche Verhältnisse aber der Idee angehören und bey
ihr erst zu betrachten sind. -- Diß kann hier noch be-
merkt werden, daß insofern das Verhältniß von Ursache
und Wirkung, obwohl in uneigentlichem Sinne, zugelas-
sen wird, die Wirkung nicht grösser seyn könne, als
die Ursache; denn die Wirkung ist nichts weiter als die
Manifestation der Ursache. Es ist ein gewöhnlich gewor-
dener Witz in der Geschichte, aus kleinen Ursachen
grosse Wirkungen
entstehen zu lassen, und für die
umfassende und tiefe Begebenheit eine Anekdote als
erste Ursache aufzuführen. Eine solche sogenannte Ursa-
che ist für nichts weiteres als eine Veranlassung,
als äussere Erregung anzusehen, deren der inne-
re Geist
der Begebenheit nicht bedurft hätte, oder de-
ren er eine unzählige Menge anderer hätte gebrauchen
können, um von ihnen in der Erscheinung anzufangen,
sich Luft zu machen und seine Manifestation zu geben.
Vielmehr ist umgekehrt so etwas für sich kleinliches und
zufälliges erst von ihm zu seiner Veranlassung be-
stimmt
worden. Jene Arabesken-Mahlerey der
Geschichte, die aus einem schwanken Stengel eine grosse
Gestalt hervorgehen läßt, ist daher wohl eine geistreiche,
aber höchst oberflächliche Behandlung. Es ist in diesem
Entspringen des Grossen aus dem Kleinen zwar über-
haupt die Umkehrung vorhanden, die der Geist mit dem

Aeusser-

Zweytes Buch. III. Abſchnitt.
der Homeriſchen Werke, oder Caͤſars Ehrgeitz als die
Urſache des Untergangs der republikaniſchen Verfaſ-
ſung Roms anzugeben. In der Geſchichte uͤberhaupt
ſind geiſtige Maſſen und Individuen im Spiele und in
der Wechſelbeſtimmung mit einander; die Natur des Gei-
ſtes iſt es aber noch in viel hoͤherem Sinne, als der
Charakter des Lebendigen uͤberhaupt, vielmehr nicht ein
anderes urſpruͤngliches in ſich aufzuneh-
men
, oder nicht eine Urſache ſich in ihn continuiren zu
laſſen, ſondern ſie abzubrechen und zu verwandeln. —
Welche Verhaͤltniſſe aber der Idee angehoͤren und bey
ihr erſt zu betrachten ſind. — Diß kann hier noch be-
merkt werden, daß inſofern das Verhaͤltniß von Urſache
und Wirkung, obwohl in uneigentlichem Sinne, zugelaſ-
ſen wird, die Wirkung nicht groͤſſer ſeyn koͤnne, als
die Urſache; denn die Wirkung iſt nichts weiter als die
Manifeſtation der Urſache. Es iſt ein gewoͤhnlich gewor-
dener Witz in der Geſchichte, aus kleinen Urſachen
groſſe Wirkungen
entſtehen zu laſſen, und fuͤr die
umfaſſende und tiefe Begebenheit eine Anekdote als
erſte Urſache aufzufuͤhren. Eine ſolche ſogenannte Urſa-
che iſt fuͤr nichts weiteres als eine Veranlaſſung,
als aͤuſſere Erregung anzuſehen, deren der inne-
re Geiſt
der Begebenheit nicht bedurft haͤtte, oder de-
ren er eine unzaͤhlige Menge anderer haͤtte gebrauchen
koͤnnen, um von ihnen in der Erſcheinung anzufangen,
ſich Luft zu machen und ſeine Manifeſtation zu geben.
Vielmehr iſt umgekehrt ſo etwas fuͤr ſich kleinliches und
zufaͤlliges erſt von ihm zu ſeiner Veranlaſſung be-
ſtimmt
worden. Jene Arabesken-Mahlerey der
Geſchichte, die aus einem ſchwanken Stengel eine groſſe
Geſtalt hervorgehen laͤßt, iſt daher wohl eine geiſtreiche,
aber hoͤchſt oberflaͤchliche Behandlung. Es iſt in dieſem
Entſpringen des Groſſen aus dem Kleinen zwar uͤber-
haupt die Umkehrung vorhanden, die der Geiſt mit dem

Aeuſſer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0280" n="268"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweytes Buch</hi>. <hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
der Homeri&#x017F;chen Werke, oder Ca&#x0364;&#x017F;ars Ehrgeitz als die<lb/><hi rendition="#g">Ur&#x017F;ache</hi> des Untergangs der republikani&#x017F;chen Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung Roms anzugeben. In der <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichte</hi> u&#x0364;berhaupt<lb/>
&#x017F;ind gei&#x017F;tige Ma&#x017F;&#x017F;en und Individuen im Spiele und in<lb/>
der Wech&#x017F;elbe&#x017F;timmung mit einander; die Natur des Gei-<lb/>
&#x017F;tes i&#x017F;t es aber noch in viel ho&#x0364;herem Sinne, als der<lb/>
Charakter des Lebendigen u&#x0364;berhaupt, vielmehr nicht ein<lb/><hi rendition="#g">anderes ur&#x017F;pru&#x0364;ngliches in &#x017F;ich aufzuneh-<lb/>
men</hi>, oder nicht eine Ur&#x017F;ache &#x017F;ich in ihn continuiren zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern &#x017F;ie abzubrechen und zu verwandeln. &#x2014;<lb/>
Welche Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e aber der <hi rendition="#g">Idee</hi> angeho&#x0364;ren und bey<lb/>
ihr er&#x017F;t zu betrachten &#x017F;ind. &#x2014; Diß kann hier noch be-<lb/>
merkt werden, daß in&#x017F;ofern das Verha&#x0364;ltniß von Ur&#x017F;ache<lb/>
und Wirkung, obwohl in uneigentlichem Sinne, zugela&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en wird, die Wirkung nicht <hi rendition="#g">gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er</hi> &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, als<lb/>
die Ur&#x017F;ache; denn die Wirkung i&#x017F;t nichts weiter als die<lb/>
Manife&#x017F;tation der Ur&#x017F;ache. Es i&#x017F;t ein gewo&#x0364;hnlich gewor-<lb/>
dener Witz in der Ge&#x017F;chichte, <hi rendition="#g">aus kleinen Ur&#x017F;achen<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Wirkungen</hi> ent&#x017F;tehen zu la&#x017F;&#x017F;en, und fu&#x0364;r die<lb/>
umfa&#x017F;&#x017F;ende und tiefe Begebenheit eine <hi rendition="#g">Anekdote</hi> als<lb/>
er&#x017F;te Ur&#x017F;ache aufzufu&#x0364;hren. Eine &#x017F;olche &#x017F;ogenannte Ur&#x017F;a-<lb/>
che i&#x017F;t fu&#x0364;r nichts weiteres als eine <hi rendition="#g">Veranla&#x017F;&#x017F;ung</hi>,<lb/>
als <hi rendition="#g">a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Erregung</hi> anzu&#x017F;ehen, deren der <hi rendition="#g">inne-<lb/>
re Gei&#x017F;t</hi> der Begebenheit nicht bedurft ha&#x0364;tte, oder de-<lb/>
ren er eine unza&#x0364;hlige Menge anderer ha&#x0364;tte gebrauchen<lb/>
ko&#x0364;nnen, um von ihnen in der Er&#x017F;cheinung anzufangen,<lb/>
&#x017F;ich Luft zu machen und &#x017F;eine Manife&#x017F;tation zu geben.<lb/>
Vielmehr i&#x017F;t umgekehrt &#x017F;o etwas fu&#x0364;r &#x017F;ich kleinliches und<lb/>
zufa&#x0364;lliges <hi rendition="#g">er&#x017F;t von ihm</hi> zu &#x017F;einer Veranla&#x017F;&#x017F;ung <hi rendition="#g">be-<lb/>
&#x017F;timmt</hi> worden. Jene <hi rendition="#g">Arabesken-Mahlerey</hi> der<lb/>
Ge&#x017F;chichte, die aus einem &#x017F;chwanken Stengel eine gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;talt hervorgehen la&#x0364;ßt, i&#x017F;t daher wohl eine gei&#x017F;treiche,<lb/>
aber ho&#x0364;ch&#x017F;t oberfla&#x0364;chliche Behandlung. Es i&#x017F;t in die&#x017F;em<lb/>
Ent&#x017F;pringen des Gro&#x017F;&#x017F;en aus dem Kleinen zwar u&#x0364;ber-<lb/>
haupt die Umkehrung vorhanden, die der Gei&#x017F;t mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Aeu&#x017F;&#x017F;er-</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0280] Zweytes Buch. III. Abſchnitt. der Homeriſchen Werke, oder Caͤſars Ehrgeitz als die Urſache des Untergangs der republikaniſchen Verfaſ- ſung Roms anzugeben. In der Geſchichte uͤberhaupt ſind geiſtige Maſſen und Individuen im Spiele und in der Wechſelbeſtimmung mit einander; die Natur des Gei- ſtes iſt es aber noch in viel hoͤherem Sinne, als der Charakter des Lebendigen uͤberhaupt, vielmehr nicht ein anderes urſpruͤngliches in ſich aufzuneh- men, oder nicht eine Urſache ſich in ihn continuiren zu laſſen, ſondern ſie abzubrechen und zu verwandeln. — Welche Verhaͤltniſſe aber der Idee angehoͤren und bey ihr erſt zu betrachten ſind. — Diß kann hier noch be- merkt werden, daß inſofern das Verhaͤltniß von Urſache und Wirkung, obwohl in uneigentlichem Sinne, zugelaſ- ſen wird, die Wirkung nicht groͤſſer ſeyn koͤnne, als die Urſache; denn die Wirkung iſt nichts weiter als die Manifeſtation der Urſache. Es iſt ein gewoͤhnlich gewor- dener Witz in der Geſchichte, aus kleinen Urſachen groſſe Wirkungen entſtehen zu laſſen, und fuͤr die umfaſſende und tiefe Begebenheit eine Anekdote als erſte Urſache aufzufuͤhren. Eine ſolche ſogenannte Urſa- che iſt fuͤr nichts weiteres als eine Veranlaſſung, als aͤuſſere Erregung anzuſehen, deren der inne- re Geiſt der Begebenheit nicht bedurft haͤtte, oder de- ren er eine unzaͤhlige Menge anderer haͤtte gebrauchen koͤnnen, um von ihnen in der Erſcheinung anzufangen, ſich Luft zu machen und ſeine Manifeſtation zu geben. Vielmehr iſt umgekehrt ſo etwas fuͤr ſich kleinliches und zufaͤlliges erſt von ihm zu ſeiner Veranlaſſung be- ſtimmt worden. Jene Arabesken-Mahlerey der Geſchichte, die aus einem ſchwanken Stengel eine groſſe Geſtalt hervorgehen laͤßt, iſt daher wohl eine geiſtreiche, aber hoͤchſt oberflaͤchliche Behandlung. Es iſt in dieſem Entſpringen des Groſſen aus dem Kleinen zwar uͤber- haupt die Umkehrung vorhanden, die der Geiſt mit dem Aeuſſer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/280
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0102_1813/280>, abgerufen am 28.11.2024.