Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Buch. I. Abschnitt.

Das Denken oder vielmehr Vorstellen, dem nur ein
bestimmtes Seyn, oder das Daseyn vorschwebet, worein
die reale Verschiedenheit des Seyns und Nichts fällt,
ist zu dem Anfang der reinen Wissenschaft zurück zu wei-
sen, welchen Parmenides gemacht hat, der unter den
Menschen der erste gewesen zu seyn scheint, welcher sein
Vorstellen und damit auch das Vorstellen der Folgezeit
zu dem reinen Gedanken des Seyns geläutert und erho-
ben, und damit das Element der Wissenschaft erschaffen
hat.

Es ist aber, um zur Hauptsache zurückzukehren, zu
erinnern, daß der Ausdruck des Resultats, das sich aus
der Betrachtung des Seyns und des Nichts ergibt, durch
den Satz: Seyn und Nichts ist eins und das-
selbe
, unvollkommen ist. Der Accent wird nemlich
vorzugsweise auf das Eins- und Dasselbe-seyn ge-
legt, und der Sinn scheint daher zu seyn, daß der Un-
terschied geleugnet werde, der doch zugleich im Satze
selbst unmittelbar vorkommt; denn der Satz spricht die
beyden Bestimmungen, Seyn und Nichts, aus, und ent-
hält sie als unterschiedne. -- Es kann zugleich nicht ge-
meynt seyn, daß von ihnen abstrahirt und nur die Einheit
festgehalten werden soll. Dieser Sinn gäbe sich selbst
für einseitig, da das, wovon abstrahirt werden soll,
gleichwohl im Satze vorhanden ist. -- Insofern der
Satz: Seyn und Nichts ist dasselbe, die Iden-
tität dieser Bestimmungen ausspricht, aber in der That
sie eben so als unterschieden enthält, widerspricht er sich
in sich selbst, und löst sich auf. Es ist also hier ein Satz
gesetzt, der näher betrachtet, die Bewegung hat, durch
sich selbst zu verschwinden. Damit geschieht an ihm das,
was seinen eigentlichen Inhalt ausmachen soll, nemlich
das Werden.

Der
Erſtes Buch. I. Abſchnitt.

Das Denken oder vielmehr Vorſtellen, dem nur ein
beſtimmtes Seyn, oder das Daſeyn vorſchwebet, worein
die reale Verſchiedenheit des Seyns und Nichts faͤllt,
iſt zu dem Anfang der reinen Wiſſenſchaft zuruͤck zu wei-
ſen, welchen Parmenides gemacht hat, der unter den
Menſchen der erſte geweſen zu ſeyn ſcheint, welcher ſein
Vorſtellen und damit auch das Vorſtellen der Folgezeit
zu dem reinen Gedanken des Seyns gelaͤutert und erho-
ben, und damit das Element der Wiſſenſchaft erſchaffen
hat.

Es iſt aber, um zur Hauptſache zuruͤckzukehren, zu
erinnern, daß der Ausdruck des Reſultats, das ſich aus
der Betrachtung des Seyns und des Nichts ergibt, durch
den Satz: Seyn und Nichts iſt eins und daſ-
ſelbe
, unvollkommen iſt. Der Accent wird nemlich
vorzugsweiſe auf das Eins- und Daſſelbe-ſeyn ge-
legt, und der Sinn ſcheint daher zu ſeyn, daß der Un-
terſchied geleugnet werde, der doch zugleich im Satze
ſelbſt unmittelbar vorkommt; denn der Satz ſpricht die
beyden Beſtimmungen, Seyn und Nichts, aus, und ent-
haͤlt ſie als unterſchiedne. — Es kann zugleich nicht ge-
meynt ſeyn, daß von ihnen abſtrahirt und nur die Einheit
feſtgehalten werden ſoll. Dieſer Sinn gaͤbe ſich ſelbſt
fuͤr einſeitig, da das, wovon abſtrahirt werden ſoll,
gleichwohl im Satze vorhanden iſt. — Inſofern der
Satz: Seyn und Nichts iſt daſſelbe, die Iden-
titaͤt dieſer Beſtimmungen ausſpricht, aber in der That
ſie eben ſo als unterſchieden enthaͤlt, widerſpricht er ſich
in ſich ſelbſt, und loͤst ſich auf. Es iſt alſo hier ein Satz
geſetzt, der naͤher betrachtet, die Bewegung hat, durch
ſich ſelbſt zu verſchwinden. Damit geſchieht an ihm das,
was ſeinen eigentlichen Inhalt ausmachen ſoll, nemlich
das Werden.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0078" n="30"/>
                    <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Buch</hi>. <hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#g">Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
                    <p>Das Denken oder vielmehr Vor&#x017F;tellen, dem nur ein<lb/>
be&#x017F;timmtes Seyn, oder das Da&#x017F;eyn vor&#x017F;chwebet, worein<lb/>
die <hi rendition="#g">reale</hi> Ver&#x017F;chiedenheit des Seyns und Nichts fa&#x0364;llt,<lb/>
i&#x017F;t zu dem Anfang der reinen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zuru&#x0364;ck zu wei-<lb/>
&#x017F;en, welchen Parmenides gemacht hat, der unter den<lb/>
Men&#x017F;chen der er&#x017F;te gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint, welcher &#x017F;ein<lb/>
Vor&#x017F;tellen und damit auch das Vor&#x017F;tellen der Folgezeit<lb/>
zu dem reinen Gedanken des Seyns gela&#x0364;utert und erho-<lb/>
ben, und damit das Element der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft er&#x017F;chaffen<lb/>
hat.</p><lb/>
                    <p>Es i&#x017F;t aber, um zur Haupt&#x017F;ache zuru&#x0364;ckzukehren, zu<lb/>
erinnern, daß der Ausdruck des Re&#x017F;ultats, das &#x017F;ich aus<lb/>
der Betrachtung des Seyns und des Nichts ergibt, durch<lb/>
den Satz: <hi rendition="#g">Seyn und Nichts i&#x017F;t eins und da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe</hi>, unvollkommen i&#x017F;t. Der Accent wird nemlich<lb/>
vorzugswei&#x017F;e auf das <hi rendition="#g">Eins- und Da&#x017F;&#x017F;elbe-</hi>&#x017F;eyn ge-<lb/>
legt, und der Sinn &#x017F;cheint daher zu &#x017F;eyn, daß der Un-<lb/>
ter&#x017F;chied geleugnet werde, der doch zugleich im Satze<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t unmittelbar vorkommt; denn der Satz &#x017F;pricht die<lb/>
beyden Be&#x017F;timmungen, Seyn und Nichts, aus, und ent-<lb/>
ha&#x0364;lt &#x017F;ie als unter&#x017F;chiedne. &#x2014; Es kann zugleich nicht ge-<lb/>
meynt &#x017F;eyn, daß von ihnen ab&#x017F;trahirt und nur die Einheit<lb/>
fe&#x017F;tgehalten werden &#x017F;oll. Die&#x017F;er Sinn ga&#x0364;be &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r ein&#x017F;eitig, da das, wovon ab&#x017F;trahirt werden &#x017F;oll,<lb/>
gleichwohl im Satze vorhanden i&#x017F;t. &#x2014; In&#x017F;ofern der<lb/>
Satz: <hi rendition="#g">Seyn und Nichts i&#x017F;t da&#x017F;&#x017F;elbe</hi>, die Iden-<lb/>
tita&#x0364;t die&#x017F;er Be&#x017F;timmungen aus&#x017F;pricht, aber in der That<lb/>
&#x017F;ie eben &#x017F;o als unter&#x017F;chieden entha&#x0364;lt, wider&#x017F;pricht er &#x017F;ich<lb/>
in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, und lo&#x0364;st &#x017F;ich auf. Es i&#x017F;t al&#x017F;o hier ein Satz<lb/>
ge&#x017F;etzt, der na&#x0364;her betrachtet, die Bewegung hat, durch<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu ver&#x017F;chwinden. Damit ge&#x017F;chieht an ihm das,<lb/>
was &#x017F;einen eigentlichen Inhalt ausmachen &#x017F;oll, nemlich<lb/>
das Werden.</p><lb/>
                    <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0078] Erſtes Buch. I. Abſchnitt. Das Denken oder vielmehr Vorſtellen, dem nur ein beſtimmtes Seyn, oder das Daſeyn vorſchwebet, worein die reale Verſchiedenheit des Seyns und Nichts faͤllt, iſt zu dem Anfang der reinen Wiſſenſchaft zuruͤck zu wei- ſen, welchen Parmenides gemacht hat, der unter den Menſchen der erſte geweſen zu ſeyn ſcheint, welcher ſein Vorſtellen und damit auch das Vorſtellen der Folgezeit zu dem reinen Gedanken des Seyns gelaͤutert und erho- ben, und damit das Element der Wiſſenſchaft erſchaffen hat. Es iſt aber, um zur Hauptſache zuruͤckzukehren, zu erinnern, daß der Ausdruck des Reſultats, das ſich aus der Betrachtung des Seyns und des Nichts ergibt, durch den Satz: Seyn und Nichts iſt eins und daſ- ſelbe, unvollkommen iſt. Der Accent wird nemlich vorzugsweiſe auf das Eins- und Daſſelbe-ſeyn ge- legt, und der Sinn ſcheint daher zu ſeyn, daß der Un- terſchied geleugnet werde, der doch zugleich im Satze ſelbſt unmittelbar vorkommt; denn der Satz ſpricht die beyden Beſtimmungen, Seyn und Nichts, aus, und ent- haͤlt ſie als unterſchiedne. — Es kann zugleich nicht ge- meynt ſeyn, daß von ihnen abſtrahirt und nur die Einheit feſtgehalten werden ſoll. Dieſer Sinn gaͤbe ſich ſelbſt fuͤr einſeitig, da das, wovon abſtrahirt werden ſoll, gleichwohl im Satze vorhanden iſt. — Inſofern der Satz: Seyn und Nichts iſt daſſelbe, die Iden- titaͤt dieſer Beſtimmungen ausſpricht, aber in der That ſie eben ſo als unterſchieden enthaͤlt, widerſpricht er ſich in ſich ſelbſt, und loͤst ſich auf. Es iſt alſo hier ein Satz geſetzt, der naͤher betrachtet, die Bewegung hat, durch ſich ſelbſt zu verſchwinden. Damit geſchieht an ihm das, was ſeinen eigentlichen Inhalt ausmachen ſoll, nemlich das Werden. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/78
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/78>, abgerufen am 24.11.2024.