Den einfachen Gedanken des reinen Seyns hatte Parmenides zuerst als das Absolute und als einzige Wahrheit, und in den übergebliebenen Fragmenten von ihm, mit der reinen Begeisterung des Denkens, das zum erstenmale sich in seiner absoluten Abstraction erfaßt, ausgesprochen: nur das Seyn ist, und das Nichts ist gar nicht. -- Der tiefsinnige Heraklit hob gegen jene einfache und einseitige Abstraction den höhern totalen Begriff des Werdens hervor, und sagte: das Seyn ist so wenig, als das Nichts, oder auch daß Alles fließt, das heißt, daß Alles Werden ist. -- Die populären, besonders orientalischen Sprü- che, daß alles, was ist, den Keim seines Vergehens in seiner Geburt selbst habe, der Tod umgekehrt der Ein- gang in neues Leben sey, drücken im Grunde dieselbe Einigung des Seyns und Richts aus. Aber diese Aus- drücke haben ein Substrat, an dem der Uebergang ge- schieht; Seyn und Nichts werden in der Zeit auseinander gehalten, als in ihr abwechselnd vorgestellt, nicht aber in ihrer Abstraction gedacht, und daher auch nicht so, daß sie an und für sich dasselbe sind.
Ex nihilo nihil fit -- ist einer der Sätze, denen in der sonstigen Metaphysik große Bedeutung zugeschrieben wurde. Es ist aber darin entweder nur die gehaltlose Tavtologie zu sehen: Nichts ist Nichts; oder wenn das Werden wirkliche Bedeutung darin haben sollte, so ist vielmehr, indem nur Nichts aus Nichts wird, in der That kein Werden darin vorhanden, denn Nichts bleibt Nichts. Das Werden enthält, daß Nichts nicht Nichts bleibe, sondern in sein Anderes, in das Seyn übergehe. -- Wenn die spätere vornemlich christliche Metaphysik den Satz, aus Nichts werde Nichts, ver- warf, so behauptete sie somit einen Uebergang von Nichts in Seyn; so synthetisch oder bloß vorstellend sie auch die-
sen
Erſtes Buch. I.Abſchnitt.
Den einfachen Gedanken des reinen Seyns hatte Parmenides zuerſt als das Abſolute und als einzige Wahrheit, und in den uͤbergebliebenen Fragmenten von ihm, mit der reinen Begeiſterung des Denkens, das zum erſtenmale ſich in ſeiner abſoluten Abſtraction erfaßt, ausgeſprochen: nur das Seyn iſt, und das Nichts iſt gar nicht. — Der tiefſinnige Heraklit hob gegen jene einfache und einſeitige Abſtraction den hoͤhern totalen Begriff des Werdens hervor, und ſagte: das Seyn iſt ſo wenig, als das Nichts, oder auch daß Alles fließt, das heißt, daß Alles Werden iſt. — Die populaͤren, beſonders orientaliſchen Spruͤ- che, daß alles, was iſt, den Keim ſeines Vergehens in ſeiner Geburt ſelbſt habe, der Tod umgekehrt der Ein- gang in neues Leben ſey, druͤcken im Grunde dieſelbe Einigung des Seyns und Richts aus. Aber dieſe Aus- druͤcke haben ein Subſtrat, an dem der Uebergang ge- ſchieht; Seyn und Nichts werden in der Zeit auseinander gehalten, als in ihr abwechſelnd vorgeſtellt, nicht aber in ihrer Abſtraction gedacht, und daher auch nicht ſo, daß ſie an und fuͤr ſich daſſelbe ſind.
Ex nihilo nihil fit — iſt einer der Saͤtze, denen in der ſonſtigen Metaphyſik große Bedeutung zugeſchrieben wurde. Es iſt aber darin entweder nur die gehaltloſe Tavtologie zu ſehen: Nichts iſt Nichts; oder wenn das Werden wirkliche Bedeutung darin haben ſollte, ſo iſt vielmehr, indem nur Nichts aus Nichts wird, in der That kein Werden darin vorhanden, denn Nichts bleibt Nichts. Das Werden enthaͤlt, daß Nichts nicht Nichts bleibe, ſondern in ſein Anderes, in das Seyn uͤbergehe. — Wenn die ſpaͤtere vornemlich chriſtliche Metaphyſik den Satz, aus Nichts werde Nichts, ver- warf, ſo behauptete ſie ſomit einen Uebergang von Nichts in Seyn; ſo ſynthetiſch oder bloß vorſtellend ſie auch die-
ſen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0072"n="24"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſtes Buch</hi>. <hirendition="#aq">I.</hi><hirendition="#g">Abſchnitt</hi>.</fw><lb/><p>Den einfachen Gedanken <hirendition="#g">des reinen Seyns</hi><lb/>
hatte <hirendition="#g">Parmenides</hi> zuerſt als das Abſolute und als<lb/>
einzige Wahrheit, und in den uͤbergebliebenen Fragmenten<lb/>
von ihm, mit der reinen Begeiſterung des Denkens, das<lb/>
zum erſtenmale ſich in ſeiner abſoluten Abſtraction erfaßt,<lb/>
ausgeſprochen: <hirendition="#g">nur das Seyn iſt, und das<lb/>
Nichts iſt gar nicht</hi>. — Der tiefſinnige <hirendition="#g">Heraklit</hi><lb/>
hob gegen jene einfache und einſeitige Abſtraction den<lb/>
hoͤhern totalen Begriff des Werdens hervor, und ſagte:<lb/><hirendition="#g">das Seyn iſt ſo wenig, als das Nichts</hi>, oder<lb/>
auch daß Alles <hirendition="#g">fließt</hi>, das heißt, daß Alles <hirendition="#g">Werden</hi><lb/>
iſt. — Die populaͤren, beſonders orientaliſchen Spruͤ-<lb/>
che, daß alles, was iſt, den Keim ſeines Vergehens in<lb/>ſeiner Geburt ſelbſt habe, der Tod umgekehrt der Ein-<lb/>
gang in neues Leben ſey, druͤcken im Grunde dieſelbe<lb/>
Einigung des Seyns und Richts aus. Aber dieſe Aus-<lb/>
druͤcke haben ein Subſtrat, an dem der Uebergang ge-<lb/>ſchieht; Seyn und Nichts werden in der Zeit auseinander<lb/>
gehalten, als in ihr abwechſelnd vorgeſtellt, nicht aber<lb/>
in ihrer Abſtraction gedacht, und daher auch nicht ſo,<lb/>
daß ſie an und fuͤr ſich daſſelbe ſind.</p><lb/><p><hirendition="#aq">Ex nihilo nihil fit</hi>— iſt einer der Saͤtze, denen in<lb/>
der ſonſtigen Metaphyſik große Bedeutung zugeſchrieben<lb/>
wurde. Es iſt aber darin entweder nur die gehaltloſe<lb/>
Tavtologie zu ſehen: Nichts iſt Nichts; oder wenn das<lb/><hirendition="#g">Werden</hi> wirkliche Bedeutung darin haben ſollte, ſo iſt<lb/>
vielmehr, indem nur <hirendition="#g">Nichts</hi> aus <hirendition="#g">Nichts</hi> wird, in<lb/>
der That kein Werden darin vorhanden, denn Nichts<lb/>
bleibt Nichts. Das Werden enthaͤlt, daß Nichts nicht<lb/>
Nichts bleibe, ſondern in ſein Anderes, in das Seyn<lb/>
uͤbergehe. — Wenn die ſpaͤtere vornemlich chriſtliche<lb/>
Metaphyſik den Satz, aus Nichts werde Nichts, ver-<lb/>
warf, ſo behauptete ſie ſomit einen Uebergang von Nichts<lb/>
in Seyn; ſo ſynthetiſch oder bloß vorſtellend ſie auch die-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſen</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[24/0072]
Erſtes Buch. I. Abſchnitt.
Den einfachen Gedanken des reinen Seyns
hatte Parmenides zuerſt als das Abſolute und als
einzige Wahrheit, und in den uͤbergebliebenen Fragmenten
von ihm, mit der reinen Begeiſterung des Denkens, das
zum erſtenmale ſich in ſeiner abſoluten Abſtraction erfaßt,
ausgeſprochen: nur das Seyn iſt, und das
Nichts iſt gar nicht. — Der tiefſinnige Heraklit
hob gegen jene einfache und einſeitige Abſtraction den
hoͤhern totalen Begriff des Werdens hervor, und ſagte:
das Seyn iſt ſo wenig, als das Nichts, oder
auch daß Alles fließt, das heißt, daß Alles Werden
iſt. — Die populaͤren, beſonders orientaliſchen Spruͤ-
che, daß alles, was iſt, den Keim ſeines Vergehens in
ſeiner Geburt ſelbſt habe, der Tod umgekehrt der Ein-
gang in neues Leben ſey, druͤcken im Grunde dieſelbe
Einigung des Seyns und Richts aus. Aber dieſe Aus-
druͤcke haben ein Subſtrat, an dem der Uebergang ge-
ſchieht; Seyn und Nichts werden in der Zeit auseinander
gehalten, als in ihr abwechſelnd vorgeſtellt, nicht aber
in ihrer Abſtraction gedacht, und daher auch nicht ſo,
daß ſie an und fuͤr ſich daſſelbe ſind.
Ex nihilo nihil fit — iſt einer der Saͤtze, denen in
der ſonſtigen Metaphyſik große Bedeutung zugeſchrieben
wurde. Es iſt aber darin entweder nur die gehaltloſe
Tavtologie zu ſehen: Nichts iſt Nichts; oder wenn das
Werden wirkliche Bedeutung darin haben ſollte, ſo iſt
vielmehr, indem nur Nichts aus Nichts wird, in
der That kein Werden darin vorhanden, denn Nichts
bleibt Nichts. Das Werden enthaͤlt, daß Nichts nicht
Nichts bleibe, ſondern in ſein Anderes, in das Seyn
uͤbergehe. — Wenn die ſpaͤtere vornemlich chriſtliche
Metaphyſik den Satz, aus Nichts werde Nichts, ver-
warf, ſo behauptete ſie ſomit einen Uebergang von Nichts
in Seyn; ſo ſynthetiſch oder bloß vorſtellend ſie auch die-
ſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/72>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.