mannichfaltigste und verschiedenartigste Dafürhalten offen, worüber am Ende allein die Willkühr eine feste Bestim- mung abschliessen kann. Davon aber kann bey diesem Verfahren, die Wissenschaft mit ihrer Definition anzu- fangen, nicht einmal die Rede seyn, daß die Noth- wendigkeit ihres Gegenstandes und damit ihrer selbst aufgezeigt würde.
Der Begriff der reinen Wissenschaft und seine De- duction wird hier also insofern vorausgesetzt, als die Phänomenologie des Geistes nichts anderes als die De- duction desselben ist. Das absolute Wissen ist die Wahr- heit aller Weisen des Bewußtseyns, weil, wie jener Gang desselben es hervorbrachte, nur in dem absoluten Wissen, die Trennung des Gegenstandes von der Gewißheit seiner selbst vollkommen sich aufgelöst hat, und die Wahrheit, dieser Gewißheit, so wie diese Gewißheit, der Wahrheit gleich geworden ist.
Die reine Wissenschaft setzt somit die Befreyung von dem Gegensatze des Bewußtseyns voraus. Sie ent- hält den Gedanken, insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist. Oder der Begriff der Wissenschaft ist, daß die Wahr- heit das reine Selbstbewußtseyn sey, und die Gestalt des Selbsts habe, daß das an sich seyende der Begriff, und der Begriff das an sich seyende ist.
Dieses objective Denken ist denn der Inhalt der reinen Wissenschaft. Sie ist daher so wenig formell, sie
entbehrt
Einleitung.
mannichfaltigſte und verſchiedenartigſte Dafuͤrhalten offen, woruͤber am Ende allein die Willkuͤhr eine feſte Beſtim- mung abſchlieſſen kann. Davon aber kann bey dieſem Verfahren, die Wiſſenſchaft mit ihrer Definition anzu- fangen, nicht einmal die Rede ſeyn, daß die Noth- wendigkeit ihres Gegenſtandes und damit ihrer ſelbſt aufgezeigt wuͤrde.
Der Begriff der reinen Wiſſenſchaft und ſeine De- duction wird hier alſo inſofern vorausgeſetzt, als die Phaͤnomenologie des Geiſtes nichts anderes als die De- duction deſſelben iſt. Das abſolute Wiſſen iſt die Wahr- heit aller Weiſen des Bewußtſeyns, weil, wie jener Gang deſſelben es hervorbrachte, nur in dem abſoluten Wiſſen, die Trennung des Gegenſtandes von der Gewißheit ſeiner ſelbſt vollkommen ſich aufgeloͤst hat, und die Wahrheit, dieſer Gewißheit, ſo wie dieſe Gewißheit, der Wahrheit gleich geworden iſt.
Die reine Wiſſenſchaft ſetzt ſomit die Befreyung von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns voraus. Sie ent- haͤlt den Gedanken, inſofern er eben ſo ſehr die Sache an ſich ſelbſt iſt, oder die Sache an ſich ſelbſt, inſofern ſie eben ſo ſehr der reine Gedanke iſt. Oder der Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß die Wahr- heit das reine Selbſtbewußtſeyn ſey, und die Geſtalt des Selbſts habe, daß das an ſich ſeyende der Begriff, und der Begriff das an ſich ſeyende iſt.
Dieſes objective Denken iſt denn der Inhalt der reinen Wiſſenſchaft. Sie iſt daher ſo wenig formell, ſie
entbehrt
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[XII/0032]
Einleitung.
mannichfaltigſte und verſchiedenartigſte Dafuͤrhalten offen,
woruͤber am Ende allein die Willkuͤhr eine feſte Beſtim-
mung abſchlieſſen kann. Davon aber kann bey dieſem
Verfahren, die Wiſſenſchaft mit ihrer Definition anzu-
fangen, nicht einmal die Rede ſeyn, daß die Noth-
wendigkeit ihres Gegenſtandes und damit ihrer ſelbſt
aufgezeigt wuͤrde.
Der Begriff der reinen Wiſſenſchaft und ſeine De-
duction wird hier alſo inſofern vorausgeſetzt, als die
Phaͤnomenologie des Geiſtes nichts anderes als die De-
duction deſſelben iſt. Das abſolute Wiſſen iſt die Wahr-
heit aller Weiſen des Bewußtſeyns, weil, wie jener Gang
deſſelben es hervorbrachte, nur in dem abſoluten Wiſſen,
die Trennung des Gegenſtandes von der Gewißheit ſeiner
ſelbſt vollkommen ſich aufgeloͤst hat, und die Wahrheit,
dieſer Gewißheit, ſo wie dieſe Gewißheit, der Wahrheit
gleich geworden iſt.
Die reine Wiſſenſchaft ſetzt ſomit die Befreyung
von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns voraus. Sie ent-
haͤlt den Gedanken, inſofern er eben ſo ſehr
die Sache an ſich ſelbſt iſt, oder die Sache an ſich
ſelbſt, inſofern ſie eben ſo ſehr der reine Gedanke iſt.
Oder der Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß die Wahr-
heit das reine Selbſtbewußtſeyn ſey, und die Geſtalt
des Selbſts habe, daß das an ſich ſeyende der
Begriff, und der Begriff das an ſich ſeyende
iſt.
Dieſes objective Denken iſt denn der Inhalt der
reinen Wiſſenſchaft. Sie iſt daher ſo wenig formell, ſie
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/32>, abgerufen am 25.07.2024.
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