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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

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Quantität.
einer Zukunft ist. Allein dieser Unterschied ist unwesent-
lich. Jetzt wird als der Punkt angenommen, in wel-
chem eine unendliche Reihe auf einander folgender Zu-
stände der Dinge in der Welt verflossen seyn soll, al-
so als Ende, als qualitative Grenze. Würde diß
Jetzt nur als quantitative Grenze betrachtet, über welche
hinaus zu gehen und die fliessend sey, so wäre die un-
endliche Zeitreihe in ihr nicht verflossen, sondern füh-
re fort zu fliessen, und das Räsonnement des Beweises
fiele weg. Dieser als qualitative Grenze für die Ver-
gangenheit angenommene Zeitpunkt aber ist zugleich An-
fang für die Zukunft, -- denn an sich ist jeder Zeit-
punkt die Beziehung der Vergangenheit und der Zukunft,
-- und zwar ist er absoluter Anfang für dieselbe.
Denn es thut nichts zur Sache, daß vor seiner Zukunft
und vor dem Anfange derselben schon eine Vergangenheit
ist; indem dieser Zeitpunkt qualitative Grenze ist, --
und als qualitative ihn anzunehmen, liegt in der Be-
stimmung des Vollendeten, Abgelaufenen, also
sich nicht continuirenden
, -- so ist die Zeit in
ihm abgebrochen, und die Vergangenheit, von der die
Rede ist, ohne Beziehung auf die Zeit, welche nur Zu-
kunft in Rücksicht auf diese Vergangenheit genannt wer-
den konnte, und daher nur Zeit überhaupt ist, die einen
absoluten Anfang hat. Stünde sie aber, -- (wie sie es
denn thut --) durch das Itzt, den gegebenen Zeitpunkt,
in einer Beziehung auf die Vergangenheit, wäre sie in
der That Zukunft, so wäre auch dieser Zeitpunkt von der
andern Seite keine Grenze, die unendliche Zeitreihe con-
tinuirte sich in dem, was Zukunft hieß, und wäre nicht,
wie angenommen worden, vollendet.

In Wahrheit ist die Zeit reine Quantität; der im Be-
weise gebrauchte Zeitpunkt, in welchem sie unterbro-
chen seyn sollte, ist vielmehr nur das sich selbst auf-

heben-
P

Quantitaͤt.
einer Zukunft iſt. Allein dieſer Unterſchied iſt unweſent-
lich. Jetzt wird als der Punkt angenommen, in wel-
chem eine unendliche Reihe auf einander folgender Zu-
ſtaͤnde der Dinge in der Welt verfloſſen ſeyn ſoll, al-
ſo als Ende, als qualitative Grenze. Wuͤrde diß
Jetzt nur als quantitative Grenze betrachtet, uͤber welche
hinaus zu gehen und die flieſſend ſey, ſo waͤre die un-
endliche Zeitreihe in ihr nicht verfloſſen, ſondern fuͤh-
re fort zu flieſſen, und das Raͤſonnement des Beweiſes
fiele weg. Dieſer als qualitative Grenze fuͤr die Ver-
gangenheit angenommene Zeitpunkt aber iſt zugleich An-
fang fuͤr die Zukunft, — denn an ſich iſt jeder Zeit-
punkt die Beziehung der Vergangenheit und der Zukunft,
— und zwar iſt er abſoluter Anfang fuͤr dieſelbe.
Denn es thut nichts zur Sache, daß vor ſeiner Zukunft
und vor dem Anfange derſelben ſchon eine Vergangenheit
iſt; indem dieſer Zeitpunkt qualitative Grenze iſt, —
und als qualitative ihn anzunehmen, liegt in der Be-
ſtimmung des Vollendeten, Abgelaufenen, alſo
ſich nicht continuirenden
, — ſo iſt die Zeit in
ihm abgebrochen, und die Vergangenheit, von der die
Rede iſt, ohne Beziehung auf die Zeit, welche nur Zu-
kunft in Ruͤckſicht auf dieſe Vergangenheit genannt wer-
den konnte, und daher nur Zeit uͤberhaupt iſt, die einen
abſoluten Anfang hat. Stuͤnde ſie aber, — (wie ſie es
denn thut —) durch das Itzt, den gegebenen Zeitpunkt,
in einer Beziehung auf die Vergangenheit, waͤre ſie in
der That Zukunft, ſo waͤre auch dieſer Zeitpunkt von der
andern Seite keine Grenze, die unendliche Zeitreihe con-
tinuirte ſich in dem, was Zukunft hieß, und waͤre nicht,
wie angenommen worden, vollendet.

In Wahrheit iſt die Zeit reine Quantitaͤt; der im Be-
weiſe gebrauchte Zeitpunkt, in welchem ſie unterbro-
chen ſeyn ſollte, iſt vielmehr nur das ſich ſelbſt auf-

heben-
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[197/0245] Quantitaͤt. einer Zukunft iſt. Allein dieſer Unterſchied iſt unweſent- lich. Jetzt wird als der Punkt angenommen, in wel- chem eine unendliche Reihe auf einander folgender Zu- ſtaͤnde der Dinge in der Welt verfloſſen ſeyn ſoll, al- ſo als Ende, als qualitative Grenze. Wuͤrde diß Jetzt nur als quantitative Grenze betrachtet, uͤber welche hinaus zu gehen und die flieſſend ſey, ſo waͤre die un- endliche Zeitreihe in ihr nicht verfloſſen, ſondern fuͤh- re fort zu flieſſen, und das Raͤſonnement des Beweiſes fiele weg. Dieſer als qualitative Grenze fuͤr die Ver- gangenheit angenommene Zeitpunkt aber iſt zugleich An- fang fuͤr die Zukunft, — denn an ſich iſt jeder Zeit- punkt die Beziehung der Vergangenheit und der Zukunft, — und zwar iſt er abſoluter Anfang fuͤr dieſelbe. Denn es thut nichts zur Sache, daß vor ſeiner Zukunft und vor dem Anfange derſelben ſchon eine Vergangenheit iſt; indem dieſer Zeitpunkt qualitative Grenze iſt, — und als qualitative ihn anzunehmen, liegt in der Be- ſtimmung des Vollendeten, Abgelaufenen, alſo ſich nicht continuirenden, — ſo iſt die Zeit in ihm abgebrochen, und die Vergangenheit, von der die Rede iſt, ohne Beziehung auf die Zeit, welche nur Zu- kunft in Ruͤckſicht auf dieſe Vergangenheit genannt wer- den konnte, und daher nur Zeit uͤberhaupt iſt, die einen abſoluten Anfang hat. Stuͤnde ſie aber, — (wie ſie es denn thut —) durch das Itzt, den gegebenen Zeitpunkt, in einer Beziehung auf die Vergangenheit, waͤre ſie in der That Zukunft, ſo waͤre auch dieſer Zeitpunkt von der andern Seite keine Grenze, die unendliche Zeitreihe con- tinuirte ſich in dem, was Zukunft hieß, und waͤre nicht, wie angenommen worden, vollendet. In Wahrheit iſt die Zeit reine Quantitaͤt; der im Be- weiſe gebrauchte Zeitpunkt, in welchem ſie unterbro- chen ſeyn ſollte, iſt vielmehr nur das ſich ſelbſt auf- heben- P

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/245>, abgerufen am 22.11.2024.