"flossen. Nun besteht aber eben darin die Unendlich- "keit einer Reihe, daß sie durch successive Synthesis nie- "mals vollendet seyn kann. Also ist eine unendliche "verflossene Weltreihe unmöglich, mithin ein Anfang der "Welt eine nothwendige Bedingung ihres Daseyns; wel- "ches zu erweisen war."
Der andere Theil des Beweises, der den Raum betrift, wird auf die Zeit zurückgeführt. Das Zusammenfassen der Theile einer im Raume unendlichen Welt erforderte eine unendliche Zeit, welche als abge- lauffen angesehen werden müßte, insofern die Welt im Raume nicht als ein werdendes, sondern als ein vollen- detes gegebenes anzusehen ist. Von der Zeit aber wur- de im ersten Theile des Beweises gezeigt, daß eine un- endliche Zeit als abgelaufen anzunehmen unmöglich ist.
Man sieht aber sogleich, daß es unnöthig war, den Beweis apogogisch zu machen, oder überhaupt einen Be- weis zu führen, indem in ihm selbst unmittelbar die Be- hauptung dessen zu Grunde liegt, was bewiesen werden sollte. Es wird nemlich irgend ein oder jeder gegebe- ne Zeitpunkt angenommen, bis zu welchem eine Ewigkeit (-- Ewigkeit hat hier nur den geringen Sinn einer schlecht-unendlichen Zeit) abgelaufen sey. Ein gegebener Zeitpunkt heißt nichts anders, als eine bestimmte Grenze in der Zeit. Im Beweise wird also eine Grenze der Zeit als wirklich vorausgesetzt; sie ist aber eben das, was bewiesen werden sollte. Denn die Thesis besteht darin, daß die Welt einen An- fang in der Zeit habe.
Nur der Unterschied findet Statt, daß die ange- nommene Zeitgrenze ein Jetzt, als Ende der vorher verflossenen, die zu beweisende aber Jetzt als Anfang
einer
Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
„floſſen. Nun beſteht aber eben darin die Unendlich- „keit einer Reihe, daß ſie durch ſucceſſive Syntheſis nie- „mals vollendet ſeyn kann. Alſo iſt eine unendliche „verfloſſene Weltreihe unmoͤglich, mithin ein Anfang der „Welt eine nothwendige Bedingung ihres Daſeyns; wel- „ches zu erweiſen war.“
Der andere Theil des Beweiſes, der den Raum betrift, wird auf die Zeit zuruͤckgefuͤhrt. Das Zuſammenfaſſen der Theile einer im Raume unendlichen Welt erforderte eine unendliche Zeit, welche als abge- lauffen angeſehen werden muͤßte, inſofern die Welt im Raume nicht als ein werdendes, ſondern als ein vollen- detes gegebenes anzuſehen iſt. Von der Zeit aber wur- de im erſten Theile des Beweiſes gezeigt, daß eine un- endliche Zeit als abgelaufen anzunehmen unmoͤglich iſt.
Man ſieht aber ſogleich, daß es unnoͤthig war, den Beweis apogogiſch zu machen, oder uͤberhaupt einen Be- weis zu fuͤhren, indem in ihm ſelbſt unmittelbar die Be- hauptung deſſen zu Grunde liegt, was bewieſen werden ſollte. Es wird nemlich irgend ein oder jeder gegebe- ne Zeitpunkt angenommen, bis zu welchem eine Ewigkeit (— Ewigkeit hat hier nur den geringen Sinn einer ſchlecht-unendlichen Zeit) abgelaufen ſey. Ein gegebener Zeitpunkt heißt nichts anders, als eine beſtimmte Grenze in der Zeit. Im Beweiſe wird alſo eine Grenze der Zeit als wirklich vorausgeſetzt; ſie iſt aber eben das, was bewieſen werden ſollte. Denn die Theſis beſteht darin, daß die Welt einen An- fang in der Zeit habe.
Nur der Unterſchied findet Statt, daß die ange- nommene Zeitgrenze ein Jetzt, als Ende der vorher verfloſſenen, die zu beweiſende aber Jetzt als Anfang
einer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0244"n="196"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſtes Buch</hi>. <hirendition="#aq">II</hi>. <hirendition="#g">Abſchnitt</hi>.</fw><lb/>„<hirendition="#g">floſſen</hi>. Nun beſteht aber eben darin die Unendlich-<lb/>„keit einer Reihe, daß ſie durch ſucceſſive Syntheſis nie-<lb/>„mals <hirendition="#g">vollendet</hi>ſeyn kann. Alſo iſt eine unendliche<lb/>„verfloſſene Weltreihe unmoͤglich, mithin ein Anfang der<lb/>„Welt eine nothwendige Bedingung ihres Daſeyns; wel-<lb/>„ches zu erweiſen war.“</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">andere Theil</hi> des Beweiſes, der den<lb/><hirendition="#g">Raum</hi> betrift, wird auf die Zeit zuruͤckgefuͤhrt. Das<lb/>
Zuſammenfaſſen der Theile einer im Raume unendlichen<lb/>
Welt erforderte eine unendliche Zeit, welche als abge-<lb/>
lauffen angeſehen werden muͤßte, inſofern die Welt im<lb/>
Raume nicht als ein werdendes, ſondern als ein vollen-<lb/>
detes gegebenes anzuſehen iſt. Von der Zeit aber wur-<lb/>
de im erſten Theile des Beweiſes gezeigt, daß eine un-<lb/>
endliche Zeit als abgelaufen anzunehmen unmoͤglich iſt.</p><lb/><p>Man ſieht aber ſogleich, daß es unnoͤthig war, den<lb/>
Beweis apogogiſch zu machen, oder uͤberhaupt einen Be-<lb/>
weis zu fuͤhren, indem in ihm ſelbſt unmittelbar die Be-<lb/>
hauptung deſſen zu Grunde liegt, was bewieſen werden<lb/>ſollte. Es wird nemlich irgend ein oder jeder <hirendition="#g">gegebe-<lb/>
ne Zeitpunkt</hi> angenommen, bis zu welchem eine<lb/>
Ewigkeit (— Ewigkeit hat hier nur den geringen Sinn<lb/>
einer ſchlecht-unendlichen Zeit) abgelaufen ſey. <hirendition="#g">Ein<lb/>
gegebener Zeitpunkt</hi> heißt nichts anders, als eine<lb/>
beſtimmte <hirendition="#g">Grenze</hi> in der Zeit. Im Beweiſe wird alſo<lb/>
eine Grenze der Zeit als wirklich <hirendition="#g">vorausgeſetzt</hi>; ſie<lb/>
iſt aber eben <hirendition="#g">das</hi>, was <hirendition="#g">bewieſen werden</hi>ſollte.<lb/>
Denn die Theſis beſteht darin, daß die Welt einen An-<lb/>
fang in der Zeit habe.</p><lb/><p>Nur der Unterſchied findet Statt, daß die <hirendition="#g">ange-<lb/>
nommene</hi> Zeitgrenze ein <hirendition="#g">Jetzt</hi>, als Ende der vorher<lb/>
verfloſſenen, die zu beweiſende aber <hirendition="#g">Jetzt</hi> als Anfang<lb/><fwplace="bottom"type="catch">einer</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[196/0244]
Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
„floſſen. Nun beſteht aber eben darin die Unendlich-
„keit einer Reihe, daß ſie durch ſucceſſive Syntheſis nie-
„mals vollendet ſeyn kann. Alſo iſt eine unendliche
„verfloſſene Weltreihe unmoͤglich, mithin ein Anfang der
„Welt eine nothwendige Bedingung ihres Daſeyns; wel-
„ches zu erweiſen war.“
Der andere Theil des Beweiſes, der den
Raum betrift, wird auf die Zeit zuruͤckgefuͤhrt. Das
Zuſammenfaſſen der Theile einer im Raume unendlichen
Welt erforderte eine unendliche Zeit, welche als abge-
lauffen angeſehen werden muͤßte, inſofern die Welt im
Raume nicht als ein werdendes, ſondern als ein vollen-
detes gegebenes anzuſehen iſt. Von der Zeit aber wur-
de im erſten Theile des Beweiſes gezeigt, daß eine un-
endliche Zeit als abgelaufen anzunehmen unmoͤglich iſt.
Man ſieht aber ſogleich, daß es unnoͤthig war, den
Beweis apogogiſch zu machen, oder uͤberhaupt einen Be-
weis zu fuͤhren, indem in ihm ſelbſt unmittelbar die Be-
hauptung deſſen zu Grunde liegt, was bewieſen werden
ſollte. Es wird nemlich irgend ein oder jeder gegebe-
ne Zeitpunkt angenommen, bis zu welchem eine
Ewigkeit (— Ewigkeit hat hier nur den geringen Sinn
einer ſchlecht-unendlichen Zeit) abgelaufen ſey. Ein
gegebener Zeitpunkt heißt nichts anders, als eine
beſtimmte Grenze in der Zeit. Im Beweiſe wird alſo
eine Grenze der Zeit als wirklich vorausgeſetzt; ſie
iſt aber eben das, was bewieſen werden ſollte.
Denn die Theſis beſteht darin, daß die Welt einen An-
fang in der Zeit habe.
Nur der Unterſchied findet Statt, daß die ange-
nommene Zeitgrenze ein Jetzt, als Ende der vorher
verfloſſenen, die zu beweiſende aber Jetzt als Anfang
einer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/244>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.