In dem apogogischen Umwege sehen wir somit die Behauptung selbst vorkommen, die aus ihm resultiren soll. Kürzer läßt sich der Beweis so fassen:
Man nehme an, die zusammengesetzten Substanzen bestünden nicht aus einfachen Theilen. Nun aber kann man alle Zusammensetzung in Gedanken aufheben, (denn sie ist nur eine zufällige Relation;) also blieben nach de- ren Aufhebung keine Substanzen übrig, wenn sie nicht aus einfachen Theilen bestünden. Substanzen aber müs- sen wir haben, denn wir haben sie angenommen; es soll uns nicht alles verschwinden, sondern Etwas übrig blei- ben, denn wir haben ein solches Beharrliches, das wir Substanz nannten, vorausgesetzt; diß Etwas muß also einfach seyn.
Es gehört noch zum Ganzen, den Schlußsatz zu betrachten; er lautet folgendermassen:
"Hieraus folgt unmittelbar, daß die Dinge der "Welt insgesammt einfache Wesen seyn, daß die Zu- "sammensetzung nur ein äusserer Zustand "derselben sey, und daß die Vernunft die Elemen- "tarsubstanzen, als einfaches Wesen denken müsse."
Hier sehen wir die Zufälligkeit der Zusammen- setzung als Folge aufgeführt, nachdem sie vorher im Beweise parenthetisch eingeführt, und in ihm ge- braucht worden war.
Kant protestirt sehr, daß er bey den widerstreiten- den Sätzen der Antinomie nicht Blendwerke suche, um etwa (wie man zu sagen pflege) einen Advocatenbeweis zu führen. Der betrachtete Beweis ist nicht so sehr ei- nes Blendwerks zu beschuldigen, als einer unnützen ge-
quälten
Quantitaͤt.
In dem apogogiſchen Umwege ſehen wir ſomit die Behauptung ſelbſt vorkommen, die aus ihm reſultiren ſoll. Kuͤrzer laͤßt ſich der Beweis ſo faſſen:
Man nehme an, die zuſammengeſetzten Subſtanzen beſtuͤnden nicht aus einfachen Theilen. Nun aber kann man alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufheben, (denn ſie iſt nur eine zufaͤllige Relation;) alſo blieben nach de- ren Aufhebung keine Subſtanzen uͤbrig, wenn ſie nicht aus einfachen Theilen beſtuͤnden. Subſtanzen aber muͤſ- ſen wir haben, denn wir haben ſie angenommen; es ſoll uns nicht alles verſchwinden, ſondern Etwas uͤbrig blei- ben, denn wir haben ein ſolches Beharrliches, das wir Subſtanz nannten, vorausgeſetzt; diß Etwas muß alſo einfach ſeyn.
Es gehoͤrt noch zum Ganzen, den Schlußſatz zu betrachten; er lautet folgendermaſſen:
„Hieraus folgt unmittelbar, daß die Dinge der „Welt insgeſammt einfache Weſen ſeyn, daß die Zu- „ſammenſetzung nur ein aͤuſſerer Zuſtand „derſelben ſey, und daß die Vernunft die Elemen- „tarſubſtanzen, als einfaches Weſen denken muͤſſe.“
Hier ſehen wir die Zufaͤlligkeit der Zuſammen- ſetzung als Folge aufgefuͤhrt, nachdem ſie vorher im Beweiſe parenthetiſch eingefuͤhrt, und in ihm ge- braucht worden war.
Kant proteſtirt ſehr, daß er bey den widerſtreiten- den Saͤtzen der Antinomie nicht Blendwerke ſuche, um etwa (wie man zu ſagen pflege) einen Advocatenbeweis zu fuͤhren. Der betrachtete Beweis iſt nicht ſo ſehr ei- nes Blendwerks zu beſchuldigen, als einer unnuͤtzen ge-
quaͤlten
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Quantitaͤt.
In dem apogogiſchen Umwege ſehen wir ſomit die
Behauptung ſelbſt vorkommen, die aus ihm reſultiren
ſoll. Kuͤrzer laͤßt ſich der Beweis ſo faſſen:
Man nehme an, die zuſammengeſetzten Subſtanzen
beſtuͤnden nicht aus einfachen Theilen. Nun aber kann
man alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufheben, (denn
ſie iſt nur eine zufaͤllige Relation;) alſo blieben nach de-
ren Aufhebung keine Subſtanzen uͤbrig, wenn ſie nicht
aus einfachen Theilen beſtuͤnden. Subſtanzen aber muͤſ-
ſen wir haben, denn wir haben ſie angenommen; es ſoll
uns nicht alles verſchwinden, ſondern Etwas uͤbrig blei-
ben, denn wir haben ein ſolches Beharrliches, das wir
Subſtanz nannten, vorausgeſetzt; diß Etwas muß alſo
einfach ſeyn.
Es gehoͤrt noch zum Ganzen, den Schlußſatz zu
betrachten; er lautet folgendermaſſen:
„Hieraus folgt unmittelbar, daß die Dinge der
„Welt insgeſammt einfache Weſen ſeyn, daß die Zu-
„ſammenſetzung nur ein aͤuſſerer Zuſtand
„derſelben ſey, und daß die Vernunft die Elemen-
„tarſubſtanzen, als einfaches Weſen denken muͤſſe.“
Hier ſehen wir die Zufaͤlligkeit der Zuſammen-
ſetzung als Folge aufgefuͤhrt, nachdem ſie vorher im
Beweiſe parenthetiſch eingefuͤhrt, und in ihm ge-
braucht worden war.
Kant proteſtirt ſehr, daß er bey den widerſtreiten-
den Saͤtzen der Antinomie nicht Blendwerke ſuche, um
etwa (wie man zu ſagen pflege) einen Advocatenbeweis
zu fuͤhren. Der betrachtete Beweis iſt nicht ſo ſehr ei-
nes Blendwerks zu beſchuldigen, als einer unnuͤtzen ge-
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/193>, abgerufen am 16.02.2025.
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