Was seyn soll, ist und ist zugleich nicht. Wenn es wäre, so sollte es nicht bloß seyn. Also das Sollen hat wesentlich eine Schranke. -- Aber ferner die- se Schranke ist nicht ein Fremdes. Das, was seyn soll, ist die Bestimmung, d. i. es ist die Bestimmt- heit der Bestimmung selbst, welche nicht ist. Diß ist das, was so eben so ausgedrückt wurde, daß das Sollen die Bestimmtheit ist, aber eben so das Aufgehoben- seyn dieser Bestimmtheit selbst.
Was sich also ergeben hat, besteht darin: Etwas hat eine Bestimmung; d. h. eine Bestimmtheit, welche aber nicht seine Grenze, nicht sein Aufhören sey, son- dern vielmehr sein Insichseyn selbst. Aber es hat da- mit zugleich eine Grenze oder ist bestimmt; die aufgeho- bene Grenze ist aufbewahrt. Diese Grenze ist Schranke, und die Bestimmung ist Sollen, insofern die Bestimmt- heit in der einfachen Einheit des Insichseyns zugleich ist und nicht ist.
Das In-sich-Beruhen des Etwas in seiner Be- stimmung setzt sich also zum Sollen herab, dadurch daß dieselbe Bestimmtheit, welche sein Insichseyn aus- macht, zugleich auch in einer und derselben Rücksicht aufgehoben, als Nichtseyn ist. Die Schranke des Etwas ist daher nicht ein Aeusseres, sondern seine eigene Bestimmung ist auch seine Schranke.
Als Sollen geht das Etwas ferner über seine Schranke hinaus, d. h. das was nicht ist in ihm, was aufgehoben ist, ist auch in ihm; nemlich dieselbe Be- stimmtheit, als welche es aufgehoben ist, ist sein Ansich- seyn, und seine Grenze ist auch nicht seine Grenze.
Als Sollen ist somit Etwas über seine Schranke erhaben, umgekehrt hat es aber nur als
Sollen
Qualitaͤt.
Was ſeyn ſoll, iſt und iſt zugleich nicht. Wenn es waͤre, ſo ſollte es nicht bloß ſeyn. Alſo das Sollen hat weſentlich eine Schranke. — Aber ferner die- ſe Schranke iſt nicht ein Fremdes. Das, was ſeyn ſoll, iſt die Beſtimmung, d. i. es iſt die Beſtimmt- heit der Beſtimmung ſelbſt, welche nicht iſt. Diß iſt das, was ſo eben ſo ausgedruͤckt wurde, daß das Sollen die Beſtimmtheit iſt, aber eben ſo das Aufgehoben- ſeyn dieſer Beſtimmtheit ſelbſt.
Was ſich alſo ergeben hat, beſteht darin: Etwas hat eine Beſtimmung; d. h. eine Beſtimmtheit, welche aber nicht ſeine Grenze, nicht ſein Aufhoͤren ſey, ſon- dern vielmehr ſein Inſichſeyn ſelbſt. Aber es hat da- mit zugleich eine Grenze oder iſt beſtimmt; die aufgeho- bene Grenze iſt aufbewahrt. Dieſe Grenze iſt Schranke, und die Beſtimmung iſt Sollen, inſofern die Beſtimmt- heit in der einfachen Einheit des Inſichſeyns zugleich iſt und nicht iſt.
Das In-ſich-Beruhen des Etwas in ſeiner Be- ſtimmung ſetzt ſich alſo zum Sollen herab, dadurch daß dieſelbe Beſtimmtheit, welche ſein Inſichſeyn aus- macht, zugleich auch in einer und derſelben Ruͤckſicht aufgehoben, als Nichtſeyn iſt. Die Schranke des Etwas iſt daher nicht ein Aeuſſeres, ſondern ſeine eigene Beſtimmung iſt auch ſeine Schranke.
Als Sollen geht das Etwas ferner uͤber ſeine Schranke hinaus, d. h. das was nicht iſt in ihm, was aufgehoben iſt, iſt auch in ihm; nemlich dieſelbe Be- ſtimmtheit, als welche es aufgehoben iſt, iſt ſein Anſich- ſeyn, und ſeine Grenze iſt auch nicht ſeine Grenze.
Als Sollen iſt ſomit Etwas uͤber ſeine Schranke erhaben, umgekehrt hat es aber nur als
Sollen
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Qualitaͤt.
Was ſeyn ſoll, iſt und iſt zugleich nicht. Wenn
es waͤre, ſo ſollte es nicht bloß ſeyn. Alſo das
Sollen hat weſentlich eine Schranke. — Aber ferner die-
ſe Schranke iſt nicht ein Fremdes. Das, was ſeyn
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heit der Beſtimmung ſelbſt, welche nicht iſt. Diß iſt
das, was ſo eben ſo ausgedruͤckt wurde, daß das Sollen
die Beſtimmtheit iſt, aber eben ſo das Aufgehoben-
ſeyn dieſer Beſtimmtheit ſelbſt.
Was ſich alſo ergeben hat, beſteht darin: Etwas
hat eine Beſtimmung; d. h. eine Beſtimmtheit, welche
aber nicht ſeine Grenze, nicht ſein Aufhoͤren ſey, ſon-
dern vielmehr ſein Inſichſeyn ſelbſt. Aber es hat da-
mit zugleich eine Grenze oder iſt beſtimmt; die aufgeho-
bene Grenze iſt aufbewahrt. Dieſe Grenze iſt Schranke,
und die Beſtimmung iſt Sollen, inſofern die Beſtimmt-
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und nicht iſt.
Das In-ſich-Beruhen des Etwas in ſeiner Be-
ſtimmung ſetzt ſich alſo zum Sollen herab, dadurch
daß dieſelbe Beſtimmtheit, welche ſein Inſichſeyn aus-
macht, zugleich auch in einer und derſelben Ruͤckſicht
aufgehoben, als Nichtſeyn iſt. Die Schranke des
Etwas iſt daher nicht ein Aeuſſeres, ſondern ſeine eigene
Beſtimmung iſt auch ſeine Schranke.
Als Sollen geht das Etwas ferner uͤber ſeine
Schranke hinaus, d. h. das was nicht iſt in ihm, was
aufgehoben iſt, iſt auch in ihm; nemlich dieſelbe Be-
ſtimmtheit, als welche es aufgehoben iſt, iſt ſein Anſich-
ſeyn, und ſeine Grenze iſt auch nicht ſeine Grenze.
Als Sollen iſt ſomit Etwas uͤber ſeine
Schranke erhaben, umgekehrt hat es aber nur als
Sollen
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/121>, abgerufen am 25.07.2024.
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