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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 40. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
genschaft als obersten Regierers der abendländischen katholischen
Kirche.

Jeder Conflict zwischen einer derartigen Macht und den Staats-
gewalten würde nur gehoben werden, wenn entweder diese sich ganz
den Bestimmungen der ersteren auch in weltlichen Dingen unter-
werfen wollten, gleichsam als eine theokratisch beherrschte Staaten-
familie; eine Idee, die zwar im Mittelalter mit Consequenz ver-
folgt, jedoch niemals durchgesetzt wurde, und auch jetzt, nur von
einzelnen kirchlichen Eiferern empfohlen, schwachen Anklang selbst
in katholischen Staaten gefunden hat, denn sie vernichtet alle Na-
tionalität -- oder zweitens, wenn die geistliche Gewalt sich eben
nur auf die Grenzen eines spirituellen Wirkens beschränken, nicht
etwa auch eine politische Form des Daseins in Anspruch nehmen
und jedem Einfluß auf das äußere Leben entsagen könnte oder
wollte.

So lange nun Kirchen- und Staatsgewalten in ihrer Freiheit
und Selbständigkeit bestehen, wird es nöthig, das Rechtsverhältniß
beider zu einander zu bestimmen. Die Entscheidungsquellen aber
können keine anderen sein, als diejenigen, welchen alle unabhängi-
gen Mächte oder Rechtssubjecte, die mit einander Verbindung ha-
ben wollen oder zufällig haben, unterworfen sind; nämlich:

I. Das Wesen der sich gegenüberstehenden Subjecte selbst. Kein
Staat, welcher katholische Unterthanen hat, kann in dem Rö-
mischen Oberbischof eine Macht verkennen, worin die abend-
ländische Römisch-katholische Kirche ihren Mittelpunct, ihre
Einheit und ihren Demiurgen findet, mit welchem sie in ei-
nem untrennbaren Zusammenhange steht, wider dessen Wil-
len in der Kirche Nichts geschehen darf und dessen Urtheil
hierin über Recht und Unrecht entscheidet, 1 eine Macht, de-
1 Wir wissen recht wohl, daß nicht in der gesammten katholischen Christen-
heit die Unbedingtheit des Römischen Oberbischofes zugegeben wird, daß
sie auch keineswegs ein Glaubenssatz der Kirche ist, und daß sich in ihr
selbst ein oppositionelles System gebildet hat, welches die Macht jenes Ober-
bischofes einem höheren kirchlichen Willen unterwerfen, ihm nur die oberste
ausführende Gewalt und eine provisorische Gesetzgebung zugestehen will. In-
dessen ist dieses System zu keiner allgemeinen Anerkennung gebracht. Dem
Besitzstande nach erscheint der Pabst als ein geistlicher Monarch, an wel-
chen die Gläubigen in ihrem Gewissen gebunden sind, und der seinerseits
nur an gewisse, von Christus oder dem h. Geist ausgegangene, in Schrift

§. 40. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
genſchaft als oberſten Regierers der abendländiſchen katholiſchen
Kirche.

Jeder Conflict zwiſchen einer derartigen Macht und den Staats-
gewalten würde nur gehoben werden, wenn entweder dieſe ſich ganz
den Beſtimmungen der erſteren auch in weltlichen Dingen unter-
werfen wollten, gleichſam als eine theokratiſch beherrſchte Staaten-
familie; eine Idee, die zwar im Mittelalter mit Conſequenz ver-
folgt, jedoch niemals durchgeſetzt wurde, und auch jetzt, nur von
einzelnen kirchlichen Eiferern empfohlen, ſchwachen Anklang ſelbſt
in katholiſchen Staaten gefunden hat, denn ſie vernichtet alle Na-
tionalität — oder zweitens, wenn die geiſtliche Gewalt ſich eben
nur auf die Grenzen eines ſpirituellen Wirkens beſchränken, nicht
etwa auch eine politiſche Form des Daſeins in Anſpruch nehmen
und jedem Einfluß auf das äußere Leben entſagen könnte oder
wollte.

So lange nun Kirchen- und Staatsgewalten in ihrer Freiheit
und Selbſtändigkeit beſtehen, wird es nöthig, das Rechtsverhältniß
beider zu einander zu beſtimmen. Die Entſcheidungsquellen aber
können keine anderen ſein, als diejenigen, welchen alle unabhängi-
gen Mächte oder Rechtsſubjecte, die mit einander Verbindung ha-
ben wollen oder zufällig haben, unterworfen ſind; nämlich:

I. Das Weſen der ſich gegenüberſtehenden Subjecte ſelbſt. Kein
Staat, welcher katholiſche Unterthanen hat, kann in dem Rö-
miſchen Oberbiſchof eine Macht verkennen, worin die abend-
ländiſche Römiſch-katholiſche Kirche ihren Mittelpunct, ihre
Einheit und ihren Demiurgen findet, mit welchem ſie in ei-
nem untrennbaren Zuſammenhange ſteht, wider deſſen Wil-
len in der Kirche Nichts geſchehen darf und deſſen Urtheil
hierin über Recht und Unrecht entſcheidet, 1 eine Macht, de-
1 Wir wiſſen recht wohl, daß nicht in der geſammten katholiſchen Chriſten-
heit die Unbedingtheit des Römiſchen Oberbiſchofes zugegeben wird, daß
ſie auch keineswegs ein Glaubensſatz der Kirche iſt, und daß ſich in ihr
ſelbſt ein oppoſitionelles Syſtem gebildet hat, welches die Macht jenes Ober-
biſchofes einem höheren kirchlichen Willen unterwerfen, ihm nur die oberſte
ausführende Gewalt und eine proviſoriſche Geſetzgebung zugeſtehen will. In-
deſſen iſt dieſes Syſtem zu keiner allgemeinen Anerkennung gebracht. Dem
Beſitzſtande nach erſcheint der Pabſt als ein geiſtlicher Monarch, an wel-
chen die Gläubigen in ihrem Gewiſſen gebunden ſind, und der ſeinerſeits
nur an gewiſſe, von Chriſtus oder dem h. Geiſt ausgegangene, in Schrift
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[73/0097] §. 40. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. genſchaft als oberſten Regierers der abendländiſchen katholiſchen Kirche. Jeder Conflict zwiſchen einer derartigen Macht und den Staats- gewalten würde nur gehoben werden, wenn entweder dieſe ſich ganz den Beſtimmungen der erſteren auch in weltlichen Dingen unter- werfen wollten, gleichſam als eine theokratiſch beherrſchte Staaten- familie; eine Idee, die zwar im Mittelalter mit Conſequenz ver- folgt, jedoch niemals durchgeſetzt wurde, und auch jetzt, nur von einzelnen kirchlichen Eiferern empfohlen, ſchwachen Anklang ſelbſt in katholiſchen Staaten gefunden hat, denn ſie vernichtet alle Na- tionalität — oder zweitens, wenn die geiſtliche Gewalt ſich eben nur auf die Grenzen eines ſpirituellen Wirkens beſchränken, nicht etwa auch eine politiſche Form des Daſeins in Anſpruch nehmen und jedem Einfluß auf das äußere Leben entſagen könnte oder wollte. So lange nun Kirchen- und Staatsgewalten in ihrer Freiheit und Selbſtändigkeit beſtehen, wird es nöthig, das Rechtsverhältniß beider zu einander zu beſtimmen. Die Entſcheidungsquellen aber können keine anderen ſein, als diejenigen, welchen alle unabhängi- gen Mächte oder Rechtsſubjecte, die mit einander Verbindung ha- ben wollen oder zufällig haben, unterworfen ſind; nämlich: I. Das Weſen der ſich gegenüberſtehenden Subjecte ſelbſt. Kein Staat, welcher katholiſche Unterthanen hat, kann in dem Rö- miſchen Oberbiſchof eine Macht verkennen, worin die abend- ländiſche Römiſch-katholiſche Kirche ihren Mittelpunct, ihre Einheit und ihren Demiurgen findet, mit welchem ſie in ei- nem untrennbaren Zuſammenhange ſteht, wider deſſen Wil- len in der Kirche Nichts geſchehen darf und deſſen Urtheil hierin über Recht und Unrecht entſcheidet, 1 eine Macht, de- 1 Wir wiſſen recht wohl, daß nicht in der geſammten katholiſchen Chriſten- heit die Unbedingtheit des Römiſchen Oberbiſchofes zugegeben wird, daß ſie auch keineswegs ein Glaubensſatz der Kirche iſt, und daß ſich in ihr ſelbſt ein oppoſitionelles Syſtem gebildet hat, welches die Macht jenes Ober- biſchofes einem höheren kirchlichen Willen unterwerfen, ihm nur die oberſte ausführende Gewalt und eine proviſoriſche Geſetzgebung zugeſtehen will. In- deſſen iſt dieſes Syſtem zu keiner allgemeinen Anerkennung gebracht. Dem Beſitzſtande nach erſcheint der Pabſt als ein geiſtlicher Monarch, an wel- chen die Gläubigen in ihrem Gewiſſen gebunden ſind, und der ſeinerſeits nur an gewiſſe, von Chriſtus oder dem h. Geiſt ausgegangene, in Schrift

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/97>, abgerufen am 27.11.2024.