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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 22. Völkerrecht im Zustand des Friedens.

Nur der letztere kann auf längeren Bestand rechnen; der reine
Regierungsbund ist ein ephemeres Gebilde der Politik.

22. Die Modalitäten, deren die Staatssouveränetät fähig
ist, ohne sich selbst aufzugeben, sind außer dem eben berührten Bun-
desverhältniß

I. freiwillige Beschränkungen einzelner Regierungsrechte zu Gun-
sten anderer Mächte, 1 oder Zugeständnisse bestimmter Vor-
theile und dauernder Leistungen an andere Staaten, z. B.
einer Rente oder eines eigentlichen Tributs als Preises für
erlassene Nachtheile;
II. Pactirte Mediations- und Garantieverhältnisse; 2
III. Lehnsverhältnisse, worin der Souverän eines Landes
zu einem anderen stehen kann, und wodurch dann allerdings
die aus dem Lehnscontract herfließenden Privatrechte und
Verbindlichkeiten zwischen Lehnsherrn (dominus feudi, su-
zerain
) und Vasallen begründet werden, namentlich die
Pflicht zu gegenseitiger Lehnstreue. Darnach wird z. B. ein
Angriffskrieg des Einen gegen den Anderen ausgeschlossen und
es kann durch Lehnsuntreue das Vasallenland verwirkt wer-
den. Den Herrscherrechten des Vasallen über sein Land und
gegen andere Souveräne thut der Lehnsverband keinen Ab-
bruch. 3 Jetzt gehört er zu den Seltenheiten; 4
IV. ein Schutzverhältniß (droit de protection), worin ein
kleinerer Staat zu einem oder mehreren größeren stehen kann.
Es findet sich in allen Perioden der Staatengeschichte, frei-
lich in sehr ungleichartiger Gestaltung, in der Anwendung
nicht selten ausgedehnt zu einem oberherrlichen, gebietenden
Verhältniß, wobei der kleinere Staat als halbsouverän oder
bloßes Nebenland erscheint. 5 Dem natürlichen Wortbegriff
1 Man s. weiterhin die Lehre von den Staatsservituten §. 43.
2 Die nähere Bedeutung kann erst im Vertragsrecht entwickelt werden.
3 Bodinus, de republ. I, 9. Textor, Synops. jur. gent. IX, 21. Henr.
Gottfr. Scheidemantel, de nexu feudali inter gentes. Jen.
1767.
4 Der vormalige Lehnsverband des Königs beider Sicilien wegen Neapel ist
gelöset seit 1818. Unter den deutschen Staaten ist er meistens durch den
Rheinbund beseitigt worden. Als noch fortbestehend wird behauptet ein
lehnherrliches Verhältniß von Preußen (wegen Paderborn) gegen Waldeck
(wegen Pyrmont), von Churhessen gegen Waldeck und Schaumburg-Lippe.
5 Beispiele verschiedener Art gewähren: a) die Stadt Cracau nach der W.
§. 22. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.

Nur der letztere kann auf längeren Beſtand rechnen; der reine
Regierungsbund iſt ein ephemeres Gebilde der Politik.

22. Die Modalitäten, deren die Staatsſouveränetät fähig
iſt, ohne ſich ſelbſt aufzugeben, ſind außer dem eben berührten Bun-
desverhältniß

I. freiwillige Beſchränkungen einzelner Regierungsrechte zu Gun-
ſten anderer Mächte, 1 oder Zugeſtändniſſe beſtimmter Vor-
theile und dauernder Leiſtungen an andere Staaten, z. B.
einer Rente oder eines eigentlichen Tributs als Preiſes für
erlaſſene Nachtheile;
II. Pactirte Mediations- und Garantieverhältniſſe; 2
III. Lehnsverhältniſſe, worin der Souverän eines Landes
zu einem anderen ſtehen kann, und wodurch dann allerdings
die aus dem Lehnscontract herfließenden Privatrechte und
Verbindlichkeiten zwiſchen Lehnsherrn (dominus feudi, su-
zerain
) und Vaſallen begründet werden, namentlich die
Pflicht zu gegenſeitiger Lehnstreue. Darnach wird z. B. ein
Angriffskrieg des Einen gegen den Anderen ausgeſchloſſen und
es kann durch Lehnsuntreue das Vaſallenland verwirkt wer-
den. Den Herrſcherrechten des Vaſallen über ſein Land und
gegen andere Souveräne thut der Lehnsverband keinen Ab-
bruch. 3 Jetzt gehört er zu den Seltenheiten; 4
IV. ein Schutzverhältniß (droit de protection), worin ein
kleinerer Staat zu einem oder mehreren größeren ſtehen kann.
Es findet ſich in allen Perioden der Staatengeſchichte, frei-
lich in ſehr ungleichartiger Geſtaltung, in der Anwendung
nicht ſelten ausgedehnt zu einem oberherrlichen, gebietenden
Verhältniß, wobei der kleinere Staat als halbſouverän oder
bloßes Nebenland erſcheint. 5 Dem natürlichen Wortbegriff
1 Man ſ. weiterhin die Lehre von den Staatsſervituten §. 43.
2 Die nähere Bedeutung kann erſt im Vertragsrecht entwickelt werden.
3 Bodinus, de republ. I, 9. Textor, Synops. jur. gent. IX, 21. Henr.
Gottfr. Scheidemantel, de nexu feudali inter gentes. Jen.
1767.
4 Der vormalige Lehnsverband des Königs beider Sicilien wegen Neapel iſt
gelöſet ſeit 1818. Unter den deutſchen Staaten iſt er meiſtens durch den
Rheinbund beſeitigt worden. Als noch fortbeſtehend wird behauptet ein
lehnherrliches Verhältniß von Preußen (wegen Paderborn) gegen Waldeck
(wegen Pyrmont), von Churheſſen gegen Waldeck und Schaumburg-Lippe.
5 Beiſpiele verſchiedener Art gewähren: a) die Stadt Cracau nach der W.
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[37/0061] §. 22. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. Nur der letztere kann auf längeren Beſtand rechnen; der reine Regierungsbund iſt ein ephemeres Gebilde der Politik. 22. Die Modalitäten, deren die Staatsſouveränetät fähig iſt, ohne ſich ſelbſt aufzugeben, ſind außer dem eben berührten Bun- desverhältniß I. freiwillige Beſchränkungen einzelner Regierungsrechte zu Gun- ſten anderer Mächte, 1 oder Zugeſtändniſſe beſtimmter Vor- theile und dauernder Leiſtungen an andere Staaten, z. B. einer Rente oder eines eigentlichen Tributs als Preiſes für erlaſſene Nachtheile; II. Pactirte Mediations- und Garantieverhältniſſe; 2 III. Lehnsverhältniſſe, worin der Souverän eines Landes zu einem anderen ſtehen kann, und wodurch dann allerdings die aus dem Lehnscontract herfließenden Privatrechte und Verbindlichkeiten zwiſchen Lehnsherrn (dominus feudi, su- zerain) und Vaſallen begründet werden, namentlich die Pflicht zu gegenſeitiger Lehnstreue. Darnach wird z. B. ein Angriffskrieg des Einen gegen den Anderen ausgeſchloſſen und es kann durch Lehnsuntreue das Vaſallenland verwirkt wer- den. Den Herrſcherrechten des Vaſallen über ſein Land und gegen andere Souveräne thut der Lehnsverband keinen Ab- bruch. 3 Jetzt gehört er zu den Seltenheiten; 4 IV. ein Schutzverhältniß (droit de protection), worin ein kleinerer Staat zu einem oder mehreren größeren ſtehen kann. Es findet ſich in allen Perioden der Staatengeſchichte, frei- lich in ſehr ungleichartiger Geſtaltung, in der Anwendung nicht ſelten ausgedehnt zu einem oberherrlichen, gebietenden Verhältniß, wobei der kleinere Staat als halbſouverän oder bloßes Nebenland erſcheint. 5 Dem natürlichen Wortbegriff 1 Man ſ. weiterhin die Lehre von den Staatsſervituten §. 43. 2 Die nähere Bedeutung kann erſt im Vertragsrecht entwickelt werden. 3 Bodinus, de republ. I, 9. Textor, Synops. jur. gent. IX, 21. Henr. Gottfr. Scheidemantel, de nexu feudali inter gentes. Jen. 1767. 4 Der vormalige Lehnsverband des Königs beider Sicilien wegen Neapel iſt gelöſet ſeit 1818. Unter den deutſchen Staaten iſt er meiſtens durch den Rheinbund beſeitigt worden. Als noch fortbeſtehend wird behauptet ein lehnherrliches Verhältniß von Preußen (wegen Paderborn) gegen Waldeck (wegen Pyrmont), von Churheſſen gegen Waldeck und Schaumburg-Lippe. 5 Beiſpiele verſchiedener Art gewähren: a) die Stadt Cracau nach der W.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/61>, abgerufen am 23.11.2024.