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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 20.
netät eine wesentlich doppelte Bedeutung und Wirksamkeit hat, eine
äußere, anderen Staaten gegenüber, und eine innere, in dem Be-
reich des eigenen Staats, wovon letztere freilich auch regelmäßig
die Basis der ersteren ist, kann man, wo zwar diese Basis vorhan-
den, jedoch die äußere Wirksamkeit durch eine höhere Macht ent-
zogen ist, das Verhältniß der Staatsgewalt eine Halbsouveränetät
nennen. Diesem Verhältniß entsprach vormals 1 die deutsche lan-
desherrliche Gewalt, 2 vor ihrer letzten fast maaßlosen Ausdehnung,
so lange es noch eine kräftige Reichseinheit gab. Beispiele in heu-
tiger Zeit sind die Herrschaft Kniphausen in Norddeutschland, mit
allen Rechten der inneren Landeshoheit, des Seehandels und einer
eigenen Flagge, unter dem Schutze des Deutschen Bundes und un-
ter der Hoheit, welche Oldenburg anstatt der ehemaligen Deutschen
Reichsstaatsgewalt, jedoch ohne das Recht der Gesetzgebung aus-
zuüben hat 3; sodann die Republik Poglizza in Dalmatien unter
Oesterreichischer Hoheit; endlich die Wahl-Fürstenthümer der Mol-
dau und Wallachei und das Erb-Fürstenthum Serbien unter Tür-
kischer Hoheit, 4 der Barbareskenstaaten nicht zu gedenken.

Das Recht des vorgesetzten Souveräns wird gewöhnlich Ho-
heit, Oberhoheit, auch suzerainete genannt. 5

20. Staatenvereine (unirte Staaten) entstehen 6 ent-

1 Aus der älteren Geschichte lassen sich hieher die abhängigen Bundesgenos-
sen der Athener, dann die von den Römern unterworfenen populi liberi,
mit der Bedingung: ut majestatem P. R. comiter conservarent (vgl. L. 7.
§. 1. D. de captiv.) rechnen. Das Verhältniß der seit 1806 mediatisir-
ten deutschen Reichsstände ist, soweit es nach der deutschen Bundesacte
Art. 14. ausschließlich regulirt ist, noch keine Halbsouveränetät zu nennen.
2 Günther, Völkerr. I, S. 121.
3 Das Verhältniß dieser kleinen Herrschaft ist unter K. Oesterreichischer, K.
Preußischer und K. Russischer Vermittelung durch freien Vertrag zwischen
Oldenburg und dem letztverstorbenen Besitzer, Grafen von Bentinck, näher
regulirt, und dieses s. g. Berliner Abkommen d. d. 5. Juni 1825 durch Be-
schluß des Deutschen Bundes vom 9. Juni 1829 unter die Garantie des-
selben genommen worden, vorbehaltlich der wohlbegründeten Rechte dritter
Personen.
4 Die neuesten Bestimmungen über sie sind durch den Frieden von Adria-
nopel 1829 getroffen. Wegen der Russischen Schutzgewalt über die Für-
stenthümer der Moldau und Wallachei vgl. §. 22.
5 Eigentlich bedeutet das Wort suzerain den Lehnsherrn.
6 Eine etwas verschiedene Classification der Staatenvereine findet sich in
Klüber dr. des gens §. 27.

Erſtes Buch. §. 20.
netät eine weſentlich doppelte Bedeutung und Wirkſamkeit hat, eine
äußere, anderen Staaten gegenüber, und eine innere, in dem Be-
reich des eigenen Staats, wovon letztere freilich auch regelmäßig
die Baſis der erſteren iſt, kann man, wo zwar dieſe Baſis vorhan-
den, jedoch die äußere Wirkſamkeit durch eine höhere Macht ent-
zogen iſt, das Verhältniß der Staatsgewalt eine Halbſouveränetät
nennen. Dieſem Verhältniß entſprach vormals 1 die deutſche lan-
desherrliche Gewalt, 2 vor ihrer letzten faſt maaßloſen Ausdehnung,
ſo lange es noch eine kräftige Reichseinheit gab. Beiſpiele in heu-
tiger Zeit ſind die Herrſchaft Kniphauſen in Norddeutſchland, mit
allen Rechten der inneren Landeshoheit, des Seehandels und einer
eigenen Flagge, unter dem Schutze des Deutſchen Bundes und un-
ter der Hoheit, welche Oldenburg anſtatt der ehemaligen Deutſchen
Reichsſtaatsgewalt, jedoch ohne das Recht der Geſetzgebung aus-
zuüben hat 3; ſodann die Republik Poglizza in Dalmatien unter
Oeſterreichiſcher Hoheit; endlich die Wahl-Fürſtenthümer der Mol-
dau und Wallachei und das Erb-Fürſtenthum Serbien unter Tür-
kiſcher Hoheit, 4 der Barbareskenſtaaten nicht zu gedenken.

Das Recht des vorgeſetzten Souveräns wird gewöhnlich Ho-
heit, Oberhoheit, auch suzeraineté genannt. 5

20. Staatenvereine (unirte Staaten) entſtehen 6 ent-

1 Aus der älteren Geſchichte laſſen ſich hieher die abhängigen Bundesgenoſ-
ſen der Athener, dann die von den Römern unterworfenen populi liberi,
mit der Bedingung: ut majestatem P. R. comiter conservarent (vgl. L. 7.
§. 1. D. de captiv.) rechnen. Das Verhältniß der ſeit 1806 mediatiſir-
ten deutſchen Reichsſtände iſt, ſoweit es nach der deutſchen Bundesacte
Art. 14. ausſchließlich regulirt iſt, noch keine Halbſouveränetät zu nennen.
2 Günther, Völkerr. I, S. 121.
3 Das Verhältniß dieſer kleinen Herrſchaft iſt unter K. Oeſterreichiſcher, K.
Preußiſcher und K. Ruſſiſcher Vermittelung durch freien Vertrag zwiſchen
Oldenburg und dem letztverſtorbenen Beſitzer, Grafen von Bentinck, näher
regulirt, und dieſes ſ. g. Berliner Abkommen d. d. 5. Juni 1825 durch Be-
ſchluß des Deutſchen Bundes vom 9. Juni 1829 unter die Garantie deſ-
ſelben genommen worden, vorbehaltlich der wohlbegründeten Rechte dritter
Perſonen.
4 Die neueſten Beſtimmungen über ſie ſind durch den Frieden von Adria-
nopel 1829 getroffen. Wegen der Ruſſiſchen Schutzgewalt über die Für-
ſtenthümer der Moldau und Wallachei vgl. §. 22.
5 Eigentlich bedeutet das Wort suzerain den Lehnsherrn.
6 Eine etwas verſchiedene Claſſification der Staatenvereine findet ſich in
Klüber dr. des gens §. 27.
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[34/0058] Erſtes Buch. §. 20. netät eine weſentlich doppelte Bedeutung und Wirkſamkeit hat, eine äußere, anderen Staaten gegenüber, und eine innere, in dem Be- reich des eigenen Staats, wovon letztere freilich auch regelmäßig die Baſis der erſteren iſt, kann man, wo zwar dieſe Baſis vorhan- den, jedoch die äußere Wirkſamkeit durch eine höhere Macht ent- zogen iſt, das Verhältniß der Staatsgewalt eine Halbſouveränetät nennen. Dieſem Verhältniß entſprach vormals 1 die deutſche lan- desherrliche Gewalt, 2 vor ihrer letzten faſt maaßloſen Ausdehnung, ſo lange es noch eine kräftige Reichseinheit gab. Beiſpiele in heu- tiger Zeit ſind die Herrſchaft Kniphauſen in Norddeutſchland, mit allen Rechten der inneren Landeshoheit, des Seehandels und einer eigenen Flagge, unter dem Schutze des Deutſchen Bundes und un- ter der Hoheit, welche Oldenburg anſtatt der ehemaligen Deutſchen Reichsſtaatsgewalt, jedoch ohne das Recht der Geſetzgebung aus- zuüben hat 3; ſodann die Republik Poglizza in Dalmatien unter Oeſterreichiſcher Hoheit; endlich die Wahl-Fürſtenthümer der Mol- dau und Wallachei und das Erb-Fürſtenthum Serbien unter Tür- kiſcher Hoheit, 4 der Barbareskenſtaaten nicht zu gedenken. Das Recht des vorgeſetzten Souveräns wird gewöhnlich Ho- heit, Oberhoheit, auch suzeraineté genannt. 5 20. Staatenvereine (unirte Staaten) entſtehen 6 ent- 1 Aus der älteren Geſchichte laſſen ſich hieher die abhängigen Bundesgenoſ- ſen der Athener, dann die von den Römern unterworfenen populi liberi, mit der Bedingung: ut majestatem P. R. comiter conservarent (vgl. L. 7. §. 1. D. de captiv.) rechnen. Das Verhältniß der ſeit 1806 mediatiſir- ten deutſchen Reichsſtände iſt, ſoweit es nach der deutſchen Bundesacte Art. 14. ausſchließlich regulirt iſt, noch keine Halbſouveränetät zu nennen. 2 Günther, Völkerr. I, S. 121. 3 Das Verhältniß dieſer kleinen Herrſchaft iſt unter K. Oeſterreichiſcher, K. Preußiſcher und K. Ruſſiſcher Vermittelung durch freien Vertrag zwiſchen Oldenburg und dem letztverſtorbenen Beſitzer, Grafen von Bentinck, näher regulirt, und dieſes ſ. g. Berliner Abkommen d. d. 5. Juni 1825 durch Be- ſchluß des Deutſchen Bundes vom 9. Juni 1829 unter die Garantie deſ- ſelben genommen worden, vorbehaltlich der wohlbegründeten Rechte dritter Perſonen. 4 Die neueſten Beſtimmungen über ſie ſind durch den Frieden von Adria- nopel 1829 getroffen. Wegen der Ruſſiſchen Schutzgewalt über die Für- ſtenthümer der Moldau und Wallachei vgl. §. 22. 5 Eigentlich bedeutet das Wort suzerain den Lehnsherrn. 6 Eine etwas verſchiedene Claſſification der Staatenvereine findet ſich in Klüber dr. des gens §. 27.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/58>, abgerufen am 23.11.2024.