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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 16. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
werben und im Verkehr mit anderen zu berichtigen; endlich auch ein
religiöses Bewußtsein über das Verhältniß zur unsichtbaren Welt
sich anzueignen um darnach zu leben.

In diesen Stücken besteht das Privatrecht der Menschen. Der
Staat schafft es nicht erst, sondern empfängt es als ein Gegebe-
nes; er hat ihm nur die Ordnung und richtigen Grenzen vorzu-
zeichnen, und die Mittel zu seiner Realisirung zu gewähren. Ja,
er muß, wo diese nicht ausreichen, dem Einzelnen die Selbstver-
theidigung seines Rechtsstandes gestatten, wie diese außer dem Staat
das einzige Mittel seiner Erhaltung ist.

Nur durch Verbrechen, d. h. durch Auflehnung gegen das We-
sentliche der Staatsordnung selbst, kann es ganz oder theilweise
verwirkt werden.

Anm. Etwas Anderes als das Privat- oder Urrecht aller Menschen sind die
politischen und staatsbürgerlichen Rechte der Einzelnen in den Staaten, wel-
chen sie angehören. Für diese giebt es kein gleichförmiges, allenthalben giltiges
Princip. Ihre Gestaltung und Veränderung ist die That der Macht oder
des Volksgeistes.
In der französischen Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers,
welche der Constitution vom 3. Septbr. 1791 voranging, wurden jene ver-
schiedenen Rechte mit einander in Verbindung gebracht.
Zweite Unterabtheilung.
Die Staaten.
I. Ihre Natur, Bedeutung und Verschiedenheiten.

16. Staaten sind die vereinzelten stetigen Verbindungen von
Menschen unter Einem Gesammtwillen für die sittlichen und äu-
ßeren Bedürfnisse der menschlichen Natur. Ihre gemeinsame Auf-
gabe ist die vernünftige Entfaltung des Menschen in seiner Frei-
heit. Denn der Staat an sich ist die praktische, das ganze Leben
umfassende Vernunft. Aber es giebt keinen Universalstaat. Gäbe
es einen solchen, so müßten Alle dagegen kämpfen, um ihn wieder
in die nationalen Stoffe aufzulösen, in den Bau von Einzelstaa-
ten, in welchen sich die menschliche Kraft allein im gehörigen Maaß
und Gleichmaaß entwickeln kann. Zur Existenz jener Einzelstaaten
gehört nun:

I. das Dasein einer Gemeinde mit den nöthigen Mitteln und
Kräften, um sich in ihrer Vereinzelung zu behaupten;

§. 16. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
werben und im Verkehr mit anderen zu berichtigen; endlich auch ein
religiöſes Bewußtſein über das Verhältniß zur unſichtbaren Welt
ſich anzueignen um darnach zu leben.

In dieſen Stücken beſteht das Privatrecht der Menſchen. Der
Staat ſchafft es nicht erſt, ſondern empfängt es als ein Gegebe-
nes; er hat ihm nur die Ordnung und richtigen Grenzen vorzu-
zeichnen, und die Mittel zu ſeiner Realiſirung zu gewähren. Ja,
er muß, wo dieſe nicht ausreichen, dem Einzelnen die Selbſtver-
theidigung ſeines Rechtsſtandes geſtatten, wie dieſe außer dem Staat
das einzige Mittel ſeiner Erhaltung iſt.

Nur durch Verbrechen, d. h. durch Auflehnung gegen das We-
ſentliche der Staatsordnung ſelbſt, kann es ganz oder theilweiſe
verwirkt werden.

Anm. Etwas Anderes als das Privat- oder Urrecht aller Menſchen ſind die
politiſchen und ſtaatsbürgerlichen Rechte der Einzelnen in den Staaten, wel-
chen ſie angehören. Für dieſe giebt es kein gleichförmiges, allenthalben giltiges
Princip. Ihre Geſtaltung und Veränderung iſt die That der Macht oder
des Volksgeiſtes.
In der franzöſiſchen Erklärung der Rechte des Menſchen und Bürgers,
welche der Conſtitution vom 3. Septbr. 1791 voranging, wurden jene ver-
ſchiedenen Rechte mit einander in Verbindung gebracht.
Zweite Unterabtheilung.
Die Staaten.
I. Ihre Natur, Bedeutung und Verſchiedenheiten.

16. Staaten ſind die vereinzelten ſtetigen Verbindungen von
Menſchen unter Einem Geſammtwillen für die ſittlichen und äu-
ßeren Bedürfniſſe der menſchlichen Natur. Ihre gemeinſame Auf-
gabe iſt die vernünftige Entfaltung des Menſchen in ſeiner Frei-
heit. Denn der Staat an ſich iſt die praktiſche, das ganze Leben
umfaſſende Vernunft. Aber es giebt keinen Univerſalſtaat. Gäbe
es einen ſolchen, ſo müßten Alle dagegen kämpfen, um ihn wieder
in die nationalen Stoffe aufzulöſen, in den Bau von Einzelſtaa-
ten, in welchen ſich die menſchliche Kraft allein im gehörigen Maaß
und Gleichmaaß entwickeln kann. Zur Exiſtenz jener Einzelſtaaten
gehört nun:

I. das Daſein einer Gemeinde mit den nöthigen Mitteln und
Kräften, um ſich in ihrer Vereinzelung zu behaupten;

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[29/0053] §. 16. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. werben und im Verkehr mit anderen zu berichtigen; endlich auch ein religiöſes Bewußtſein über das Verhältniß zur unſichtbaren Welt ſich anzueignen um darnach zu leben. In dieſen Stücken beſteht das Privatrecht der Menſchen. Der Staat ſchafft es nicht erſt, ſondern empfängt es als ein Gegebe- nes; er hat ihm nur die Ordnung und richtigen Grenzen vorzu- zeichnen, und die Mittel zu ſeiner Realiſirung zu gewähren. Ja, er muß, wo dieſe nicht ausreichen, dem Einzelnen die Selbſtver- theidigung ſeines Rechtsſtandes geſtatten, wie dieſe außer dem Staat das einzige Mittel ſeiner Erhaltung iſt. Nur durch Verbrechen, d. h. durch Auflehnung gegen das We- ſentliche der Staatsordnung ſelbſt, kann es ganz oder theilweiſe verwirkt werden. Anm. Etwas Anderes als das Privat- oder Urrecht aller Menſchen ſind die politiſchen und ſtaatsbürgerlichen Rechte der Einzelnen in den Staaten, wel- chen ſie angehören. Für dieſe giebt es kein gleichförmiges, allenthalben giltiges Princip. Ihre Geſtaltung und Veränderung iſt die That der Macht oder des Volksgeiſtes. In der franzöſiſchen Erklärung der Rechte des Menſchen und Bürgers, welche der Conſtitution vom 3. Septbr. 1791 voranging, wurden jene ver- ſchiedenen Rechte mit einander in Verbindung gebracht. Zweite Unterabtheilung. Die Staaten. I. Ihre Natur, Bedeutung und Verſchiedenheiten. 16. Staaten ſind die vereinzelten ſtetigen Verbindungen von Menſchen unter Einem Geſammtwillen für die ſittlichen und äu- ßeren Bedürfniſſe der menſchlichen Natur. Ihre gemeinſame Auf- gabe iſt die vernünftige Entfaltung des Menſchen in ſeiner Frei- heit. Denn der Staat an ſich iſt die praktiſche, das ganze Leben umfaſſende Vernunft. Aber es giebt keinen Univerſalſtaat. Gäbe es einen ſolchen, ſo müßten Alle dagegen kämpfen, um ihn wieder in die nationalen Stoffe aufzulöſen, in den Bau von Einzelſtaa- ten, in welchen ſich die menſchliche Kraft allein im gehörigen Maaß und Gleichmaaß entwickeln kann. Zur Exiſtenz jener Einzelſtaaten gehört nun: I. das Daſein einer Gemeinde mit den nöthigen Mitteln und Kräften, um ſich in ihrer Vereinzelung zu behaupten;

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/53>, abgerufen am 24.11.2024.