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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung. §. 10.
tarien zu v. Martens aufgetreten, 1 im Geist der zuvor erwähn-
ten Fraction, welche eine wissenschaftliche Reflexion und Polemik
nicht entbehren kann, wogegen Mr. Wheaton 2 sich wesentlich auf
die Seite der Praxis und Positivisten gestellt hat, ohne sich der
Billigkeit und Critik aus den höheren Gesichtspuncten einer allge-
meinen Gerechtigkeit zu verschließen.

Am entferntesten von allen bisher geschilderten Fractionen ste-
hen diejenigen, welche das Völkerrecht nur von dem Interesse der
Staaten abhängig machen, sei es von dem Egoismus der Indi-
vidual-Interessen jedes Einzelstaats, oder von den allgemeinen In-
teressen aller Staaten, wie Montesquieu, 3 in neuerer Zeit Jere-
mias Bentham.

Auch die neueste Philosophie hat den Streit der Systeme und
Principien noch nicht beseitigt. Sie glaubt entweder mit Schel-
ling an eine Gesetz-Offenbarung des göttlichen Geistes für die Na-
tionen, oder sie vindicirt mit Hegel auch das Völkerrecht der mensch-
lichen Freiheit, dem Willen, der sich selbst das Recht setzt oder in
Gemeinschaft mit anderen bildet.

Unsere Ueberzeugung haben wir schon ausgesprochen (§§. 2. 7.).

Thatsächlicher Regulator der Staatenverhältnisse.

10. So weit nicht ein gemeines klar erweisliches Völkerrecht
seine Kraft äußert, ist die Gestaltung der Staatenverhältnisse noch
allezeit der freien That, dem Willen der Einzelnen überlassen. Eben
deshalb müssen wir, bevor wir zur Entwickelung der einzelnen Ge-
genstände unserer Wissenschaft übergehen, noch eines thatsächlichen,
wenigstens provisorischen Regulators der Staatenverhältnisse geden-
ken, der Macht des Besitzes oder des gewöhnlich s. g. status quo.
Es ist nämlich jeder Besitz, den eine Person für sich wissentlich er-
greift oder ausübt, als freiheitliche That die Satzung und Erklä-
rung eines subjectiven Rechts, welche zwar keine entgegenstehenden
objectiven Rechte beseitigen kann, dennoch aber deren Uebung hin-
dert, und sich bis zum Ausbruch eines etwanigen Streites als Recht

1 Le droit des gens p. G. Fr. de Martens, avec des notes p. Pinh. Fer-
reira. 1831. 2 ts.
2 Elemens of the intern. law. Lond. 1836. 2 Vls.
3 De l'esprit des lois. I, 3.

Einleitung. §. 10.
tarien zu v. Martens aufgetreten, 1 im Geiſt der zuvor erwähn-
ten Fraction, welche eine wiſſenſchaftliche Reflexion und Polemik
nicht entbehren kann, wogegen Mr. Wheaton 2 ſich weſentlich auf
die Seite der Praxis und Poſitiviſten geſtellt hat, ohne ſich der
Billigkeit und Critik aus den höheren Geſichtspuncten einer allge-
meinen Gerechtigkeit zu verſchließen.

Am entfernteſten von allen bisher geſchilderten Fractionen ſte-
hen diejenigen, welche das Völkerrecht nur von dem Intereſſe der
Staaten abhängig machen, ſei es von dem Egoismus der Indi-
vidual-Intereſſen jedes Einzelſtaats, oder von den allgemeinen In-
tereſſen aller Staaten, wie Montesquieu, 3 in neuerer Zeit Jere-
mias Bentham.

Auch die neueſte Philoſophie hat den Streit der Syſteme und
Principien noch nicht beſeitigt. Sie glaubt entweder mit Schel-
ling an eine Geſetz-Offenbarung des göttlichen Geiſtes für die Na-
tionen, oder ſie vindicirt mit Hegel auch das Völkerrecht der menſch-
lichen Freiheit, dem Willen, der ſich ſelbſt das Recht ſetzt oder in
Gemeinſchaft mit anderen bildet.

Unſere Ueberzeugung haben wir ſchon ausgeſprochen (§§. 2. 7.).

Thatſächlicher Regulator der Staatenverhältniſſe.

10. So weit nicht ein gemeines klar erweisliches Völkerrecht
ſeine Kraft äußert, iſt die Geſtaltung der Staatenverhältniſſe noch
allezeit der freien That, dem Willen der Einzelnen überlaſſen. Eben
deshalb müſſen wir, bevor wir zur Entwickelung der einzelnen Ge-
genſtände unſerer Wiſſenſchaft übergehen, noch eines thatſächlichen,
wenigſtens proviſoriſchen Regulators der Staatenverhältniſſe geden-
ken, der Macht des Beſitzes oder des gewöhnlich ſ. g. status quo.
Es iſt nämlich jeder Beſitz, den eine Perſon für ſich wiſſentlich er-
greift oder ausübt, als freiheitliche That die Satzung und Erklä-
rung eines ſubjectiven Rechts, welche zwar keine entgegenſtehenden
objectiven Rechte beſeitigen kann, dennoch aber deren Uebung hin-
dert, und ſich bis zum Ausbruch eines etwanigen Streites als Recht

1 Le droit des gens p. G. Fr. de Martens, avec des notes p. Pinh. Fer-
reira. 1831. 2 ts.
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3 De l’esprit des lois. I, 3.
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[22/0046] Einleitung. §. 10. tarien zu v. Martens aufgetreten, 1 im Geiſt der zuvor erwähn- ten Fraction, welche eine wiſſenſchaftliche Reflexion und Polemik nicht entbehren kann, wogegen Mr. Wheaton 2 ſich weſentlich auf die Seite der Praxis und Poſitiviſten geſtellt hat, ohne ſich der Billigkeit und Critik aus den höheren Geſichtspuncten einer allge- meinen Gerechtigkeit zu verſchließen. Am entfernteſten von allen bisher geſchilderten Fractionen ſte- hen diejenigen, welche das Völkerrecht nur von dem Intereſſe der Staaten abhängig machen, ſei es von dem Egoismus der Indi- vidual-Intereſſen jedes Einzelſtaats, oder von den allgemeinen In- tereſſen aller Staaten, wie Montesquieu, 3 in neuerer Zeit Jere- mias Bentham. Auch die neueſte Philoſophie hat den Streit der Syſteme und Principien noch nicht beſeitigt. Sie glaubt entweder mit Schel- ling an eine Geſetz-Offenbarung des göttlichen Geiſtes für die Na- tionen, oder ſie vindicirt mit Hegel auch das Völkerrecht der menſch- lichen Freiheit, dem Willen, der ſich ſelbſt das Recht ſetzt oder in Gemeinſchaft mit anderen bildet. Unſere Ueberzeugung haben wir ſchon ausgeſprochen (§§. 2. 7.). Thatſächlicher Regulator der Staatenverhältniſſe. 10. So weit nicht ein gemeines klar erweisliches Völkerrecht ſeine Kraft äußert, iſt die Geſtaltung der Staatenverhältniſſe noch allezeit der freien That, dem Willen der Einzelnen überlaſſen. Eben deshalb müſſen wir, bevor wir zur Entwickelung der einzelnen Ge- genſtände unſerer Wiſſenſchaft übergehen, noch eines thatſächlichen, wenigſtens proviſoriſchen Regulators der Staatenverhältniſſe geden- ken, der Macht des Beſitzes oder des gewöhnlich ſ. g. status quo. Es iſt nämlich jeder Beſitz, den eine Perſon für ſich wiſſentlich er- greift oder ausübt, als freiheitliche That die Satzung und Erklä- rung eines ſubjectiven Rechts, welche zwar keine entgegenſtehenden objectiven Rechte beſeitigen kann, dennoch aber deren Uebung hin- dert, und ſich bis zum Ausbruch eines etwanigen Streites als Recht 1 Le droit des gens p. G. Fr. de Martens, avec des notes p. Pinh. Fer- reira. 1831. 2 ts. 2 Elemens of the intern. law. Lond. 1836. 2 Vls. 3 De l’esprit des lois. I, 3.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/46>, abgerufen am 22.12.2024.