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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 234.
sen, aber es wäre undankbar die Namen eines Dohna, Herzberg,
Hardenberg, Wilhelm v. Humboldt und Bernstorff zu vergessen.

Blicken wir nach Scandinavien, so schauen uns die Geister
eines Salvius, Oxenstierna, in Dänemark die Bernstorff und
ein Graf Lynar an. Sollten wir auch noch der russischen Diplo-
matie gedenken müssen, so würden wir nicht sowohl geschichtliche
Namen anzuführen haben, als das Geständniß machen müssen: sie
hat ohne äußere Fehler ihre Zwecke stets auf sicherem Wege zu
erreichen gewußt.

Politik der Diplomatie.

234. Die wesentliche Aufgabe der Diplomatie besteht in der
äußeren Sicherstellung der Selbstentwickelung eines Staates. Zu-
nächst bestimmt sich also ihr Verhalten aus der wahren, d. h. na-
turgemäßen politischen Stellung des Staates, den sie zu vertreten
hat an und für sich, so wie desjenigen mit welchen man in Be-
rührung kommt; diese Stellung muß sie richtig auffassen und sich
ganz damit identificiren. 1 Ein anderes System wird dann eine
Macht vom ersten Range, ein anderes die vom zweiten oder drit-
ten Range verfolgen. 2

Eine große Macht hat auf Erfolg am meisten zu rechnen, wenn
sie in ihrem Verhalten mit vollem Selbstbewußtsein eine weise Mä-
ßigkeit und Schonung verbindet. 3 Während sie ihre dominirende
Stellung zu behaupten sucht, verwerfe sie nie billige Anträge der
anderen; sie strebe ihnen zuvor in freundlichen Diensten, schenke
aber nicht den rivalisirenden Staaten zu viel Vertrauen und halte
sich nie für zu sicher, sorge also schon in Zeiten der Ruhe und
des Glückes für die Zeiten der Gefahr. Nie ziehe sie sich ganz
in Unthätigkeit zurück, sondern sie nehme Theil an anderen Angele-
genheiten, nur nicht störend, sondern nach der Gerechtigkeit. Was
diejenigen Mächte ersten Ranges betrifft, die zwar nicht zu den

1 Mably droit des gens I, 15 u. 16.
2 Mably I, 39 f.
3 Mably verweiset in dieser Hinsicht auf das Beispiel der Römer a. a. O.
S. 34. 35. Allein dieses paßt nur auf die Zeiten der Republik, in ihrer
tugendhaften Selbstverleugnung. Zu anderen Zeiten haben sie den Beweis
des Gegentheils gegeben.

Drittes Buch. §. 234.
ſen, aber es wäre undankbar die Namen eines Dohna, Herzberg,
Hardenberg, Wilhelm v. Humboldt und Bernſtorff zu vergeſſen.

Blicken wir nach Scandinavien, ſo ſchauen uns die Geiſter
eines Salvius, Oxenſtierna, in Dänemark die Bernſtorff und
ein Graf Lynar an. Sollten wir auch noch der ruſſiſchen Diplo-
matie gedenken müſſen, ſo würden wir nicht ſowohl geſchichtliche
Namen anzuführen haben, als das Geſtändniß machen müſſen: ſie
hat ohne äußere Fehler ihre Zwecke ſtets auf ſicherem Wege zu
erreichen gewußt.

Politik der Diplomatie.

234. Die weſentliche Aufgabe der Diplomatie beſteht in der
äußeren Sicherſtellung der Selbſtentwickelung eines Staates. Zu-
nächſt beſtimmt ſich alſo ihr Verhalten aus der wahren, d. h. na-
turgemäßen politiſchen Stellung des Staates, den ſie zu vertreten
hat an und für ſich, ſo wie desjenigen mit welchen man in Be-
rührung kommt; dieſe Stellung muß ſie richtig auffaſſen und ſich
ganz damit identificiren. 1 Ein anderes Syſtem wird dann eine
Macht vom erſten Range, ein anderes die vom zweiten oder drit-
ten Range verfolgen. 2

Eine große Macht hat auf Erfolg am meiſten zu rechnen, wenn
ſie in ihrem Verhalten mit vollem Selbſtbewußtſein eine weiſe Mä-
ßigkeit und Schonung verbindet. 3 Während ſie ihre dominirende
Stellung zu behaupten ſucht, verwerfe ſie nie billige Anträge der
anderen; ſie ſtrebe ihnen zuvor in freundlichen Dienſten, ſchenke
aber nicht den rivaliſirenden Staaten zu viel Vertrauen und halte
ſich nie für zu ſicher, ſorge alſo ſchon in Zeiten der Ruhe und
des Glückes für die Zeiten der Gefahr. Nie ziehe ſie ſich ganz
in Unthätigkeit zurück, ſondern ſie nehme Theil an anderen Angele-
genheiten, nur nicht ſtörend, ſondern nach der Gerechtigkeit. Was
diejenigen Mächte erſten Ranges betrifft, die zwar nicht zu den

1 Mably droit des gens I, 15 u. 16.
2 Mably I, 39 f.
3 Mably verweiſet in dieſer Hinſicht auf das Beiſpiel der Römer a. a. O.
S. 34. 35. Allein dieſes paßt nur auf die Zeiten der Republik, in ihrer
tugendhaften Selbſtverleugnung. Zu anderen Zeiten haben ſie den Beweis
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[380/0404] Drittes Buch. §. 234. ſen, aber es wäre undankbar die Namen eines Dohna, Herzberg, Hardenberg, Wilhelm v. Humboldt und Bernſtorff zu vergeſſen. Blicken wir nach Scandinavien, ſo ſchauen uns die Geiſter eines Salvius, Oxenſtierna, in Dänemark die Bernſtorff und ein Graf Lynar an. Sollten wir auch noch der ruſſiſchen Diplo- matie gedenken müſſen, ſo würden wir nicht ſowohl geſchichtliche Namen anzuführen haben, als das Geſtändniß machen müſſen: ſie hat ohne äußere Fehler ihre Zwecke ſtets auf ſicherem Wege zu erreichen gewußt. Politik der Diplomatie. 234. Die weſentliche Aufgabe der Diplomatie beſteht in der äußeren Sicherſtellung der Selbſtentwickelung eines Staates. Zu- nächſt beſtimmt ſich alſo ihr Verhalten aus der wahren, d. h. na- turgemäßen politiſchen Stellung des Staates, den ſie zu vertreten hat an und für ſich, ſo wie desjenigen mit welchen man in Be- rührung kommt; dieſe Stellung muß ſie richtig auffaſſen und ſich ganz damit identificiren. 1 Ein anderes Syſtem wird dann eine Macht vom erſten Range, ein anderes die vom zweiten oder drit- ten Range verfolgen. 2 Eine große Macht hat auf Erfolg am meiſten zu rechnen, wenn ſie in ihrem Verhalten mit vollem Selbſtbewußtſein eine weiſe Mä- ßigkeit und Schonung verbindet. 3 Während ſie ihre dominirende Stellung zu behaupten ſucht, verwerfe ſie nie billige Anträge der anderen; ſie ſtrebe ihnen zuvor in freundlichen Dienſten, ſchenke aber nicht den rivaliſirenden Staaten zu viel Vertrauen und halte ſich nie für zu ſicher, ſorge alſo ſchon in Zeiten der Ruhe und des Glückes für die Zeiten der Gefahr. Nie ziehe ſie ſich ganz in Unthätigkeit zurück, ſondern ſie nehme Theil an anderen Angele- genheiten, nur nicht ſtörend, ſondern nach der Gerechtigkeit. Was diejenigen Mächte erſten Ranges betrifft, die zwar nicht zu den 1 Mably droit des gens I, 15 u. 16. 2 Mably I, 39 f. 3 Mably verweiſet in dieſer Hinſicht auf das Beiſpiel der Römer a. a. O. S. 34. 35. Allein dieſes paßt nur auf die Zeiten der Republik, in ihrer tugendhaften Selbſtverleugnung. Zu anderen Zeiten haben ſie den Beweis des Gegentheils gegeben.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/404>, abgerufen am 27.11.2024.