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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 168. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
falls auch anderen Seemächten in deren Kriegen, theils durch aus-
drückliche Convention, theils auch ohne solche und ohne Wider-
spruch, ausgenommen bei vorkommenden Ueberschreitungen gewisser
Grenzen zugestanden haben. 1 Es kann daher mindestens nach
Lage der bisherigen internationalen Verhältnisse nicht erst noch auf
eine innere Rechtfertigung der Untersuchungsbefugniß für jeden krieg-
führenden Staat ankommen, vielmehr sich nur davon handeln,
die Bedingungen, Modalitäten und Grenzen derselben theils aus
dem anerkannten Zweck, theils aus der gemeinsamen Völkerpraxis
darzustellen.

168. Als Zweck der Untersuchung erscheint im Allgemei-
nen die Ueberzeugung des Kriegführenden, welcher einem Trans-
port in einem denkbaren Zusammenhang mit der feindlichen Par-
tei begegnet, in wiefern solcher wirklich vorhanden sei, um demnächst
die ihm zustehenden materiellen Rechte sowohl den feindlichen Staa-
ten als auch den Neutralen gegenüber in Ausübung zu bringen.

Eine derartige Untersuchung kann demnach nur Statt finden

in dem eigenen Gebiete eines Kriegführenden;
in dem Gebiete des feindlichen Gegners, sofern man dasselbe
besetzt hält oder doch vorübergehend erreichen kann; 2

endlich allgemeinem Gebrauche gemäß,

auf offener See.

Unstatthaft ist sie dagegen innerhalb des Souveränetätsgebietes be-
freundeter oder neutraler Staaten, ja selbst in dem Gebiete der ei-
genen Bundesgenossen, wofern dieselbe nicht ausdrücklich oder still-
schweigend dazu die Erlaubniß oder Genehmigung ertheilen. 3 Die
in exemten Gebieten dennoch gemachten Prisen müssen auf die Re-
clamation des verletzten Gebietsstaates wieder heraus gegeben wer-

1 Als uralter Gebrauch erscheint das Unter- oder Durchsuchungsrecht schon
in dem zuvor angeführten Consolato del mar; nur über einzelne Puncte
hat es Streitigkeiten unter den Völkern gegeben. Eine große Menge von
Verträgen, worin das Durchsuchungsrecht ausdrücklich zugestanden und nä-
her bestimmt ist, findet sich angegeben bei Nau §. 163. und v. Martens
über Caper §. 21.
2 Caper dürfen nach dem gewöhnlichen Gebrauch der Seestaaten nicht in
die Flüsse des Feindes innerhalb der durch Seetonnen bezeichneten Gren-
zen eindringen und Schiffe angreifen, widrigenfalls sie als Seeräuber be-
handelt werden. v. Martens über Caper §. 18.
3 Vgl. Jacobsen, Seerecht S. 585.

§. 168. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
falls auch anderen Seemächten in deren Kriegen, theils durch aus-
drückliche Convention, theils auch ohne ſolche und ohne Wider-
ſpruch, ausgenommen bei vorkommenden Ueberſchreitungen gewiſſer
Grenzen zugeſtanden haben. 1 Es kann daher mindeſtens nach
Lage der bisherigen internationalen Verhältniſſe nicht erſt noch auf
eine innere Rechtfertigung der Unterſuchungsbefugniß für jeden krieg-
führenden Staat ankommen, vielmehr ſich nur davon handeln,
die Bedingungen, Modalitäten und Grenzen derſelben theils aus
dem anerkannten Zweck, theils aus der gemeinſamen Völkerpraxis
darzuſtellen.

168. Als Zweck der Unterſuchung erſcheint im Allgemei-
nen die Ueberzeugung des Kriegführenden, welcher einem Trans-
port in einem denkbaren Zuſammenhang mit der feindlichen Par-
tei begegnet, in wiefern ſolcher wirklich vorhanden ſei, um demnächſt
die ihm zuſtehenden materiellen Rechte ſowohl den feindlichen Staa-
ten als auch den Neutralen gegenüber in Ausübung zu bringen.

Eine derartige Unterſuchung kann demnach nur Statt finden

in dem eigenen Gebiete eines Kriegführenden;
in dem Gebiete des feindlichen Gegners, ſofern man daſſelbe
beſetzt hält oder doch vorübergehend erreichen kann; 2

endlich allgemeinem Gebrauche gemäß,

auf offener See.

Unſtatthaft iſt ſie dagegen innerhalb des Souveränetätsgebietes be-
freundeter oder neutraler Staaten, ja ſelbſt in dem Gebiete der ei-
genen Bundesgenoſſen, wofern dieſelbe nicht ausdrücklich oder ſtill-
ſchweigend dazu die Erlaubniß oder Genehmigung ertheilen. 3 Die
in exemten Gebieten dennoch gemachten Priſen müſſen auf die Re-
clamation des verletzten Gebietsſtaates wieder heraus gegeben wer-

1 Als uralter Gebrauch erſcheint das Unter- oder Durchſuchungsrecht ſchon
in dem zuvor angeführten Consolato del mar; nur über einzelne Puncte
hat es Streitigkeiten unter den Völkern gegeben. Eine große Menge von
Verträgen, worin das Durchſuchungsrecht ausdrücklich zugeſtanden und nä-
her beſtimmt iſt, findet ſich angegeben bei Nau §. 163. und v. Martens
über Caper §. 21.
2 Caper dürfen nach dem gewöhnlichen Gebrauch der Seeſtaaten nicht in
die Flüſſe des Feindes innerhalb der durch Seetonnen bezeichneten Gren-
zen eindringen und Schiffe angreifen, widrigenfalls ſie als Seeräuber be-
handelt werden. v. Martens über Caper §. 18.
3 Vgl. Jacobſen, Seerecht S. 585.
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[283/0307] §. 168. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. falls auch anderen Seemächten in deren Kriegen, theils durch aus- drückliche Convention, theils auch ohne ſolche und ohne Wider- ſpruch, ausgenommen bei vorkommenden Ueberſchreitungen gewiſſer Grenzen zugeſtanden haben. 1 Es kann daher mindeſtens nach Lage der bisherigen internationalen Verhältniſſe nicht erſt noch auf eine innere Rechtfertigung der Unterſuchungsbefugniß für jeden krieg- führenden Staat ankommen, vielmehr ſich nur davon handeln, die Bedingungen, Modalitäten und Grenzen derſelben theils aus dem anerkannten Zweck, theils aus der gemeinſamen Völkerpraxis darzuſtellen. 168. Als Zweck der Unterſuchung erſcheint im Allgemei- nen die Ueberzeugung des Kriegführenden, welcher einem Trans- port in einem denkbaren Zuſammenhang mit der feindlichen Par- tei begegnet, in wiefern ſolcher wirklich vorhanden ſei, um demnächſt die ihm zuſtehenden materiellen Rechte ſowohl den feindlichen Staa- ten als auch den Neutralen gegenüber in Ausübung zu bringen. Eine derartige Unterſuchung kann demnach nur Statt finden in dem eigenen Gebiete eines Kriegführenden; in dem Gebiete des feindlichen Gegners, ſofern man daſſelbe beſetzt hält oder doch vorübergehend erreichen kann; 2 endlich allgemeinem Gebrauche gemäß, auf offener See. Unſtatthaft iſt ſie dagegen innerhalb des Souveränetätsgebietes be- freundeter oder neutraler Staaten, ja ſelbſt in dem Gebiete der ei- genen Bundesgenoſſen, wofern dieſelbe nicht ausdrücklich oder ſtill- ſchweigend dazu die Erlaubniß oder Genehmigung ertheilen. 3 Die in exemten Gebieten dennoch gemachten Priſen müſſen auf die Re- clamation des verletzten Gebietsſtaates wieder heraus gegeben wer- 1 Als uralter Gebrauch erſcheint das Unter- oder Durchſuchungsrecht ſchon in dem zuvor angeführten Consolato del mar; nur über einzelne Puncte hat es Streitigkeiten unter den Völkern gegeben. Eine große Menge von Verträgen, worin das Durchſuchungsrecht ausdrücklich zugeſtanden und nä- her beſtimmt iſt, findet ſich angegeben bei Nau §. 163. und v. Martens über Caper §. 21. 2 Caper dürfen nach dem gewöhnlichen Gebrauch der Seeſtaaten nicht in die Flüſſe des Feindes innerhalb der durch Seetonnen bezeichneten Gren- zen eindringen und Schiffe angreifen, widrigenfalls ſie als Seeräuber be- handelt werden. v. Martens über Caper §. 18. 3 Vgl. Jacobſen, Seerecht S. 585.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/307>, abgerufen am 24.11.2024.