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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 139. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
die Vertheilung des erbeuteten Gutes abhängt. Ungeachtet der
Principienlosigkeit einer solchen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit
hat man sich doch in der langen Praxis der letzten Kriege schon
gewöhnt, das Eigenthum der weggenommenen Schiffe für verloren
und confiscirt zu halten, sobald von einem competenten Prisenge-
richt die Erbeutung als rechtmäßig erklärt worden ist. Selbst
Großbritannien respectirt hierin die gleiche Berechtigung anderer
Staaten, 1 freilich wohl, um desto weniger in der ihm selbst den
meisten Vortheil bringenden Praxis angefochten zu werden.

139. Bei näherer Betrachtung wird man sich unmöglich ent-
schließen können die vorher bemerkten Maximen der Europäischen
Staaten in Betreff der Seebeute schon als ein unstreitiges festge-
gründetes Völkerrecht anzuerkennen. Gesetzt auch, alle der großen Eu-
ropäischen Staatenfamilie einverleibten Regierungen befolgten ohne
die geringste Verschiedenheit dieselben Maximen, so würde jede doch
nur als für sich handelnd und durch politischen Interessen dazu
bestimmt erscheinen, namentlich als geleitet durch das äußerliche
Princip der Reciprocität und weil es zur Zeit zu keiner allgemei-
nen freien Verständigung über die hier in Rede stehenden Fragen
gekommen ist. Es fehlt dabei an einer inneren Nöthigung jene
Maximen als wahr anzunehmen; es fehlt dabei gewiß die sitt-
liche Zustimmung der Völker
, welche sich unmöglich mit ei-
nem System reiner Willkühr befreunden kann. Wodurch soll es
gerechtfertigt werden, daß die bloße Wegnahme einer Sache und
ein mehrstündiger, beliebig 24stündiger Besitz, das Eigenthum einer
fremden Sache, besonders einer Privatsache zu geben im Stande
sei! Welche Kraft kann das Urtheil einer Behörde äußern, die
für das Interesse des an dem Fange und seinen Vortheilen allein
betheiligten Staates niedergesetzt ist, und an dessen eigene Satzun-
gen gebunden ist! Fürwahr schon längst ist es ausgesprochen,
freilich nur von einzelnen Männern der Wissenschaft und Verthei-
digern der Humanität, daß ein solches System einer christlich er-
leuchteten Zeit unwürdig sei. Es wird auch dies allmälig immer-
mehr in das Bewußtsein der Völker treten, je würdiger sie werden
und im Stande sind, die Anforderungen der Gerechtigkeit denen
gegenüber zu vertheidigen und durchzusetzen, welche bisher in einem
solchen Willkührsystem vorzüglich die Beförderung ihrer Interessen

1 Wheaton IV, 2, §. 12. 13. Jouffroy, p. 209 f.

§. 139. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
die Vertheilung des erbeuteten Gutes abhängt. Ungeachtet der
Principienloſigkeit einer ſolchen Geſetzgebung und Gerichtsbarkeit
hat man ſich doch in der langen Praxis der letzten Kriege ſchon
gewöhnt, das Eigenthum der weggenommenen Schiffe für verloren
und confiscirt zu halten, ſobald von einem competenten Priſenge-
richt die Erbeutung als rechtmäßig erklärt worden iſt. Selbſt
Großbritannien reſpectirt hierin die gleiche Berechtigung anderer
Staaten, 1 freilich wohl, um deſto weniger in der ihm ſelbſt den
meiſten Vortheil bringenden Praxis angefochten zu werden.

139. Bei näherer Betrachtung wird man ſich unmöglich ent-
ſchließen können die vorher bemerkten Maximen der Europäiſchen
Staaten in Betreff der Seebeute ſchon als ein unſtreitiges feſtge-
gründetes Völkerrecht anzuerkennen. Geſetzt auch, alle der großen Eu-
ropäiſchen Staatenfamilie einverleibten Regierungen befolgten ohne
die geringſte Verſchiedenheit dieſelben Maximen, ſo würde jede doch
nur als für ſich handelnd und durch politiſchen Intereſſen dazu
beſtimmt erſcheinen, namentlich als geleitet durch das äußerliche
Princip der Reciprocität und weil es zur Zeit zu keiner allgemei-
nen freien Verſtändigung über die hier in Rede ſtehenden Fragen
gekommen iſt. Es fehlt dabei an einer inneren Nöthigung jene
Maximen als wahr anzunehmen; es fehlt dabei gewiß die ſitt-
liche Zuſtimmung der Völker
, welche ſich unmöglich mit ei-
nem Syſtem reiner Willkühr befreunden kann. Wodurch ſoll es
gerechtfertigt werden, daß die bloße Wegnahme einer Sache und
ein mehrſtündiger, beliebig 24ſtündiger Beſitz, das Eigenthum einer
fremden Sache, beſonders einer Privatſache zu geben im Stande
ſei! Welche Kraft kann das Urtheil einer Behörde äußern, die
für das Intereſſe des an dem Fange und ſeinen Vortheilen allein
betheiligten Staates niedergeſetzt iſt, und an deſſen eigene Satzun-
gen gebunden iſt! Fürwahr ſchon längſt iſt es ausgeſprochen,
freilich nur von einzelnen Männern der Wiſſenſchaft und Verthei-
digern der Humanität, daß ein ſolches Syſtem einer chriſtlich er-
leuchteten Zeit unwürdig ſei. Es wird auch dies allmälig immer-
mehr in das Bewußtſein der Völker treten, je würdiger ſie werden
und im Stande ſind, die Anforderungen der Gerechtigkeit denen
gegenüber zu vertheidigen und durchzuſetzen, welche bisher in einem
ſolchen Willkührſyſtem vorzüglich die Beförderung ihrer Intereſſen

1 Wheaton IV, 2, §. 12. 13. Jouffroy, p. 209 f.
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[235/0259] §. 139. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. die Vertheilung des erbeuteten Gutes abhängt. Ungeachtet der Principienloſigkeit einer ſolchen Geſetzgebung und Gerichtsbarkeit hat man ſich doch in der langen Praxis der letzten Kriege ſchon gewöhnt, das Eigenthum der weggenommenen Schiffe für verloren und confiscirt zu halten, ſobald von einem competenten Priſenge- richt die Erbeutung als rechtmäßig erklärt worden iſt. Selbſt Großbritannien reſpectirt hierin die gleiche Berechtigung anderer Staaten, 1 freilich wohl, um deſto weniger in der ihm ſelbſt den meiſten Vortheil bringenden Praxis angefochten zu werden. 139. Bei näherer Betrachtung wird man ſich unmöglich ent- ſchließen können die vorher bemerkten Maximen der Europäiſchen Staaten in Betreff der Seebeute ſchon als ein unſtreitiges feſtge- gründetes Völkerrecht anzuerkennen. Geſetzt auch, alle der großen Eu- ropäiſchen Staatenfamilie einverleibten Regierungen befolgten ohne die geringſte Verſchiedenheit dieſelben Maximen, ſo würde jede doch nur als für ſich handelnd und durch politiſchen Intereſſen dazu beſtimmt erſcheinen, namentlich als geleitet durch das äußerliche Princip der Reciprocität und weil es zur Zeit zu keiner allgemei- nen freien Verſtändigung über die hier in Rede ſtehenden Fragen gekommen iſt. Es fehlt dabei an einer inneren Nöthigung jene Maximen als wahr anzunehmen; es fehlt dabei gewiß die ſitt- liche Zuſtimmung der Völker, welche ſich unmöglich mit ei- nem Syſtem reiner Willkühr befreunden kann. Wodurch ſoll es gerechtfertigt werden, daß die bloße Wegnahme einer Sache und ein mehrſtündiger, beliebig 24ſtündiger Beſitz, das Eigenthum einer fremden Sache, beſonders einer Privatſache zu geben im Stande ſei! Welche Kraft kann das Urtheil einer Behörde äußern, die für das Intereſſe des an dem Fange und ſeinen Vortheilen allein betheiligten Staates niedergeſetzt iſt, und an deſſen eigene Satzun- gen gebunden iſt! Fürwahr ſchon längſt iſt es ausgeſprochen, freilich nur von einzelnen Männern der Wiſſenſchaft und Verthei- digern der Humanität, daß ein ſolches Syſtem einer chriſtlich er- leuchteten Zeit unwürdig ſei. Es wird auch dies allmälig immer- mehr in das Bewußtſein der Völker treten, je würdiger ſie werden und im Stande ſind, die Anforderungen der Gerechtigkeit denen gegenüber zu vertheidigen und durchzuſetzen, welche bisher in einem ſolchen Willkührſyſtem vorzüglich die Beförderung ihrer Intereſſen 1 Wheaton IV, 2, §. 12. 13. Jouffroy, p. 209 f.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/259>, abgerufen am 23.11.2024.