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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 120. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
zubrechen. Nur außerordentliche Umstände, nämlich entweder die
äußerste Noth oder die Erhaltung der Gleichheit des Kampfes und
der Regel selbst, können als s. g. Kriegsräson zu Ueberschreitun-
gen der gewöhnlichen Sitte berechtigen. 1 Regellos ist daher schon
an sich jeder Krieg wider Horden und Banden, welche kein Gesetz
der Menschlichkeit über sich anerkennen. Strenger endlich und ver-
nichtender als der Landkrieg ist der Seekrieg; die Maximen dessel-
ben haben sich bei dem Mangel eines gehörigen Gleichgewichtes
der Seemächte, noch bei Weitem nicht zu einer gleichen Parallele
mit dem des Landkrieges erhoben; zur Hälfte ist er noch immer
ein Raubkrieg, wie sich weiterhin ergeben wird.

Anfang des Krieges.

120. Ehe zu wirklichen Feindseligkeiten geschritten wird, muß,
wenn bisher ein gegenseitiger freundschaftlicher Verkehr bestand,
dem Gegner, welchen man mit Krieg überziehen will, eine Kriegs-
erklärung gemacht werden. Es würde keine Treue und Glauben
unter den Nationen Statt finden, sondern ein System der Isoli-
rung und Furcht Platz greifen, wenn eine unerwartete Kriegsüber-
ziehung in jedem Augenblicke befürchtet werden müßte. Das Al-
terthum beobachtete dabei besonders feierliche Formen; 2 der rit-
terliche Geist des späteren Mittelalters hielt dergleichen ebenfalls
für erforderlich; 3 die Gewohnheit feierlicher Kriegserklärung dauerte
bis in das siebenzehnte Jahrhundert. Seit dieser Zeit aber hat
man sich ganz von bestimmten Formen entbunden. Man begnügt
sich, jeden diplomatischen Verkehr mit dem Gegner abzubrechen 4
und auf einem der Publicität nicht entzogenen Wege, z. B. durch
s. g. Kriegsmanifeste, die Absicht einer Kriegsunternehmung zu er-
klären, oder sofort zu einer solchen factisch zu schreiten, ohne eine
unmittelbare Benachrichtigung des Gegners noch für nöthig zu

1 S. außer der schon oben S. 45. Not. 1. angeführten Schrift von Stru-
ben, Groot III, 1, 19. 18, 4. Pufendorf II, 3, 23. J. J. Moser,
IX, 1, 111 f. Bynkershoek, Quaest. I, 3. und die Schriften bei v.
Ompteda §. 300. v. Kamptz, §. 282 f.
2 Die Römische Sage leitete sie von den Aequicolern ab. Liv. I, 32.
3 Bei Privatfehden wie bei öffentlichen Kriegen. Ward, Enquiry II, 207 f.
4 Daß die Zurückberufung der Gesandten den Anfang des Krieges dar-
stelle, kann nicht behauptet werden. In Verträgen ist jedoch zuweilen dar-
auf zurückgegangen worden. v. Martens §. 262. Not. g.

§. 120. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
zubrechen. Nur außerordentliche Umſtände, nämlich entweder die
äußerſte Noth oder die Erhaltung der Gleichheit des Kampfes und
der Regel ſelbſt, können als ſ. g. Kriegsräſon zu Ueberſchreitun-
gen der gewöhnlichen Sitte berechtigen. 1 Regellos iſt daher ſchon
an ſich jeder Krieg wider Horden und Banden, welche kein Geſetz
der Menſchlichkeit über ſich anerkennen. Strenger endlich und ver-
nichtender als der Landkrieg iſt der Seekrieg; die Maximen deſſel-
ben haben ſich bei dem Mangel eines gehörigen Gleichgewichtes
der Seemächte, noch bei Weitem nicht zu einer gleichen Parallele
mit dem des Landkrieges erhoben; zur Hälfte iſt er noch immer
ein Raubkrieg, wie ſich weiterhin ergeben wird.

Anfang des Krieges.

120. Ehe zu wirklichen Feindſeligkeiten geſchritten wird, muß,
wenn bisher ein gegenſeitiger freundſchaftlicher Verkehr beſtand,
dem Gegner, welchen man mit Krieg überziehen will, eine Kriegs-
erklärung gemacht werden. Es würde keine Treue und Glauben
unter den Nationen Statt finden, ſondern ein Syſtem der Iſoli-
rung und Furcht Platz greifen, wenn eine unerwartete Kriegsüber-
ziehung in jedem Augenblicke befürchtet werden müßte. Das Al-
terthum beobachtete dabei beſonders feierliche Formen; 2 der rit-
terliche Geiſt des ſpäteren Mittelalters hielt dergleichen ebenfalls
für erforderlich; 3 die Gewohnheit feierlicher Kriegserklärung dauerte
bis in das ſiebenzehnte Jahrhundert. Seit dieſer Zeit aber hat
man ſich ganz von beſtimmten Formen entbunden. Man begnügt
ſich, jeden diplomatiſchen Verkehr mit dem Gegner abzubrechen 4
und auf einem der Publicität nicht entzogenen Wege, z. B. durch
ſ. g. Kriegsmanifeſte, die Abſicht einer Kriegsunternehmung zu er-
klären, oder ſofort zu einer ſolchen factiſch zu ſchreiten, ohne eine
unmittelbare Benachrichtigung des Gegners noch für nöthig zu

1 S. außer der ſchon oben S. 45. Not. 1. angeführten Schrift von Stru-
ben, Groot III, 1, 19. 18, 4. Pufendorf II, 3, 23. J. J. Moſer,
IX, 1, 111 f. Bynkershoek, Quaest. I, 3. und die Schriften bei v.
Ompteda §. 300. v. Kamptz, §. 282 f.
2 Die Römiſche Sage leitete ſie von den Aequicolern ab. Liv. I, 32.
3 Bei Privatfehden wie bei öffentlichen Kriegen. Ward, Enquiry II, 207 f.
4 Daß die Zurückberufung der Geſandten den Anfang des Krieges dar-
ſtelle, kann nicht behauptet werden. In Verträgen iſt jedoch zuweilen dar-
auf zurückgegangen worden. v. Martens §. 262. Not. g.
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[203/0227] §. 120. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. zubrechen. Nur außerordentliche Umſtände, nämlich entweder die äußerſte Noth oder die Erhaltung der Gleichheit des Kampfes und der Regel ſelbſt, können als ſ. g. Kriegsräſon zu Ueberſchreitun- gen der gewöhnlichen Sitte berechtigen. 1 Regellos iſt daher ſchon an ſich jeder Krieg wider Horden und Banden, welche kein Geſetz der Menſchlichkeit über ſich anerkennen. Strenger endlich und ver- nichtender als der Landkrieg iſt der Seekrieg; die Maximen deſſel- ben haben ſich bei dem Mangel eines gehörigen Gleichgewichtes der Seemächte, noch bei Weitem nicht zu einer gleichen Parallele mit dem des Landkrieges erhoben; zur Hälfte iſt er noch immer ein Raubkrieg, wie ſich weiterhin ergeben wird. Anfang des Krieges. 120. Ehe zu wirklichen Feindſeligkeiten geſchritten wird, muß, wenn bisher ein gegenſeitiger freundſchaftlicher Verkehr beſtand, dem Gegner, welchen man mit Krieg überziehen will, eine Kriegs- erklärung gemacht werden. Es würde keine Treue und Glauben unter den Nationen Statt finden, ſondern ein Syſtem der Iſoli- rung und Furcht Platz greifen, wenn eine unerwartete Kriegsüber- ziehung in jedem Augenblicke befürchtet werden müßte. Das Al- terthum beobachtete dabei beſonders feierliche Formen; 2 der rit- terliche Geiſt des ſpäteren Mittelalters hielt dergleichen ebenfalls für erforderlich; 3 die Gewohnheit feierlicher Kriegserklärung dauerte bis in das ſiebenzehnte Jahrhundert. Seit dieſer Zeit aber hat man ſich ganz von beſtimmten Formen entbunden. Man begnügt ſich, jeden diplomatiſchen Verkehr mit dem Gegner abzubrechen 4 und auf einem der Publicität nicht entzogenen Wege, z. B. durch ſ. g. Kriegsmanifeſte, die Abſicht einer Kriegsunternehmung zu er- klären, oder ſofort zu einer ſolchen factiſch zu ſchreiten, ohne eine unmittelbare Benachrichtigung des Gegners noch für nöthig zu 1 S. außer der ſchon oben S. 45. Not. 1. angeführten Schrift von Stru- ben, Groot III, 1, 19. 18, 4. Pufendorf II, 3, 23. J. J. Moſer, IX, 1, 111 f. Bynkershoek, Quaest. I, 3. und die Schriften bei v. Ompteda §. 300. v. Kamptz, §. 282 f. 2 Die Römiſche Sage leitete ſie von den Aequicolern ab. Liv. I, 32. 3 Bei Privatfehden wie bei öffentlichen Kriegen. Ward, Enquiry II, 207 f. 4 Daß die Zurückberufung der Geſandten den Anfang des Krieges dar- ſtelle, kann nicht behauptet werden. In Verträgen iſt jedoch zuweilen dar- auf zurückgegangen worden. v. Martens §. 262. Not. g.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/227>, abgerufen am 24.11.2024.