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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 102. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
sittlichen Weise. 1 Mit Ausnahme einiger Handlungen, welche
den Rechten aller Nationen gleichmäßig zuwider sind und daher
auch von allen vindicirt werden können (§. 104.), hat der Regel
nach nur der Beleidigte oder sein Rechtsnachfolger in der gekränk-
ten Persönlichkeit ein Recht auf Genugthuung wider den Beleidi-
ger, wobei sich aus der Subjectivität und den allgemeinen Rechts-
verhältnissen die nachfolgenden Unterscheidungen ergeben.

102. Wird ein Staat oder dessen Souverän durch eine aus-
wärtige Staatsgewalt in seiner völkerrechtlichen Persönlichkeit und
den davon abhängigen Rechten verletzt, und befindet sich das ver-
letzende Organ nicht in dem Bereiche des beleidigten Theiles, so
bleibt nichts übrig, als im Wege der Reclamation eine Genug-
thuung zu fordern, oder wenn sie verweigert wird, durch Selbst-
hilfe zu suchen. Auch mächtige Staaten pflegen bei wirklichem Un-
recht eine Genugthuung dem minder mächtigen nicht zu versagen.
Man giebt sie außer dem Ersatz eines etwa materiellen Schadens
durch solenne Gesandschaften und Erklärungen. 2


1 Eine rein äußerliche Wiedervergeltung der Beleidigung mit einer gleichen darf
zwar als äußerste Grenze der strengen Gerechtigkeit angesehen werden, aber
sie kann es nicht nach der Sittlichkeit. Es verhält sich damit genau so
wie im Strafrecht. S. schon Augustin. Exposit. Psalm. 108. (und in
c. 1. C. 23. qu. 1.) "reddere mala pro malis-propinquum malis; con-
venit tamen et bonis. Unde et lex modum ultionis statuit: Oculum
pro oculo. Quae si dici potest, injustorum justitia est, non quia ini-
qua est ultio quam lex statuit, sed quia vitiosa est libido ulciscendi."

S. auch Vattel II, 51. 52. 339. Nur gegen völlig rohe, wilde Völker
kann eine Talion als Repressalie sich nothwendig machen.
2 Beispiele von gegebenen Genugthuungen für zugefügte Kränkungen, Belei-
digungen und Verletzungen finden sich in der neuern Geschichte:
1662. zwischen Spanien und Frankreich, wegen verletzter Präcedenz.
Ch. de Martens, Causes celebr. II, 391. Schmauss Corp. J.
G. I,
760. Günther I, 233. 235.
1685. zwischen Genua und Frankreich. de Martens l. c. II, 399.
1687. zwischen England und Spanien. de Martens Nouv. C. cel.
II,
497.
1702. zwischen Venedig und Frankreich. de Martens Caus. cel.
II,
405.
1709. zwischen England und Rußland, wegen Verletzung des Gesand-
ten der letztern Macht. Ebds. I, 47.
1752. zwischen Schweden und Rußland. Ebds. II, 414.
1785. zwischen den Niederlanden und dem Kaiser, wegen Verletzung
der kaiserlichen Flagge auf der Schelde. Ebd. II, 271.
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§. 102. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſittlichen Weiſe. 1 Mit Ausnahme einiger Handlungen, welche
den Rechten aller Nationen gleichmäßig zuwider ſind und daher
auch von allen vindicirt werden können (§. 104.), hat der Regel
nach nur der Beleidigte oder ſein Rechtsnachfolger in der gekränk-
ten Perſönlichkeit ein Recht auf Genugthuung wider den Beleidi-
ger, wobei ſich aus der Subjectivität und den allgemeinen Rechts-
verhältniſſen die nachfolgenden Unterſcheidungen ergeben.

102. Wird ein Staat oder deſſen Souverän durch eine aus-
wärtige Staatsgewalt in ſeiner völkerrechtlichen Perſönlichkeit und
den davon abhängigen Rechten verletzt, und befindet ſich das ver-
letzende Organ nicht in dem Bereiche des beleidigten Theiles, ſo
bleibt nichts übrig, als im Wege der Reclamation eine Genug-
thuung zu fordern, oder wenn ſie verweigert wird, durch Selbſt-
hilfe zu ſuchen. Auch mächtige Staaten pflegen bei wirklichem Un-
recht eine Genugthuung dem minder mächtigen nicht zu verſagen.
Man giebt ſie außer dem Erſatz eines etwa materiellen Schadens
durch ſolenne Geſandſchaften und Erklärungen. 2


1 Eine rein äußerliche Wiedervergeltung der Beleidigung mit einer gleichen darf
zwar als äußerſte Grenze der ſtrengen Gerechtigkeit angeſehen werden, aber
ſie kann es nicht nach der Sittlichkeit. Es verhält ſich damit genau ſo
wie im Strafrecht. S. ſchon Augustin. Exposit. Psalm. 108. (und in
c. 1. C. 23. qu. 1.) „reddere mala pro malis-propinquum malis; con-
venit tamen et bonis. Unde et lex modum ultionis statuit: Oculum
pro oculo. Quae si dici potest, injustorum justitia est, non quia ini-
qua est ultio quam lex statuit, sed quia vitiosa est libido ulciscendi.“

S. auch Vattel II, 51. 52. 339. Nur gegen völlig rohe, wilde Völker
kann eine Talion als Repreſſalie ſich nothwendig machen.
2 Beiſpiele von gegebenen Genugthuungen für zugefügte Kränkungen, Belei-
digungen und Verletzungen finden ſich in der neuern Geſchichte:
1662. zwiſchen Spanien und Frankreich, wegen verletzter Präcedenz.
Ch. de Martens, Causes célèbr. II, 391. Schmauss Corp. J.
G. I,
760. Günther I, 233. 235.
1685. zwiſchen Genua und Frankreich. de Martens l. c. II, 399.
1687. zwiſchen England und Spanien. de Martens Nouv. C. cél.
II,
497.
1702. zwiſchen Venedig und Frankreich. de Martens Caus. cél.
II,
405.
1709. zwiſchen England und Rußland, wegen Verletzung des Geſand-
ten der letztern Macht. Ebdſ. I, 47.
1752. zwiſchen Schweden und Rußland. Ebdſ. II, 414.
1785. zwiſchen den Niederlanden und dem Kaiſer, wegen Verletzung
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[179/0203] §. 102. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. ſittlichen Weiſe. 1 Mit Ausnahme einiger Handlungen, welche den Rechten aller Nationen gleichmäßig zuwider ſind und daher auch von allen vindicirt werden können (§. 104.), hat der Regel nach nur der Beleidigte oder ſein Rechtsnachfolger in der gekränk- ten Perſönlichkeit ein Recht auf Genugthuung wider den Beleidi- ger, wobei ſich aus der Subjectivität und den allgemeinen Rechts- verhältniſſen die nachfolgenden Unterſcheidungen ergeben. 102. Wird ein Staat oder deſſen Souverän durch eine aus- wärtige Staatsgewalt in ſeiner völkerrechtlichen Perſönlichkeit und den davon abhängigen Rechten verletzt, und befindet ſich das ver- letzende Organ nicht in dem Bereiche des beleidigten Theiles, ſo bleibt nichts übrig, als im Wege der Reclamation eine Genug- thuung zu fordern, oder wenn ſie verweigert wird, durch Selbſt- hilfe zu ſuchen. Auch mächtige Staaten pflegen bei wirklichem Un- recht eine Genugthuung dem minder mächtigen nicht zu verſagen. Man giebt ſie außer dem Erſatz eines etwa materiellen Schadens durch ſolenne Geſandſchaften und Erklärungen. 2 1 Eine rein äußerliche Wiedervergeltung der Beleidigung mit einer gleichen darf zwar als äußerſte Grenze der ſtrengen Gerechtigkeit angeſehen werden, aber ſie kann es nicht nach der Sittlichkeit. Es verhält ſich damit genau ſo wie im Strafrecht. S. ſchon Augustin. Exposit. Psalm. 108. (und in c. 1. C. 23. qu. 1.) „reddere mala pro malis-propinquum malis; con- venit tamen et bonis. Unde et lex modum ultionis statuit: Oculum pro oculo. Quae si dici potest, injustorum justitia est, non quia ini- qua est ultio quam lex statuit, sed quia vitiosa est libido ulciscendi.“ S. auch Vattel II, 51. 52. 339. Nur gegen völlig rohe, wilde Völker kann eine Talion als Repreſſalie ſich nothwendig machen. 2 Beiſpiele von gegebenen Genugthuungen für zugefügte Kränkungen, Belei- digungen und Verletzungen finden ſich in der neuern Geſchichte: 1662. zwiſchen Spanien und Frankreich, wegen verletzter Präcedenz. Ch. de Martens, Causes célèbr. II, 391. Schmauss Corp. J. G. I, 760. Günther I, 233. 235. 1685. zwiſchen Genua und Frankreich. de Martens l. c. II, 399. 1687. zwiſchen England und Spanien. de Martens Nouv. C. cél. II, 497. 1702. zwiſchen Venedig und Frankreich. de Martens Caus. cél. II, 405. 1709. zwiſchen England und Rußland, wegen Verletzung des Geſand- ten der letztern Macht. Ebdſ. I, 47. 1752. zwiſchen Schweden und Rußland. Ebdſ. II, 414. 1785. zwiſchen den Niederlanden und dem Kaiſer, wegen Verletzung der kaiſerlichen Flagge auf der Schelde. Ebd. II, 271. 12*

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/203>, abgerufen am 24.11.2024.