wovon unter Andern der Bourbonische Familienvertrag vom 15. Aug. 1761 ein merkwürdiges Beispiel gewährt. 1
b.Vereinsverträge oder Conföderationen.
93. Staatenvereinsverträge oder Conföderationen haben das Eigene, daß sie nicht etwa bloß die Sonderinteressen einzelner Staaten, sondern ein Allen gemeinsames, freilich meist auch wie- der in Sonderinteressen aufzulösendes, mit gemeinsamen bleiben- den Anstalten zum Zweck haben. Ihre Wirksamkeit kann sich sowohl auf ausländische wie auf inländische Angelegenheiten in dem ganzen Umfang der sittlichen und rechtlichen Interessen er- strecken; ihre Rechtmäßigkeit 2 beruhet auf der socialen Natur des Menschengeschlechts, auf der Verpflichtung des Staates, das Wohl der Einzelnen durch möglichste Entwickelung und Vereinigung phy- sischer und sittlicher Kräfte zu fördern. Es bedarf also auch zur Giltigkeit solcher Vereine gar nicht erst der Anerkennung anderer Staaten, sondern jene haben das Recht, mit den einzelnen bereits anerkannten Staaten als deren Ausdehnung zu bestehen, und ge- meinsame Bevollmächtigte der verbündeten Staaten oder vereinigte Erklärungen derselben können von dritten Staaten ohne Rechts- kränkung nicht zurückgewiesen oder als eines völkerrechtlichen Cha- racters entbehrend behandelt werden.
Von einer solchen Beschaffenheit ist nun die Schließung eines eigentlichen Staatenbundes in größerer oder engerer Ausdehnung (§. 21.), ferner der deutsche Zollverein und jeder andere Verein, der etwa zur Einführung eines gemeinsamen Handels- und Ge- werbesystems mit gemeinsamen Mitteln gestiftet werden könnte. Ihr Gesetz erhalten dergleichen Vereine zunächst durch den aus- drücklichen Willen der sich vereinigenden Staatsgewalten; in dessen Ermangelung treten bei den schon bestehenden Vereinen die allge- meinen Grundsätze des Völkerrechts, insbesondere die aus dem obersten Grundsatz der Gerechtigkeit, d. i. der Gleichheit und Aus- gleichung des Ungleichen, herfließenden Regeln menschlicher Gesell- schaften in Anwendung. Es sind vorzüglich diese:
Die Rechte und Pflichten der Vereinsglieder sind einander
1Martens, Recueil. I, p. 16. ed. 2.
2Ubi societas ibi et jus est; ein altes Sprichwort. Vgl. Cocceji ad Proleg. H. Groot §. VIII.
Erſtes Buch. §. 93.
wovon unter Andern der Bourboniſche Familienvertrag vom 15. Aug. 1761 ein merkwürdiges Beiſpiel gewährt. 1
b.Vereinsverträge oder Conföderationen.
93. Staatenvereinsverträge oder Conföderationen haben das Eigene, daß ſie nicht etwa bloß die Sonderintereſſen einzelner Staaten, ſondern ein Allen gemeinſames, freilich meiſt auch wie- der in Sonderintereſſen aufzulöſendes, mit gemeinſamen bleiben- den Anſtalten zum Zweck haben. Ihre Wirkſamkeit kann ſich ſowohl auf ausländiſche wie auf inländiſche Angelegenheiten in dem ganzen Umfang der ſittlichen und rechtlichen Intereſſen er- ſtrecken; ihre Rechtmäßigkeit 2 beruhet auf der ſocialen Natur des Menſchengeſchlechts, auf der Verpflichtung des Staates, das Wohl der Einzelnen durch möglichſte Entwickelung und Vereinigung phy- ſiſcher und ſittlicher Kräfte zu fördern. Es bedarf alſo auch zur Giltigkeit ſolcher Vereine gar nicht erſt der Anerkennung anderer Staaten, ſondern jene haben das Recht, mit den einzelnen bereits anerkannten Staaten als deren Ausdehnung zu beſtehen, und ge- meinſame Bevollmächtigte der verbündeten Staaten oder vereinigte Erklärungen derſelben können von dritten Staaten ohne Rechts- kränkung nicht zurückgewieſen oder als eines völkerrechtlichen Cha- racters entbehrend behandelt werden.
Von einer ſolchen Beſchaffenheit iſt nun die Schließung eines eigentlichen Staatenbundes in größerer oder engerer Ausdehnung (§. 21.), ferner der deutſche Zollverein und jeder andere Verein, der etwa zur Einführung eines gemeinſamen Handels- und Ge- werbeſyſtems mit gemeinſamen Mitteln geſtiftet werden könnte. Ihr Geſetz erhalten dergleichen Vereine zunächſt durch den aus- drücklichen Willen der ſich vereinigenden Staatsgewalten; in deſſen Ermangelung treten bei den ſchon beſtehenden Vereinen die allge- meinen Grundſätze des Völkerrechts, insbeſondere die aus dem oberſten Grundſatz der Gerechtigkeit, d. i. der Gleichheit und Aus- gleichung des Ungleichen, herfließenden Regeln menſchlicher Geſell- ſchaften in Anwendung. Es ſind vorzüglich dieſe:
Die Rechte und Pflichten der Vereinsglieder ſind einander
1Martens, Recueil. I, p. 16. ed. 2.
2Ubi societas ibi et jus est; ein altes Sprichwort. Vgl. Cocceji ad Proleg. H. Groot §. VIII.
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Erſtes Buch. §. 93.
wovon unter Andern der Bourboniſche Familienvertrag vom 15.
Aug. 1761 ein merkwürdiges Beiſpiel gewährt. 1
b. Vereinsverträge oder Conföderationen.
93. Staatenvereinsverträge oder Conföderationen haben das
Eigene, daß ſie nicht etwa bloß die Sonderintereſſen einzelner
Staaten, ſondern ein Allen gemeinſames, freilich meiſt auch wie-
der in Sonderintereſſen aufzulöſendes, mit gemeinſamen bleiben-
den Anſtalten zum Zweck haben. Ihre Wirkſamkeit kann ſich
ſowohl auf ausländiſche wie auf inländiſche Angelegenheiten in
dem ganzen Umfang der ſittlichen und rechtlichen Intereſſen er-
ſtrecken; ihre Rechtmäßigkeit 2 beruhet auf der ſocialen Natur des
Menſchengeſchlechts, auf der Verpflichtung des Staates, das Wohl
der Einzelnen durch möglichſte Entwickelung und Vereinigung phy-
ſiſcher und ſittlicher Kräfte zu fördern. Es bedarf alſo auch zur
Giltigkeit ſolcher Vereine gar nicht erſt der Anerkennung anderer
Staaten, ſondern jene haben das Recht, mit den einzelnen bereits
anerkannten Staaten als deren Ausdehnung zu beſtehen, und ge-
meinſame Bevollmächtigte der verbündeten Staaten oder vereinigte
Erklärungen derſelben können von dritten Staaten ohne Rechts-
kränkung nicht zurückgewieſen oder als eines völkerrechtlichen Cha-
racters entbehrend behandelt werden.
Von einer ſolchen Beſchaffenheit iſt nun die Schließung eines
eigentlichen Staatenbundes in größerer oder engerer Ausdehnung
(§. 21.), ferner der deutſche Zollverein und jeder andere Verein,
der etwa zur Einführung eines gemeinſamen Handels- und Ge-
werbeſyſtems mit gemeinſamen Mitteln geſtiftet werden könnte.
Ihr Geſetz erhalten dergleichen Vereine zunächſt durch den aus-
drücklichen Willen der ſich vereinigenden Staatsgewalten; in deſſen
Ermangelung treten bei den ſchon beſtehenden Vereinen die allge-
meinen Grundſätze des Völkerrechts, insbeſondere die aus dem
oberſten Grundſatz der Gerechtigkeit, d. i. der Gleichheit und Aus-
gleichung des Ungleichen, herfließenden Regeln menſchlicher Geſell-
ſchaften in Anwendung. Es ſind vorzüglich dieſe:
Die Rechte und Pflichten der Vereinsglieder ſind einander
1 Martens, Recueil. I, p. 16. ed. 2.
2 Ubi societas ibi et jus est; ein altes Sprichwort. Vgl. Cocceji ad
Proleg. H. Groot §. VIII.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/188>, abgerufen am 24.02.2025.
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