Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 76. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
wenn nicht auch andern Nationen Rechte der Art zugestanden
sind. 1

Schutzrechte über die Küstengewässer.

76. Ein unmittelbares Interesse und Recht haben unbestreitbar
alle Küstenstaaten, zur Sicherstellung ihres Landgebietes gegen un-
erwartete Ueberfälle, so wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-,
Steuer- und Verkehrsystems, nicht nur jede Annäherung von der
Seeseite her zu beobachten, sondern auch Anstalten zu treffen, 2
daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Auf-
nahme darin verweigert werden kann, so wie daß die hierzu erfor-
derlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher
auch, wenn er nicht durch entgegenstehende Verträge gebunden ist,
eine eigene Küstenbewachung und Küstenpolizei einrichten, und nach
den besondern Verhältnissen der Küste so wie der Gewässer die er-
forderliche Ausdehnung bestimmen; 3 jeder Fremde, der in den Be-
reich dieser Anstalten kommt, ist demnächst verbunden, sich den
getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder ab-
sichtlich dahin gelangt sein. Zu den an sich erlaubten Maaßregeln
gehört hierbei auf Seiten des Küstenstaates:

das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu ver-
langen, und im Fall ihrer Verweigerung oder bei entstehen-
dem Verdacht einer Unrichtigkeit sich unmittelbar Kenntniß
von dem Zweck zu verschaffen, auch einstweilige Maaßregeln
gegen Gefahren zu ergreifen;

1 Z. B. die Häringsfischerei in den Britischen Meeren. Vattel I, 23, §.
287. Vgl. übrigens Jouffroy, p. 27. s.
2 Nam quod quisque propter defensionem sui fecerit, iure fecisse vide-
tur. L. 3. D. de J. et J.
Vgl. Vattel I, 23, §. 288.
3 In einzelnen Verträgen hat man bestimmte Entfernungen angenommen.
Z. B. in einem Vertrage zwischen Großbritannien und Spanien v. 1790.
wegen der Südseefischerei. Wheaton intern. L. §. 8. l. c. Ebenso 1689.
zwischen Frankreich und Algier; in manchen Fällen 3 Lieues, z. B. im Pa-
riser Frieden von 1763. Art. 5., ebendas. Art. 15. aber wieder 15 Meilen.
England erstreckt seine Zollaufsicht auf 2 Meilen. Am richtigsten urtheilt wohl
Vattel I, 23. §. 289., welcher Alles von den Umständen abhängig sein läßt.
Die weiteste Grenze dürfte nach Rayneval, der sichtbare Horizont von der
Küste für die Aufsichtsanstalten sein. Die Kanonen des Landes können aber
allein nicht entscheiden!

§. 76. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
wenn nicht auch andern Nationen Rechte der Art zugeſtanden
ſind. 1

Schutzrechte über die Küſtengewäſſer.

76. Ein unmittelbares Intereſſe und Recht haben unbeſtreitbar
alle Küſtenſtaaten, zur Sicherſtellung ihres Landgebietes gegen un-
erwartete Ueberfälle, ſo wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-,
Steuer- und Verkehrſyſtems, nicht nur jede Annäherung von der
Seeſeite her zu beobachten, ſondern auch Anſtalten zu treffen, 2
daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Auf-
nahme darin verweigert werden kann, ſo wie daß die hierzu erfor-
derlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher
auch, wenn er nicht durch entgegenſtehende Verträge gebunden iſt,
eine eigene Küſtenbewachung und Küſtenpolizei einrichten, und nach
den beſondern Verhältniſſen der Küſte ſo wie der Gewäſſer die er-
forderliche Ausdehnung beſtimmen; 3 jeder Fremde, der in den Be-
reich dieſer Anſtalten kommt, iſt demnächſt verbunden, ſich den
getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder ab-
ſichtlich dahin gelangt ſein. Zu den an ſich erlaubten Maaßregeln
gehört hierbei auf Seiten des Küſtenſtaates:

das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu ver-
langen, und im Fall ihrer Verweigerung oder bei entſtehen-
dem Verdacht einer Unrichtigkeit ſich unmittelbar Kenntniß
von dem Zweck zu verſchaffen, auch einſtweilige Maaßregeln
gegen Gefahren zu ergreifen;

1 Z. B. die Häringsfiſcherei in den Britiſchen Meeren. Vattel I, 23, §.
287. Vgl. übrigens Jouffroy, p. 27. s.
2 Nam quod quisque propter defensionem sui fecerit, iure fecisse vide-
tur. L. 3. D. de J. et J.
Vgl. Vattel I, 23, §. 288.
3 In einzelnen Verträgen hat man beſtimmte Entfernungen angenommen.
Z. B. in einem Vertrage zwiſchen Großbritannien und Spanien v. 1790.
wegen der Südſeefiſcherei. Wheaton intern. L. §. 8. l. c. Ebenſo 1689.
zwiſchen Frankreich und Algier; in manchen Fällen 3 Lieues, z. B. im Pa-
riſer Frieden von 1763. Art. 5., ebendaſ. Art. 15. aber wieder 15 Meilen.
England erſtreckt ſeine Zollaufſicht auf 2 Meilen. Am richtigſten urtheilt wohl
Vattel I, 23. §. 289., welcher Alles von den Umſtänden abhängig ſein läßt.
Die weiteſte Grenze dürfte nach Rayneval, der ſichtbare Horizont von der
Küſte für die Aufſichtsanſtalten ſein. Die Kanonen des Landes können aber
allein nicht entſcheiden!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0159" n="135"/><fw place="top" type="header">§. 76. <hi rendition="#g">Vo&#x0364;lkerrecht im Zu&#x017F;tand des Friedens</hi>.</fw><lb/>
wenn nicht auch andern Nationen Rechte der Art zuge&#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;ind. <note place="foot" n="1">Z. B. die Häringsfi&#x017F;cherei in den Briti&#x017F;chen Meeren. Vattel <hi rendition="#aq">I,</hi> 23, §.<lb/>
287. Vgl. übrigens <hi rendition="#aq">Jouffroy, p. 27. s.</hi></note></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Schutzrechte über die Kü&#x017F;tengewä&#x017F;&#x017F;er.</head><lb/>
            <p>76. Ein unmittelbares Intere&#x017F;&#x017F;e und Recht haben unbe&#x017F;treitbar<lb/>
alle Kü&#x017F;ten&#x017F;taaten, zur Sicher&#x017F;tellung ihres Landgebietes gegen un-<lb/>
erwartete Ueberfälle, &#x017F;o wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-,<lb/>
Steuer- und Verkehr&#x017F;y&#x017F;tems, nicht nur jede Annäherung von der<lb/>
See&#x017F;eite her zu beobachten, &#x017F;ondern auch An&#x017F;talten zu treffen, <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Nam quod quisque propter defensionem sui fecerit, iure fecisse vide-<lb/>
tur. L. 3. D. de J. et J.</hi> Vgl. Vattel <hi rendition="#aq">I,</hi> 23, §. 288.</note><lb/>
daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Auf-<lb/>
nahme darin verweigert werden kann, &#x017F;o wie daß die hierzu erfor-<lb/>
derlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher<lb/>
auch, wenn er nicht durch entgegen&#x017F;tehende Verträge gebunden i&#x017F;t,<lb/>
eine eigene Kü&#x017F;tenbewachung und Kü&#x017F;tenpolizei einrichten, und nach<lb/>
den be&#x017F;ondern Verhältni&#x017F;&#x017F;en der Kü&#x017F;te &#x017F;o wie der Gewä&#x017F;&#x017F;er die er-<lb/>
forderliche Ausdehnung be&#x017F;timmen; <note place="foot" n="3">In einzelnen Verträgen hat man be&#x017F;timmte Entfernungen angenommen.<lb/>
Z. B. in einem Vertrage zwi&#x017F;chen Großbritannien und Spanien v. 1790.<lb/>
wegen der Süd&#x017F;eefi&#x017F;cherei. <hi rendition="#aq">Wheaton intern. L. §. 8. l. c.</hi> Eben&#x017F;o 1689.<lb/>
zwi&#x017F;chen Frankreich und Algier; in manchen Fällen 3 Lieues, z. B. im Pa-<lb/>
ri&#x017F;er Frieden von 1763. Art. 5., ebenda&#x017F;. Art. 15. aber wieder 15 Meilen.<lb/>
England er&#x017F;treckt &#x017F;eine Zollauf&#x017F;icht auf 2 Meilen. Am richtig&#x017F;ten urtheilt wohl<lb/>
Vattel <hi rendition="#aq">I,</hi> 23. §. 289., welcher Alles von den Um&#x017F;tänden abhängig &#x017F;ein läßt.<lb/>
Die weite&#x017F;te Grenze dürfte nach Rayneval, der &#x017F;ichtbare Horizont von der<lb/>&#x017F;te für die Auf&#x017F;ichtsan&#x017F;talten &#x017F;ein. Die Kanonen des Landes können aber<lb/>
allein nicht ent&#x017F;cheiden!</note> jeder Fremde, der in den Be-<lb/>
reich die&#x017F;er An&#x017F;talten kommt, i&#x017F;t demnäch&#x017F;t verbunden, &#x017F;ich den<lb/>
getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder ab-<lb/>
&#x017F;ichtlich dahin gelangt &#x017F;ein. Zu den an &#x017F;ich erlaubten Maaßregeln<lb/>
gehört hierbei auf Seiten des Kü&#x017F;ten&#x017F;taates:</p><lb/>
            <list>
              <item>das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu ver-<lb/>
langen, und im Fall ihrer Verweigerung oder bei ent&#x017F;tehen-<lb/>
dem Verdacht einer Unrichtigkeit &#x017F;ich unmittelbar Kenntniß<lb/>
von dem Zweck zu ver&#x017F;chaffen, auch ein&#x017F;tweilige Maaßregeln<lb/>
gegen Gefahren zu ergreifen;</item>
            </list><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0159] §. 76. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. wenn nicht auch andern Nationen Rechte der Art zugeſtanden ſind. 1 Schutzrechte über die Küſtengewäſſer. 76. Ein unmittelbares Intereſſe und Recht haben unbeſtreitbar alle Küſtenſtaaten, zur Sicherſtellung ihres Landgebietes gegen un- erwartete Ueberfälle, ſo wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-, Steuer- und Verkehrſyſtems, nicht nur jede Annäherung von der Seeſeite her zu beobachten, ſondern auch Anſtalten zu treffen, 2 daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Auf- nahme darin verweigert werden kann, ſo wie daß die hierzu erfor- derlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher auch, wenn er nicht durch entgegenſtehende Verträge gebunden iſt, eine eigene Küſtenbewachung und Küſtenpolizei einrichten, und nach den beſondern Verhältniſſen der Küſte ſo wie der Gewäſſer die er- forderliche Ausdehnung beſtimmen; 3 jeder Fremde, der in den Be- reich dieſer Anſtalten kommt, iſt demnächſt verbunden, ſich den getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder ab- ſichtlich dahin gelangt ſein. Zu den an ſich erlaubten Maaßregeln gehört hierbei auf Seiten des Küſtenſtaates: das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu ver- langen, und im Fall ihrer Verweigerung oder bei entſtehen- dem Verdacht einer Unrichtigkeit ſich unmittelbar Kenntniß von dem Zweck zu verſchaffen, auch einſtweilige Maaßregeln gegen Gefahren zu ergreifen; 1 Z. B. die Häringsfiſcherei in den Britiſchen Meeren. Vattel I, 23, §. 287. Vgl. übrigens Jouffroy, p. 27. s. 2 Nam quod quisque propter defensionem sui fecerit, iure fecisse vide- tur. L. 3. D. de J. et J. Vgl. Vattel I, 23, §. 288. 3 In einzelnen Verträgen hat man beſtimmte Entfernungen angenommen. Z. B. in einem Vertrage zwiſchen Großbritannien und Spanien v. 1790. wegen der Südſeefiſcherei. Wheaton intern. L. §. 8. l. c. Ebenſo 1689. zwiſchen Frankreich und Algier; in manchen Fällen 3 Lieues, z. B. im Pa- riſer Frieden von 1763. Art. 5., ebendaſ. Art. 15. aber wieder 15 Meilen. England erſtreckt ſeine Zollaufſicht auf 2 Meilen. Am richtigſten urtheilt wohl Vattel I, 23. §. 289., welcher Alles von den Umſtänden abhängig ſein läßt. Die weiteſte Grenze dürfte nach Rayneval, der ſichtbare Horizont von der Küſte für die Aufſichtsanſtalten ſein. Die Kanonen des Landes können aber allein nicht entſcheiden!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/159
Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/159>, abgerufen am 22.12.2024.