Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.§. 70. Völkerrecht im Zustand des Friedens. Insbesondere: Occupation. 70. Die Erwerbung neuen Staatseigenthums, oder der Rechte I. Sie ist nur zulässig an solchen Sachen, welche sich, obwohl eigenthumsfähig, noch in keines Menschen ausschließlicher Herrschaft befinden, und darf nicht auf Menschen selbst aus- gedehnt werden. 1 Die Herrschaft über diese ist allein durch freiwillige Unterwerfung oder im Wege eines gerechten Krie- ges zu erlangen. Es findet also die Occupation hauptsäch- lich nur Anwendung auf unbewohnte, nicht schon vollstän- dig von Andern in Besitz genommene Gegenden und Inseln; aber es giebt keine Befugniß der Einzelstaaten, ihre Herr- schaft auch noch so rohen Völkern oder selbst nur einzelnen festen Bewohnern bestimmter Erdstriche aufzudringen; sie kön- nen blos Verkehr mit denselben suchen, im Fall der Noth bei ihnen verweilen, das eben Unentbehrliche sich verschaffen und durch freiwillige Abtretung Grund und Boden zur Co- lonisation zu erwerben sich bemühen. 2 II. Jede Occupation erfordert die bestimmte Absicht, eine her- renlose Sache seiner eigenen Herrschaft bleibend zu unterwer- fen. Wider Wissen und Willen wird kein Eigenthum er- langt. III. Es muß auch eine wirkliche Besitzergreifung vor sich gehen, wodurch die Absicht einer dauernden Aneignung dargelegt wird, und womit Anstalten zur Ausübung einer ausschließ- lichen Herrschaft zu verbinden sind. Ist dieses einmal ge- 1 Groot II, 9. 1. 2 Daß der Staat überhaupt seine Herrschaft über die Erde ausdehne, kann
als naturgemäß zugegeben werden. Daß aber gerade ein gewisser Einzel- staat seine Herrschaft hier und da constituire, ist keine Nothwendigkeit. Zwecke, wie der Culturverbreitung, der Beförderung der der Handels- und Industrie-Interessen, der Benutzung eines todten Capitals, geben noch kein Recht dazu. Nur wenn irgendwo durch Ausschließung die Erhaltung und Fortentwickelung des Menschengeschlechts gestört würde, könnte mit gemein- samer Zustimmung das Hinderniß beseitigt werden. Vgl. übrigens Vattel I, 18, §. 205 f. Günther II, 9. §. 70. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. Insbeſondere: Occupation. 70. Die Erwerbung neuen Staatseigenthums, oder der Rechte I. Sie iſt nur zuläſſig an ſolchen Sachen, welche ſich, obwohl eigenthumsfähig, noch in keines Menſchen ausſchließlicher Herrſchaft befinden, und darf nicht auf Menſchen ſelbſt aus- gedehnt werden. 1 Die Herrſchaft über dieſe iſt allein durch freiwillige Unterwerfung oder im Wege eines gerechten Krie- ges zu erlangen. Es findet alſo die Occupation hauptſäch- lich nur Anwendung auf unbewohnte, nicht ſchon vollſtän- dig von Andern in Beſitz genommene Gegenden und Inſeln; aber es giebt keine Befugniß der Einzelſtaaten, ihre Herr- ſchaft auch noch ſo rohen Völkern oder ſelbſt nur einzelnen feſten Bewohnern beſtimmter Erdſtriche aufzudringen; ſie kön- nen blos Verkehr mit denſelben ſuchen, im Fall der Noth bei ihnen verweilen, das eben Unentbehrliche ſich verſchaffen und durch freiwillige Abtretung Grund und Boden zur Co- loniſation zu erwerben ſich bemühen. 2 II. Jede Occupation erfordert die beſtimmte Abſicht, eine her- renloſe Sache ſeiner eigenen Herrſchaft bleibend zu unterwer- fen. Wider Wiſſen und Willen wird kein Eigenthum er- langt. III. Es muß auch eine wirkliche Beſitzergreifung vor ſich gehen, wodurch die Abſicht einer dauernden Aneignung dargelegt wird, und womit Anſtalten zur Ausübung einer ausſchließ- lichen Herrſchaft zu verbinden ſind. Iſt dieſes einmal ge- 1 Groot II, 9. 1. 2 Daß der Staat überhaupt ſeine Herrſchaft über die Erde ausdehne, kann
als naturgemäß zugegeben werden. Daß aber gerade ein gewiſſer Einzel- ſtaat ſeine Herrſchaft hier und da conſtituire, iſt keine Nothwendigkeit. Zwecke, wie der Culturverbreitung, der Beförderung der der Handels- und Induſtrie-Intereſſen, der Benutzung eines todten Capitals, geben noch kein Recht dazu. Nur wenn irgendwo durch Ausſchließung die Erhaltung und Fortentwickelung des Menſchengeſchlechts geſtört würde, könnte mit gemein- ſamer Zuſtimmung das Hinderniß beſeitigt werden. Vgl. übrigens Vattel I, 18, §. 205 f. Günther II, 9. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0149" n="125"/> <fw place="top" type="header">§. 70. <hi rendition="#g">Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens</hi>.</fw><lb/> <div n="3"> <head>Insbeſondere: Occupation.</head><lb/> <p>70. Die Erwerbung neuen Staatseigenthums, oder der Rechte<lb/> der Staatsgewalt über beſtimmte Sachen iſt im Wege der Occu-<lb/> pation von folgenden Bedingungen abhängig:</p><lb/> <list> <item><hi rendition="#aq">I.</hi> Sie iſt nur zuläſſig an ſolchen Sachen, welche ſich, obwohl<lb/> eigenthumsfähig, noch in keines Menſchen ausſchließlicher<lb/> Herrſchaft befinden, und darf nicht auf Menſchen ſelbſt aus-<lb/> gedehnt werden. <note place="foot" n="1">Groot <hi rendition="#aq">II,</hi> 9. 1.</note> Die Herrſchaft über dieſe iſt allein durch<lb/> freiwillige Unterwerfung oder im Wege eines gerechten Krie-<lb/> ges zu erlangen. Es findet alſo die Occupation hauptſäch-<lb/> lich nur Anwendung auf unbewohnte, nicht ſchon vollſtän-<lb/> dig von Andern in Beſitz genommene Gegenden und Inſeln;<lb/> aber es giebt keine Befugniß der Einzelſtaaten, ihre Herr-<lb/> ſchaft auch noch ſo rohen Völkern oder ſelbſt nur einzelnen<lb/> feſten Bewohnern beſtimmter Erdſtriche aufzudringen; ſie kön-<lb/> nen blos Verkehr mit denſelben ſuchen, im Fall der Noth<lb/> bei ihnen verweilen, das eben Unentbehrliche ſich verſchaffen<lb/> und durch freiwillige Abtretung Grund und Boden zur Co-<lb/> loniſation zu erwerben ſich bemühen. <note place="foot" n="2">Daß der Staat überhaupt ſeine Herrſchaft über die Erde ausdehne, kann<lb/> als naturgemäß zugegeben werden. Daß aber gerade ein gewiſſer Einzel-<lb/> ſtaat ſeine Herrſchaft hier und da conſtituire, iſt keine Nothwendigkeit.<lb/> Zwecke, wie der Culturverbreitung, der Beförderung der der Handels- und<lb/> Induſtrie-Intereſſen, der Benutzung eines todten Capitals, geben noch kein<lb/> Recht dazu. Nur wenn irgendwo durch Ausſchließung die Erhaltung und<lb/> Fortentwickelung des Menſchengeſchlechts geſtört würde, könnte mit gemein-<lb/> ſamer Zuſtimmung das Hinderniß beſeitigt werden. Vgl. übrigens Vattel<lb/><hi rendition="#aq">I,</hi> 18, §. 205 f. Günther <hi rendition="#aq">II,</hi> 9.</note></item><lb/> <item><hi rendition="#aq">II.</hi> Jede Occupation erfordert die beſtimmte Abſicht, eine her-<lb/> renloſe Sache ſeiner eigenen Herrſchaft bleibend zu unterwer-<lb/> fen. Wider Wiſſen und Willen wird kein Eigenthum er-<lb/> langt.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">III.</hi> Es muß auch eine wirkliche Beſitzergreifung vor ſich gehen,<lb/> wodurch die Abſicht einer dauernden Aneignung dargelegt<lb/> wird, und womit Anſtalten zur Ausübung einer ausſchließ-<lb/> lichen Herrſchaft zu verbinden ſind. Iſt dieſes einmal ge-<lb/></item> </list> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0149]
§. 70. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Insbeſondere: Occupation.
70. Die Erwerbung neuen Staatseigenthums, oder der Rechte
der Staatsgewalt über beſtimmte Sachen iſt im Wege der Occu-
pation von folgenden Bedingungen abhängig:
I. Sie iſt nur zuläſſig an ſolchen Sachen, welche ſich, obwohl
eigenthumsfähig, noch in keines Menſchen ausſchließlicher
Herrſchaft befinden, und darf nicht auf Menſchen ſelbſt aus-
gedehnt werden. 1 Die Herrſchaft über dieſe iſt allein durch
freiwillige Unterwerfung oder im Wege eines gerechten Krie-
ges zu erlangen. Es findet alſo die Occupation hauptſäch-
lich nur Anwendung auf unbewohnte, nicht ſchon vollſtän-
dig von Andern in Beſitz genommene Gegenden und Inſeln;
aber es giebt keine Befugniß der Einzelſtaaten, ihre Herr-
ſchaft auch noch ſo rohen Völkern oder ſelbſt nur einzelnen
feſten Bewohnern beſtimmter Erdſtriche aufzudringen; ſie kön-
nen blos Verkehr mit denſelben ſuchen, im Fall der Noth
bei ihnen verweilen, das eben Unentbehrliche ſich verſchaffen
und durch freiwillige Abtretung Grund und Boden zur Co-
loniſation zu erwerben ſich bemühen. 2
II. Jede Occupation erfordert die beſtimmte Abſicht, eine her-
renloſe Sache ſeiner eigenen Herrſchaft bleibend zu unterwer-
fen. Wider Wiſſen und Willen wird kein Eigenthum er-
langt.
III. Es muß auch eine wirkliche Beſitzergreifung vor ſich gehen,
wodurch die Abſicht einer dauernden Aneignung dargelegt
wird, und womit Anſtalten zur Ausübung einer ausſchließ-
lichen Herrſchaft zu verbinden ſind. Iſt dieſes einmal ge-
1 Groot II, 9. 1.
2 Daß der Staat überhaupt ſeine Herrſchaft über die Erde ausdehne, kann
als naturgemäß zugegeben werden. Daß aber gerade ein gewiſſer Einzel-
ſtaat ſeine Herrſchaft hier und da conſtituire, iſt keine Nothwendigkeit.
Zwecke, wie der Culturverbreitung, der Beförderung der der Handels- und
Induſtrie-Intereſſen, der Benutzung eines todten Capitals, geben noch kein
Recht dazu. Nur wenn irgendwo durch Ausſchließung die Erhaltung und
Fortentwickelung des Menſchengeſchlechts geſtört würde, könnte mit gemein-
ſamer Zuſtimmung das Hinderniß beſeitigt werden. Vgl. übrigens Vattel
I, 18, §. 205 f. Günther II, 9.
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