Folge, daß a. die Nationen selber wenigern Antheil an den öffentlichen Angelegenheiten nahmen. Mäch- tige Volkspartien, und die durch sie erregten Stür- me, wie man sie in den großen Republiken des Al- terthums sieht, würden gänzlich fremd geblieben seyn, wenn nicht die Religion ihnen ähnliche Erschei- nungen erzeugt hätte. b. Dagegen concentrirte sich die Leitung der Staatsangelegenheiten immer mehr in den Händen der Fürsten und ihrer Minister; und so bildete sich jene Cabinetspolitik aus, welche das Europäische Staatensystem besonders charakterisirt.
5. Bey dieser unleugbaren Einförmigkeit, wodurch die neue Geschichte der des Alterthums so ungleich wird, zeigt sich doch aber zugleich eine solche Mannigfaltigkeit, als irgend damit bestehen konnte. Alle Formen der Monarchie, des Erb- reichs wie des Wahlreichs, der unumschränkten, der constitutionellen, und selbst der Schattengewalt der Könige sah man in Europa realisirt. Sogar in den wenigen Republiken, die es enthielt, welche Abstufung von der reinen Aristocratie Venedigs, bis zur reinen Democratie eines Hirten-Cantons? Gewiß war es diese Verschiedenheit, die einen größern Kreis politischer Ideen praktisch im Umlaufe erhielt, der Europa seine politische, und mit ihr zugleich einen großen Theil seiner übrigen Cultur verdankt.
6.
Einleitung.
Folge, daß a. die Nationen ſelber wenigern Antheil an den oͤffentlichen Angelegenheiten nahmen. Maͤch- tige Volkspartien, und die durch ſie erregten Stuͤr- me, wie man ſie in den großen Republiken des Al- terthums ſieht, wuͤrden gaͤnzlich fremd geblieben ſeyn, wenn nicht die Religion ihnen aͤhnliche Erſchei- nungen erzeugt haͤtte. b. Dagegen concentrirte ſich die Leitung der Staatsangelegenheiten immer mehr in den Haͤnden der Fuͤrſten und ihrer Miniſter; und ſo bildete ſich jene Cabinetspolitik aus, welche das Europaͤiſche Staatenſyſtem beſonders charakteriſirt.
5. Bey dieſer unleugbaren Einfoͤrmigkeit, wodurch die neue Geſchichte der des Alterthums ſo ungleich wird, zeigt ſich doch aber zugleich eine ſolche Mannigfaltigkeit, als irgend damit beſtehen konnte. Alle Formen der Monarchie, des Erb- reichs wie des Wahlreichs, der unumſchraͤnkten, der conſtitutionellen, und ſelbſt der Schattengewalt der Koͤnige ſah man in Europa realiſirt. Sogar in den wenigen Republiken, die es enthielt, welche Abſtufung von der reinen Ariſtocratie Venedigs, bis zur reinen Democratie eines Hirten-Cantons? Gewiß war es dieſe Verſchiedenheit, die einen groͤßern Kreis politiſcher Ideen praktiſch im Umlaufe erhielt, der Europa ſeine politiſche, und mit ihr zugleich einen großen Theil ſeiner uͤbrigen Cultur verdankt.
6.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0046"n="8"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</hi></fw><lb/>
Folge, daß <hirendition="#aq">a.</hi> die Nationen ſelber wenigern Antheil<lb/>
an den oͤffentlichen Angelegenheiten nahmen. Maͤch-<lb/>
tige Volkspartien, und die durch ſie erregten Stuͤr-<lb/>
me, wie man ſie in den großen Republiken des Al-<lb/>
terthums ſieht, wuͤrden gaͤnzlich fremd geblieben ſeyn,<lb/>
wenn nicht die <hirendition="#g">Religion</hi> ihnen aͤhnliche Erſchei-<lb/>
nungen erzeugt haͤtte. <hirendition="#aq">b.</hi> Dagegen concentrirte ſich<lb/>
die Leitung der Staatsangelegenheiten immer mehr in<lb/>
den Haͤnden der Fuͤrſten und ihrer Miniſter; und ſo<lb/>
bildete ſich jene <hirendition="#g">Cabinetspolitik</hi> aus, welche das<lb/>
Europaͤiſche Staatenſyſtem beſonders charakteriſirt.</p><lb/><p>5. Bey dieſer unleugbaren <hirendition="#g">Einfoͤrmigkeit</hi>,<lb/>
wodurch die neue Geſchichte der des Alterthums ſo<lb/>
ungleich wird, zeigt ſich doch aber zugleich eine ſolche<lb/><hirendition="#g">Mannigfaltigkeit</hi>, als irgend damit beſtehen<lb/>
konnte. Alle Formen der Monarchie, des Erb-<lb/>
reichs wie des Wahlreichs, der unumſchraͤnkten,<lb/>
der conſtitutionellen, und ſelbſt der Schattengewalt<lb/>
der Koͤnige ſah man in Europa realiſirt. Sogar<lb/>
in den wenigen Republiken, die es enthielt, welche<lb/>
Abſtufung von der reinen Ariſtocratie Venedigs, bis<lb/>
zur reinen Democratie eines Hirten-Cantons? Gewiß<lb/>
war es dieſe Verſchiedenheit, die einen groͤßern<lb/>
Kreis politiſcher Ideen <hirendition="#g">praktiſch</hi> im Umlaufe erhielt,<lb/>
der Europa ſeine politiſche, und mit ihr zugleich<lb/>
einen großen Theil ſeiner uͤbrigen Cultur verdankt.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">6.</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[8/0046]
Einleitung.
Folge, daß a. die Nationen ſelber wenigern Antheil
an den oͤffentlichen Angelegenheiten nahmen. Maͤch-
tige Volkspartien, und die durch ſie erregten Stuͤr-
me, wie man ſie in den großen Republiken des Al-
terthums ſieht, wuͤrden gaͤnzlich fremd geblieben ſeyn,
wenn nicht die Religion ihnen aͤhnliche Erſchei-
nungen erzeugt haͤtte. b. Dagegen concentrirte ſich
die Leitung der Staatsangelegenheiten immer mehr in
den Haͤnden der Fuͤrſten und ihrer Miniſter; und ſo
bildete ſich jene Cabinetspolitik aus, welche das
Europaͤiſche Staatenſyſtem beſonders charakteriſirt.
5. Bey dieſer unleugbaren Einfoͤrmigkeit,
wodurch die neue Geſchichte der des Alterthums ſo
ungleich wird, zeigt ſich doch aber zugleich eine ſolche
Mannigfaltigkeit, als irgend damit beſtehen
konnte. Alle Formen der Monarchie, des Erb-
reichs wie des Wahlreichs, der unumſchraͤnkten,
der conſtitutionellen, und ſelbſt der Schattengewalt
der Koͤnige ſah man in Europa realiſirt. Sogar
in den wenigen Republiken, die es enthielt, welche
Abſtufung von der reinen Ariſtocratie Venedigs, bis
zur reinen Democratie eines Hirten-Cantons? Gewiß
war es dieſe Verſchiedenheit, die einen groͤßern
Kreis politiſcher Ideen praktiſch im Umlaufe erhielt,
der Europa ſeine politiſche, und mit ihr zugleich
einen großen Theil ſeiner uͤbrigen Cultur verdankt.
6.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/46>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.