befremden? Auch ihre Einmischung in die Po- litik war an sich nur Mittel zu jenem Zweck; ein zwar nothwendiges, aber für sie selbst gefährliches Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver- meidlich waren, sobald sie die Herrschaft über die Meinung verlohr, der auch die Fürsten unterworfen sind. Durch alle christlichen Länder, theils sichtbar, theils unsichtbar verbreitet, ward sie ein Band, das das Ganze des Europäischen Staatensystems um- schlang; wirksam nicht bloß für das Einzelne, son- dern für das Ganze. Was sie, und wie viel sie jedesmal wirkte, ist schwer, oft unmöglich zu be- stimmen; aber wie sie wirkte, ergiebt sich der Haupt- sache nach aus ihrer Organisation.
Stiftung der Gesellschaft durch den standhaften Schwär- mer Ignatius Loyola, zuerst als Privatverbindung 1534; vom Pabst Paul III. bestätigt 1540; und sehr erweitert 1543 und 1549. Schnelles Aufblühen, begünstigt durch den Geist des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerstandes. Schon beym Tode des Stifters 1556 umfaßte sie das westliche Europa in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank- reich, 2 in Deutschland und den Niederlanden, und 2 in Italien;) so wie durch die Missionen die andern Welttheile in 3 Provinzen, (Brasilien, Aethiopien und Indien). -- Eigenthümliche äußere Formen: nicht als Orden von der Welt getrennt, sondern als Gesellschaft sich ihr anschlie- ßend, ja selbst zum Theil mit ihr verschmolzen, ohne doch je sich in ihr verlieren zu können. Collegien und Semi- narien, aber keine Klöster; Ordenskleidung, aber keine Mönchskleidung. Innere Organisation; in Ansehung a. der Regierung. Princip des absolutesten Despotismus,
und
B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
befremden? Auch ihre Einmiſchung in die Po- litik war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver- meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar, theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um- ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon- dern fuͤr das Ganze. Was ſie, und wie viel ſie jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be- ſtimmen; aber wie ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt- ſache nach aus ihrer Organiſation.
Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr- mer Ignatius Loyola, zuerſt als Privatverbindung 1534; vom Pabſt Paul III. beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543 und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank- reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). — Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: nicht als Orden von der Welt getrennt, ſondern als Geſellſchaft ſich ihr anſchlie- ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch je ſich in ihr verlieren zu koͤnnen. Collegien und Semi- narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine Moͤnchskleidung. Innere Organiſation; in Anſehung a. der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus,
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0113"n="75"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">B.</hi> 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.</hi></fw><lb/>
befremden? Auch ihre <hirendition="#g">Einmiſchung in die Po-<lb/>
litik</hi> war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein<lb/>
zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches<lb/>
Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver-<lb/>
meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die<lb/>
Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen<lb/>ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar,<lb/>
theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das<lb/>
das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um-<lb/>ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon-<lb/>
dern fuͤr das Ganze. <hirendition="#g">Was</hi>ſie, und <hirendition="#g">wie viel</hi>ſie<lb/>
jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be-<lb/>ſtimmen; aber <hirendition="#g">wie</hi>ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt-<lb/>ſache nach aus ihrer <hirendition="#g">Organiſation</hi>.</p><lb/><p><hirendition="#et">Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr-<lb/>
mer <hirendition="#g">Ignatius Loyola</hi>, zuerſt als Privatverbindung 1534;<lb/>
vom Pabſt Paul <hirendition="#aq">III.</hi> beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543<lb/>
und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt<lb/>
des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon<lb/>
beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa<lb/>
in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank-<lb/>
reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in<lb/>
Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile<lb/>
in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). —<lb/>
Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: <hirendition="#g">nicht</hi> als <hirendition="#g">Orden</hi> von der<lb/>
Welt getrennt, ſondern als <hirendition="#g">Geſellſchaft</hi>ſich ihr anſchlie-<lb/>
ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch<lb/>
je ſich in ihr <hirendition="#g">verlieren</hi> zu koͤnnen. Collegien und Semi-<lb/>
narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine<lb/>
Moͤnchskleidung. <hirendition="#g">Innere Organiſation</hi>; in Anſehung<lb/><hirendition="#aq">a.</hi> der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[75/0113]
B. 2. Geſch. d. Reformation. 1517--1555.
befremden? Auch ihre Einmiſchung in die Po-
litik war an ſich nur Mittel zu jenem Zweck; ein
zwar nothwendiges, aber fuͤr ſie ſelbſt gefaͤhrliches
Mittel, weil Conflicte mit den Regierungen unver-
meidlich waren, ſobald ſie die Herrſchaft uͤber die
Meinung verlohr, der auch die Fuͤrſten unterworfen
ſind. Durch alle chriſtlichen Laͤnder, theils ſichtbar,
theils unſichtbar verbreitet, ward ſie ein Band, das
das Ganze des Europaͤiſchen Staatenſyſtems um-
ſchlang; wirkſam nicht bloß fuͤr das Einzelne, ſon-
dern fuͤr das Ganze. Was ſie, und wie viel ſie
jedesmal wirkte, iſt ſchwer, oft unmoͤglich zu be-
ſtimmen; aber wie ſie wirkte, ergiebt ſich der Haupt-
ſache nach aus ihrer Organiſation.
Stiftung der Geſellſchaft durch den ſtandhaften Schwaͤr-
mer Ignatius Loyola, zuerſt als Privatverbindung 1534;
vom Pabſt Paul III. beſtaͤtigt 1540; und ſehr erweitert 1543
und 1549. Schnelles Aufbluͤhen, beguͤnſtigt durch den Geiſt
des Zeitalters, trotz mannichfaltigen Widerſtandes. Schon
beym Tode des Stifters 1556 umfaßte ſie das weſtliche Europa
in 9 Provinzen; (1 in Portugal, 3 in Spanien, 1 in Frank-
reich, 2 in Deutſchland und den Niederlanden, und 2 in
Italien;) ſo wie durch die Miſſionen die andern Welttheile
in 3 Provinzen, (Braſilien, Aethiopien und Indien). —
Eigenthuͤmliche aͤußere Formen: nicht als Orden von der
Welt getrennt, ſondern als Geſellſchaft ſich ihr anſchlie-
ßend, ja ſelbſt zum Theil mit ihr verſchmolzen, ohne doch
je ſich in ihr verlieren zu koͤnnen. Collegien und Semi-
narien, aber keine Kloͤſter; Ordenskleidung, aber keine
Moͤnchskleidung. Innere Organiſation; in Anſehung
a. der Regierung. Princip des abſoluteſten Deſpotismus,
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/113>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.