Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite
B. 2. Gesch. d. Reformation. 1515--1555.

17. Am Ende dieses Zeitraums hatte die Re-
formation schon im Ganzen den Umfang erreicht, den
sie nachmals behalten sollte. Die neue Lehre, nicht
eine Religion der Phantasie, sondern des Verstandes,
mußte viel leichter Eingang finden unter den Völkern
des Norden, als denen des Süden; denn weit
mehr als die Maaßregeln der Regierungen entschied
hier der Charakter der Nationen. Auch ihre poli-
tischen Folgen
beschränkten sich daher nicht mehr
blos auf Deutschland, sondern verbreiteten sich über
einen großen Theil von Europa. Aber wie wichtig
sie auch für den innern Zustand jedes dieser Länder
für Gegenwart und Zukunft ward, so konnte sie doch
noch nicht sogleich die Triebfeder der allgemeinen Po-
litik seyn, da die beyden rivalisirenden Hauptmächte
des Continents darin übereinkamen, sie zu verwerfen.
Nur die Wirkungen mußten sich aber von selber ent-
wickeln, daß a. in protestantischen wie in katholischen
Staaten Religion weit mehr die Basis der Verfassung
ward, als sie es bisher gewesen war; und daß b. in
den protestantischen Staaten durch die Aufhebung des
Nexus mit Rom, -- auch in einigen durch Einzie-
hung der Kirchengüter -- die Macht der Fürsten Zu-
wachs erhielt. -- Aber was war dieß gegen die noch
nicht zu berechnenden entfernteren Folgen, welche
der neue Umschwung erwarten ließ, den sie dem
menschlichen Geiste gegeben hatte?

18. Für
E 4
B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515--1555.

17. Am Ende dieſes Zeitraums hatte die Re-
formation ſchon im Ganzen den Umfang erreicht, den
ſie nachmals behalten ſollte. Die neue Lehre, nicht
eine Religion der Phantaſie, ſondern des Verſtandes,
mußte viel leichter Eingang finden unter den Voͤlkern
des Norden, als denen des Suͤden; denn weit
mehr als die Maaßregeln der Regierungen entſchied
hier der Charakter der Nationen. Auch ihre poli-
tiſchen Folgen
beſchraͤnkten ſich daher nicht mehr
blos auf Deutſchland, ſondern verbreiteten ſich uͤber
einen großen Theil von Europa. Aber wie wichtig
ſie auch fuͤr den innern Zuſtand jedes dieſer Laͤnder
fuͤr Gegenwart und Zukunft ward, ſo konnte ſie doch
noch nicht ſogleich die Triebfeder der allgemeinen Po-
litik ſeyn, da die beyden rivaliſirenden Hauptmaͤchte
des Continents darin uͤbereinkamen, ſie zu verwerfen.
Nur die Wirkungen mußten ſich aber von ſelber ent-
wickeln, daß a. in proteſtantiſchen wie in katholiſchen
Staaten Religion weit mehr die Baſis der Verfaſſung
ward, als ſie es bisher geweſen war; und daß b. in
den proteſtantiſchen Staaten durch die Aufhebung des
Nexus mit Rom, — auch in einigen durch Einzie-
hung der Kirchenguͤter — die Macht der Fuͤrſten Zu-
wachs erhielt. — Aber was war dieß gegen die noch
nicht zu berechnenden entfernteren Folgen, welche
der neue Umſchwung erwarten ließ, den ſie dem
menſchlichen Geiſte gegeben hatte?

18. Fuͤr
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0109" n="71"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">B.</hi> 2. Ge&#x017F;ch. d. Reformation. 1515--1555.</hi> </fw><lb/>
                <p>17. Am Ende die&#x017F;es Zeitraums hatte die Re-<lb/>
formation &#x017F;chon im Ganzen den Umfang erreicht, den<lb/>
&#x017F;ie nachmals behalten &#x017F;ollte. Die neue Lehre, nicht<lb/>
eine Religion der Phanta&#x017F;ie, &#x017F;ondern des Ver&#x017F;tandes,<lb/>
mußte viel leichter Eingang finden unter den Vo&#x0364;lkern<lb/>
des Norden, als denen des Su&#x0364;den; denn weit<lb/>
mehr als die Maaßregeln der Regierungen ent&#x017F;chied<lb/>
hier der Charakter der Nationen. Auch ihre <hi rendition="#g">poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Folgen</hi> be&#x017F;chra&#x0364;nkten &#x017F;ich daher nicht mehr<lb/>
blos auf Deut&#x017F;chland, &#x017F;ondern verbreiteten &#x017F;ich u&#x0364;ber<lb/>
einen großen Theil von Europa. Aber wie wichtig<lb/>
&#x017F;ie auch fu&#x0364;r den innern Zu&#x017F;tand jedes die&#x017F;er La&#x0364;nder<lb/>
fu&#x0364;r Gegenwart und Zukunft ward, &#x017F;o konnte &#x017F;ie doch<lb/>
noch nicht &#x017F;ogleich die Triebfeder der allgemeinen Po-<lb/>
litik &#x017F;eyn, da die beyden rivali&#x017F;irenden Hauptma&#x0364;chte<lb/>
des Continents darin u&#x0364;bereinkamen, &#x017F;ie zu verwerfen.<lb/>
Nur <hi rendition="#g">die</hi> Wirkungen mußten &#x017F;ich aber von &#x017F;elber ent-<lb/>
wickeln, daß <hi rendition="#aq">a.</hi> in prote&#x017F;tanti&#x017F;chen wie in katholi&#x017F;chen<lb/>
Staaten Religion weit mehr die Ba&#x017F;is der Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
ward, als &#x017F;ie es bisher gewe&#x017F;en war; und daß <hi rendition="#aq">b.</hi> in<lb/>
den prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Staaten durch die Aufhebung des<lb/>
Nexus mit Rom, &#x2014; auch in einigen durch Einzie-<lb/>
hung der Kirchengu&#x0364;ter &#x2014; die Macht der Fu&#x0364;r&#x017F;ten Zu-<lb/>
wachs erhielt. &#x2014; Aber was war dieß gegen die noch<lb/>
nicht zu berechnenden <hi rendition="#g">entfernteren</hi> Folgen, welche<lb/>
der neue <hi rendition="#g">Um&#x017F;chwung</hi> erwarten ließ, den &#x017F;ie dem<lb/>
men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;te gegeben hatte?</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig">E 4</fw>
                <fw place="bottom" type="catch">18. Fu&#x0364;r</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0109] B. 2. Geſch. d. Reformation. 1515--1555. 17. Am Ende dieſes Zeitraums hatte die Re- formation ſchon im Ganzen den Umfang erreicht, den ſie nachmals behalten ſollte. Die neue Lehre, nicht eine Religion der Phantaſie, ſondern des Verſtandes, mußte viel leichter Eingang finden unter den Voͤlkern des Norden, als denen des Suͤden; denn weit mehr als die Maaßregeln der Regierungen entſchied hier der Charakter der Nationen. Auch ihre poli- tiſchen Folgen beſchraͤnkten ſich daher nicht mehr blos auf Deutſchland, ſondern verbreiteten ſich uͤber einen großen Theil von Europa. Aber wie wichtig ſie auch fuͤr den innern Zuſtand jedes dieſer Laͤnder fuͤr Gegenwart und Zukunft ward, ſo konnte ſie doch noch nicht ſogleich die Triebfeder der allgemeinen Po- litik ſeyn, da die beyden rivaliſirenden Hauptmaͤchte des Continents darin uͤbereinkamen, ſie zu verwerfen. Nur die Wirkungen mußten ſich aber von ſelber ent- wickeln, daß a. in proteſtantiſchen wie in katholiſchen Staaten Religion weit mehr die Baſis der Verfaſſung ward, als ſie es bisher geweſen war; und daß b. in den proteſtantiſchen Staaten durch die Aufhebung des Nexus mit Rom, — auch in einigen durch Einzie- hung der Kirchenguͤter — die Macht der Fuͤrſten Zu- wachs erhielt. — Aber was war dieß gegen die noch nicht zu berechnenden entfernteren Folgen, welche der neue Umſchwung erwarten ließ, den ſie dem menſchlichen Geiſte gegeben hatte? 18. Fuͤr E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/109
Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/109>, abgerufen am 24.11.2024.