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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

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bei der Einwirkung auf die unglücklichen Geschöpfe, welche solchen
Anstalten anheim fallen, zuerst darauf an, daß sie gleichsam in eine
ganz neue Welt versetzt werden, in welcher sie von ihren bisherigen
Gewohnheiten nichts wiederfinden, sondern wo allenthalben Ordnung,
Regelmäßigkeit, Ruhe, Stille und Reinlichkeit ihnen entgegen tritt,
wo Beschäftigung mit Unterweisung abwechselt, und immer etwas
Nützliches oder Nothwendiges vorgenommen werden muß, wo man
alle ihre Handlungen und Reden beobachtet und ihr ganzes Verhalten
fortwährend beaufsichtigt, wo sie der Freiheit nur in dem Maaße mehr
theilhaftig werden, als sie sich ihrer würdig machen, und wo endlich
allenthalben Fürsorge, Antheil, Liebe unverkennbar sind, Ernst und
Strafe aber als die nothwendigen Folgen der eigenen Handlungen
und als eine unvermeidliche Erfüllung der Pflicht der Gerechtigkeit
erscheinen. In genauester Uebereinstimmung mit dieser Disciplinar-
Behandlung muß aber auch der Unterricht stehen, und das nämliche
Ziel verfolgen. Nicht auf bloßes Mittheilen und Einprägen von
Kenntnissen und Geschicklichkeiten darf es ausschließlich abgesehen sein,
sondern zugleich auf Entwickelung der Selbstthätigkeit, auf Erregung
der Lust an nützlicher Einsicht und ganz besonders auf Erhellung der
bei so verwahrloseten Geschöpfen immer höchst verworrenen und dunklen
Begriffe und folglich auf allmählige Gewöhnung an ein besonnenes,
klares und folgerichtiges Denken und Urtheilen. Wenn nun aber
endlich bei einem lasterhaften und verderbten Menschen an wirkliche
Umkehr und Besserung nicht eher zu denken ist, als bis die Gesinnung
und der Entschluß dazu in ihm gegründet ist, und wenn dieser nicht
eher erwartet werden kann, als bis das Gefühl des Abscheues gegen
die früheren Vergehungen lebendig geworden ist, und wahre Reue
empfunden wird, und wenn diese Reue nur dann von ächter Art ist,
sobald sie nicht ihren Grund in den äußern Folgen der Sünde hat,
sondern in dem Schmerze, den Willen Gottes verletzt zu haben: so
folgt daraus auch zugleich die Nothwendigkeit, es zuletzt auf Bewir-
kung einer solchen Reue und auf die daraus hervorgehende Gesinnung
der Gottesfurcht und Frömmigkeit anzulegen. Sehr unweise und ver-
kehrt würde man jedoch verfahren, wenn man diese Bußgesinnung als
dasjenige betrachten wollte, worauf hingewirkt werden soll zuerst und
zunächst bei denen, deren Besserung man beabsichtigt. Man wird sich
vielmehr im Anfange begnügen müssen, ihnen nur die Gelegenheit zur

bei der Einwirkung auf die unglücklichen Geſchöpfe, welche ſolchen
Anſtalten anheim fallen, zuerſt darauf an, daß ſie gleichſam in eine
ganz neue Welt verſetzt werden, in welcher ſie von ihren bisherigen
Gewohnheiten nichts wiederfinden, ſondern wo allenthalben Ordnung,
Regelmäßigkeit, Ruhe, Stille und Reinlichkeit ihnen entgegen tritt,
wo Beſchäftigung mit Unterweiſung abwechſelt, und immer etwas
Nützliches oder Nothwendiges vorgenommen werden muß, wo man
alle ihre Handlungen und Reden beobachtet und ihr ganzes Verhalten
fortwährend beaufſichtigt, wo ſie der Freiheit nur in dem Maaße mehr
theilhaftig werden, als ſie ſich ihrer würdig machen, und wo endlich
allenthalben Fürſorge, Antheil, Liebe unverkennbar ſind, Ernſt und
Strafe aber als die nothwendigen Folgen der eigenen Handlungen
und als eine unvermeidliche Erfüllung der Pflicht der Gerechtigkeit
erſcheinen. In genaueſter Uebereinſtimmung mit dieſer Disciplinar-
Behandlung muß aber auch der Unterricht ſtehen, und das nämliche
Ziel verfolgen. Nicht auf bloßes Mittheilen und Einprägen von
Kenntniſſen und Geſchicklichkeiten darf es ausſchließlich abgeſehen ſein,
ſondern zugleich auf Entwickelung der Selbſtthätigkeit, auf Erregung
der Luſt an nützlicher Einſicht und ganz beſonders auf Erhellung der
bei ſo verwahrloſeten Geſchöpfen immer höchſt verworrenen und dunklen
Begriffe und folglich auf allmählige Gewöhnung an ein beſonnenes,
klares und folgerichtiges Denken und Urtheilen. Wenn nun aber
endlich bei einem laſterhaften und verderbten Menſchen an wirkliche
Umkehr und Beſſerung nicht eher zu denken iſt, als bis die Geſinnung
und der Entſchluß dazu in ihm gegründet iſt, und wenn dieſer nicht
eher erwartet werden kann, als bis das Gefühl des Abſcheues gegen
die früheren Vergehungen lebendig geworden iſt, und wahre Reue
empfunden wird, und wenn dieſe Reue nur dann von ächter Art iſt,
ſobald ſie nicht ihren Grund in den äußern Folgen der Sünde hat,
ſondern in dem Schmerze, den Willen Gottes verletzt zu haben: ſo
folgt daraus auch zugleich die Nothwendigkeit, es zuletzt auf Bewir-
kung einer ſolchen Reue und auf die daraus hervorgehende Geſinnung
der Gottesfurcht und Frömmigkeit anzulegen. Sehr unweiſe und ver-
kehrt würde man jedoch verfahren, wenn man dieſe Bußgeſinnung als
dasjenige betrachten wollte, worauf hingewirkt werden ſoll zuerſt und
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[266/0280] bei der Einwirkung auf die unglücklichen Geſchöpfe, welche ſolchen Anſtalten anheim fallen, zuerſt darauf an, daß ſie gleichſam in eine ganz neue Welt verſetzt werden, in welcher ſie von ihren bisherigen Gewohnheiten nichts wiederfinden, ſondern wo allenthalben Ordnung, Regelmäßigkeit, Ruhe, Stille und Reinlichkeit ihnen entgegen tritt, wo Beſchäftigung mit Unterweiſung abwechſelt, und immer etwas Nützliches oder Nothwendiges vorgenommen werden muß, wo man alle ihre Handlungen und Reden beobachtet und ihr ganzes Verhalten fortwährend beaufſichtigt, wo ſie der Freiheit nur in dem Maaße mehr theilhaftig werden, als ſie ſich ihrer würdig machen, und wo endlich allenthalben Fürſorge, Antheil, Liebe unverkennbar ſind, Ernſt und Strafe aber als die nothwendigen Folgen der eigenen Handlungen und als eine unvermeidliche Erfüllung der Pflicht der Gerechtigkeit erſcheinen. In genaueſter Uebereinſtimmung mit dieſer Disciplinar- Behandlung muß aber auch der Unterricht ſtehen, und das nämliche Ziel verfolgen. Nicht auf bloßes Mittheilen und Einprägen von Kenntniſſen und Geſchicklichkeiten darf es ausſchließlich abgeſehen ſein, ſondern zugleich auf Entwickelung der Selbſtthätigkeit, auf Erregung der Luſt an nützlicher Einſicht und ganz beſonders auf Erhellung der bei ſo verwahrloſeten Geſchöpfen immer höchſt verworrenen und dunklen Begriffe und folglich auf allmählige Gewöhnung an ein beſonnenes, klares und folgerichtiges Denken und Urtheilen. Wenn nun aber endlich bei einem laſterhaften und verderbten Menſchen an wirkliche Umkehr und Beſſerung nicht eher zu denken iſt, als bis die Geſinnung und der Entſchluß dazu in ihm gegründet iſt, und wenn dieſer nicht eher erwartet werden kann, als bis das Gefühl des Abſcheues gegen die früheren Vergehungen lebendig geworden iſt, und wahre Reue empfunden wird, und wenn dieſe Reue nur dann von ächter Art iſt, ſobald ſie nicht ihren Grund in den äußern Folgen der Sünde hat, ſondern in dem Schmerze, den Willen Gottes verletzt zu haben: ſo folgt daraus auch zugleich die Nothwendigkeit, es zuletzt auf Bewir- kung einer ſolchen Reue und auf die daraus hervorgehende Geſinnung der Gottesfurcht und Frömmigkeit anzulegen. Sehr unweiſe und ver- kehrt würde man jedoch verfahren, wenn man dieſe Bußgeſinnung als dasjenige betrachten wollte, worauf hingewirkt werden ſoll zuerſt und zunächſt bei denen, deren Beſſerung man beabſichtigt. Man wird ſich vielmehr im Anfange begnügen müſſen, ihnen nur die Gelegenheit zur

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Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/280>, abgerufen am 25.11.2024.