betone und das Ganze nicht nur fließend, sondern auch mit ange- messenem Ausdrucke vortrage. Ein solches Lesen setzt zunächst ein richtiges Verständniß des Gelesenen voraus, und der Lehrer hat auch hier zu erforschen, ob und welche Ausdrücke oder Wendungen dem Schüler vielleicht unverständlich sein möchten. Die Anweisung zur richtigen Betonung kann nur eine praktische sein, indem der Lehrer auf die gegen richtige Gliederung und Betonung vorkommenden Fehler aufmerksam macht, die aus unrichtiger Betonung entstehende Entstel- lung des Sinnes nachweist oder von den Schülern selbst finden läßt, hauptsächlich aber, indem er das Verfehlte selbst richtig vorträgt und es hierauf von den Schülern nochmals vortragen läßt.
Die Aufstellung einer großen Menge von Regeln für die Beto- nung, wie sie in besonderen Anweisungen zum Leseunterricht gegeben sind, können wir nicht zweckmäßig finden, theils weil die Regeln, die in solchen Anweisungen aufgestellt werden, mehrentheils nur halb richtig und einer zahllosen Menge von Ausnahmen unterworfen sind, theils aber weil die Menge der Regeln die innerliche Auffassung des Gelesenen stören und das natürliche Gefühl der Schüler nur ver- wirren müßte.
Die Lehrer machen wir indeß aufmerksam auf einen in dem Schul- blatt für die Provinz Brandenburg (Jahrg. 1841. S. 270 ff.) abge- druckten Aufsatz, der, wenn er auch im Einzelnen mancher Berichtigung bedürfen möchte, doch die Hauptsachen klar und richtig auseinander setzt, und die Lehre von der Betonung auf eine einzige aus der Natur der Sache gezogene und leicht anwendbare Regel zurückführt.
In Beziehung auf den Ausdruck, mit dem ein Lesestück vorzutragen ist, müssen wir vor allem Erkünstelten warnen, wozu manche Anwei- sungen zur Declamation so leicht verleiten. Auch beim ausdrucksvollen Lesen muß es immer noch durchblicken, daß der Vortragende nicht aus eigener Seele spricht, sondern fremde Gedanken vorträgt, und nur das muß erkennbar sein, daß er das Gefühl und die Stimmung der redenden Personen oder des Verfassers erkannt hat. Dieser Ausdruck findet sich von selbst, wenn der Schüler das Gelesene innerlich aufge- faßt hat, und der Ausdruck des Lesenden soll eben nur ein Zeichen von der richtigen Auffassung des Gelesenen sein. Hieraus ergiebt sich von selbst, daß Regeln für den Ausdruck ganz an unrechter Stelle sind, und daß der Lehrer sich darauf beschränken muß, das Verfehlte
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betone und das Ganze nicht nur fließend, ſondern auch mit ange- meſſenem Ausdrucke vortrage. Ein ſolches Leſen ſetzt zunächſt ein richtiges Verſtändniß des Geleſenen voraus, und der Lehrer hat auch hier zu erforſchen, ob und welche Ausdrücke oder Wendungen dem Schüler vielleicht unverſtändlich ſein möchten. Die Anweiſung zur richtigen Betonung kann nur eine praktiſche ſein, indem der Lehrer auf die gegen richtige Gliederung und Betonung vorkommenden Fehler aufmerkſam macht, die aus unrichtiger Betonung entſtehende Entſtel- lung des Sinnes nachweiſt oder von den Schülern ſelbſt finden läßt, hauptſächlich aber, indem er das Verfehlte ſelbſt richtig vorträgt und es hierauf von den Schülern nochmals vortragen läßt.
Die Aufſtellung einer großen Menge von Regeln für die Beto- nung, wie ſie in beſonderen Anweiſungen zum Leſeunterricht gegeben ſind, können wir nicht zweckmäßig finden, theils weil die Regeln, die in ſolchen Anweiſungen aufgeſtellt werden, mehrentheils nur halb richtig und einer zahlloſen Menge von Ausnahmen unterworfen ſind, theils aber weil die Menge der Regeln die innerliche Auffaſſung des Geleſenen ſtören und das natürliche Gefühl der Schüler nur ver- wirren müßte.
Die Lehrer machen wir indeß aufmerkſam auf einen in dem Schul- blatt für die Provinz Brandenburg (Jahrg. 1841. S. 270 ff.) abge- druckten Aufſatz, der, wenn er auch im Einzelnen mancher Berichtigung bedürfen möchte, doch die Hauptſachen klar und richtig auseinander ſetzt, und die Lehre von der Betonung auf eine einzige aus der Natur der Sache gezogene und leicht anwendbare Regel zurückführt.
In Beziehung auf den Ausdruck, mit dem ein Leſeſtück vorzutragen iſt, müſſen wir vor allem Erkünſtelten warnen, wozu manche Anwei- ſungen zur Declamation ſo leicht verleiten. Auch beim ausdrucksvollen Leſen muß es immer noch durchblicken, daß der Vortragende nicht aus eigener Seele ſpricht, ſondern fremde Gedanken vorträgt, und nur das muß erkennbar ſein, daß er das Gefühl und die Stimmung der redenden Perſonen oder des Verfaſſers erkannt hat. Dieſer Ausdruck findet ſich von ſelbſt, wenn der Schüler das Geleſene innerlich aufge- faßt hat, und der Ausdruck des Leſenden ſoll eben nur ein Zeichen von der richtigen Auffaſſung des Geleſenen ſein. Hieraus ergiebt ſich von ſelbſt, daß Regeln für den Ausdruck ganz an unrechter Stelle ſind, und daß der Lehrer ſich darauf beſchränken muß, das Verfehlte
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betone und das Ganze nicht nur fließend, ſondern auch mit ange-
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richtiges Verſtändniß des Geleſenen voraus, und der Lehrer hat auch
hier zu erforſchen, ob und welche Ausdrücke oder Wendungen dem
Schüler vielleicht unverſtändlich ſein möchten. Die Anweiſung zur
richtigen Betonung kann nur eine praktiſche ſein, indem der Lehrer
auf die gegen richtige Gliederung und Betonung vorkommenden Fehler
aufmerkſam macht, die aus unrichtiger Betonung entſtehende Entſtel-
lung des Sinnes nachweiſt oder von den Schülern ſelbſt finden läßt,
hauptſächlich aber, indem er das Verfehlte ſelbſt richtig vorträgt und
es hierauf von den Schülern nochmals vortragen läßt.
Die Aufſtellung einer großen Menge von Regeln für die Beto-
nung, wie ſie in beſonderen Anweiſungen zum Leſeunterricht gegeben
ſind, können wir nicht zweckmäßig finden, theils weil die Regeln, die
in ſolchen Anweiſungen aufgeſtellt werden, mehrentheils nur halb
richtig und einer zahlloſen Menge von Ausnahmen unterworfen ſind,
theils aber weil die Menge der Regeln die innerliche Auffaſſung des
Geleſenen ſtören und das natürliche Gefühl der Schüler nur ver-
wirren müßte.
Die Lehrer machen wir indeß aufmerkſam auf einen in dem Schul-
blatt für die Provinz Brandenburg (Jahrg. 1841. S. 270 ff.) abge-
druckten Aufſatz, der, wenn er auch im Einzelnen mancher Berichtigung
bedürfen möchte, doch die Hauptſachen klar und richtig auseinander
ſetzt, und die Lehre von der Betonung auf eine einzige aus der Natur
der Sache gezogene und leicht anwendbare Regel zurückführt.
In Beziehung auf den Ausdruck, mit dem ein Leſeſtück vorzutragen
iſt, müſſen wir vor allem Erkünſtelten warnen, wozu manche Anwei-
ſungen zur Declamation ſo leicht verleiten. Auch beim ausdrucksvollen
Leſen muß es immer noch durchblicken, daß der Vortragende nicht aus
eigener Seele ſpricht, ſondern fremde Gedanken vorträgt, und nur
das muß erkennbar ſein, daß er das Gefühl und die Stimmung der
redenden Perſonen oder des Verfaſſers erkannt hat. Dieſer Ausdruck
findet ſich von ſelbſt, wenn der Schüler das Geleſene innerlich aufge-
faßt hat, und der Ausdruck des Leſenden ſoll eben nur ein Zeichen
von der richtigen Auffaſſung des Geleſenen ſein. Hieraus ergiebt ſich
von ſelbſt, daß Regeln für den Ausdruck ganz an unrechter Stelle
ſind, und daß der Lehrer ſich darauf beſchränken muß, das Verfehlte
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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/191>, abgerufen am 24.11.2024.
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