Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor seyn? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Theile des Körpers mit dem Wachsthum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nöthig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Uebel Aerger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rath wäre also der: Ihr sollt's machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bey der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nöthig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft

wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor seyn? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Theile des Körpers mit dem Wachsthum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nöthig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Uebel Aerger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rath wäre also der: Ihr sollt’s machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bey der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nöthig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="56"/>
wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor seyn? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Theile des Körpers mit dem Wachsthum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nöthig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Uebel Aerger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rath wäre also der: Ihr sollt&#x2019;s machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bey der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nöthig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0064] wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor seyn? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Theile des Körpers mit dem Wachsthum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nöthig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Uebel Aerger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rath wäre also der: Ihr sollt’s machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bey der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nöthig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-03T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-03T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-03T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/64
Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/64>, abgerufen am 22.11.2024.